13.06.2025

Die Quantenphysik des Vergessens

Wichtige Verbindungen zwischen Informationstheorie und Quantenphysik identifiziert.

Wärme und Information – das sind zwei ganz unterschiedliche Konzepte, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Wärme und Energie sind zentrale Begriffe der Thermodynamik, einem wichtigen Gebiet der Physik. Informationstheorie hingegen ist ein abstraktes Thema der Mathematik. Doch schon in den 1960er Jahren konnte der Physiker Rolf Landauer zeigen, dass beides eng miteinander zusammenhängt: Das Löschen von Information ist zwangsläufig mit dem Austausch von Energie verbunden. Man kann einen Datenspeicher nicht löschen, ohne dass Wärme an die Außenwelt abgegeben wird. Dieser verblüffende Zusammenhang spielt heute in der Quantentheorie eine wichtige Rolle. Nun ist es an der TU Wien erstmals gelungen, dieses Phänomen mit Vielteilchen-Quantensystemen zu messen.

Abb.: Thermodynamik und Information hängen eng miteinander zusammen.
Abb.: Thermodynamik und Information hängen eng miteinander zusammen.
Quelle: O. Diekmann / TU Wien

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Tatsächlich ließ sich auch hier Landauers These bestätigen: Wenn ein Quantensystem seinen Zustand vergisst, wenn seine Information gelöscht wird, dann geht das mit dem Austausch von Entropie und Energie zwischen dem Quantensystem und seiner Umwelt einher. „Das Landauer-Prinzip besagt: Das Löschen von Information ist niemals gratis“, sagt Jörg Schmiedmayer vom Atominstitut der TU Wien. „Egal auf welche Weise man Information abspeichert, egal wie sparsam und effizient man vorgeht – das Löschen von einem Bit ist immer mindestens mit einem ganz bestimmten Entropieanstieg verloren, und damit auch mit einem Energieverlust.“ Dieser Grundsatz spielt eine wichtige Rolle für Quantencomputer und setzt prinzipielle Grenzen für Informationsverarbeitung auf Basis der Quantenphysik.

Doch was bedeutet „Löschen“ oder „Vergessen“ nun im physikalischen Sinn? Information kann schließlich auf viele verschiedene Arten verlorengehen. Man kann mit Bleistift geschriebene Information wegradieren. Man kann magnetische Datenträger entmagnetisieren. Man kann aber auch überlegen: Vergisst ein physikalisches System nicht auch Information, einfach indem die Zeit vergeht? Es gibt physikalische Systeme, deren zukünftiger Zustand auf eindeutige und berechenbare Weise aus dem momentanen Zustand folgt. Wenn man etwa die Positionen und Geschwindigkeiten aller Planeten kennt, dann kann man daraus mit sehr großer Präzision ausrechnen, wo sich die Planeten in drei Monaten befinden werden – oder wo sie sich vor drei Monaten befunden haben. Das bedeutet: Hier ist keine Information verlorengegangen. Hier wurden keine Daten gelöscht. Im aktuellen Zustand des Systems ins in gewissem Sinn der frühere Zustand nach wie vor abgespeichert. Er lässt sich prinzipiell rekonstruieren.

In der Quantenphysik ist das prinzipiell auch der Fall – aber nur, bis das Quantensystem mit seiner Umwelt in Kontakt kommt. Wenn man zum Beispiel den Zustand eines Quantenteilchens misst, bringt man es zwangsläufig in Kontakt mit einem Messgerät, Information wechselt vom Quantenteilchen zum Messgerät, damit wird der Zustand des Teilchens verändert – und zwar auf eine Weise, die sich nicht rückgängig machen lässt. Information sickert vom Teilchen in die Umwelt, in einer unumkehrbaren Einbahnstraße. An der TU Wien untersuchte man nun dieses Phänomen mit Hilfe von ultrakalten Atomwolken. Mehrere tausend Rubidium-Atome wurden abgekühlt und an einem Atomchip festgehalten. Dann plötzlich lässt man zwei solche Atomwolken fallen, sie können sich frei ausbreiten und miteinander überlagern. „Nun teilen wir das gesamte System in zwei Teile auf“, sagt Jörg Schmiedmayer. „Ein Teil dient als unser Quantensystem, das wir analysieren, den Rest definieren wir als Umgebung – als Umwelt, mit der unser untersuchtes Teilsystem wechselwirkt.“

Indem man die Interferenz zwischen den beiden Atomwolken genau vermisst, kann man nun ablesen, wie das Teilsystem mit seiner Umwelt wechselwirkt, auf welche Weise Information verloren geht und Entropie übertragen wird. „Es gibt kein Messgerät, um diese Größen direkt zu erfassen“, sagt Jörg Schmiedmayer. „Aber wir haben Methoden entwickelt, aus der Interferenz der Quantenteilchen diese Größen zu berechnen.“ Eine genaue Analyse zeigte: Auch dieses komplizierte Vielteilchen-System hält sich an die Regeln von Rolf Landauer. Das Löschen von Quanteninformation geht tatsächlich mit Entropieübertragung und Energieverlust einher. „Das ist eine wichtige Bestätigung dafür, dass Information und Quantenphysik tatsächlich auf so spannende und tiefe Art miteinander verwoben sind, wie Rolf Landauer dachte“, sagt Jörg Schmiedmayer. „Das bringt uns ein besseres Verständnis künftiger Quantentechnologien – und es bringt uns auch näher an ein Verständnis der grundlegenden Fragen der Quantenphysik, ganz besonders in Bezug auf den immer noch geheimnisvollen Messprozess und das Verhalten von Vielteilchensystemen.“

TU Wien / JOL

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