19.01.2021 • Biophysik

Die Physik lebender Systeme

Topologische Effekte schlagen eine Brücke von der Festkörperphysik zur Biophysik.

Die Topologie ist ein wichtiges Werkzeug der theoretischen Physik. Sie wurde erstmals in den 1980er-Jahren zur Charakteri­sierung bestimmter Phasen von Materie verwendet. Ein Beispiel ist der Quanten-Hall-Effekt: Bei diesem Phänomen ändert sich der elektrische Widerstand in einer extrem dünnen Schicht in diskreten Stufen, wenn das Material einem veränder­lichen Magnetfeld ausgesetzt ist. Die Entdeckung solcher topo­lo­gischen Zustände wurde 2016 mit dem Nobelpreis für Physik ausge­zeichnet.

Abb.: Viele Spielzyklen bilden eine Kette. (Bild: C. Hohmann, LMU)
Abb.: Viele Spielzyklen bilden eine Kette. (Bild: C. Hohmann, LMU)

Physikern der Uni München um Erwin Frey ist es jetzt gelungen, mithilfe der Topologie auch die Dynamik eines biologischen Modell­systems zu erklären. „Wir wollten die aus der Fest­körper­physik bekannten, stufen­weisen topo­lo­gischen Phasen­über­gänge in der Biologie wieder­finden“, erläutert Team-Mitglied Philipp Geiger. Dafür verwendeten die Forscher ein biologisches Modell­system, das auf Arbeiten zur Populations­dynamik zurück­geht.

Die Bausteine dieses Modells sind so genannte Stein-Papier-Schere-Zyklen, die ein klassisches Motiv der Spiel­theorie mit drei zyklischen Strategien darstellen: Jede der Strategien „gewinnt“ gegen eine der Strategien und wird von einer anderen „besiegt“. „Aus diesem Baustein haben wir eine Kette gebaut, indem wir viele Spiel­zyklen anein­ander­gehängt haben“, sagt Geiger. „Außerdem haben wir das Modell sehr stark abstrahiert.“

In diesem Modell beobachteten die Wissen­schaftler eine starke Polari­sierung entweder am rechten oder am linken Rand der Inter­aktions­kette. Spezies an diesen Stellen dominierten also das gesamte System. Ob die evolu­tio­näre Dynamik des Modells zum linken oder rechten Rand hin polarisiert war, hing dabei ausschließ­lich vom Verhältnis zweier Inter­aktions­raten ab. Gegen­über kleinen Störungen der Wechsel­wirkungen war die Dynamik robust.

Mithilfe von Methoden aus der Fest­körper­physik konnten die Forscher die Polari­sation der evolu­tio­nären Dynamik als topo­lo­gische Phasen erklären, der Wechsel der Polari­sierung kann als Phasen­über­gang betrachtet werden. „Damit zeigen wir erstmals, dass solche Effekte in der Biologie vorkommen können“, sagt Frey. „Unsere Arbeit ist ein erster Schritt zur Anwendung topo­lo­gischer Phasen in biolo­gischen Systemen. Möglicher­weise könnte man sogar topo­logische Phasen für genregula­to­rische Netzwerke entwickeln. Wie solche Phasen in einem Experiment realisiert werden können, ist eine interes­sante Heraus­forderung für die zukünftige Forschung.“

LMU / RK

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