17.10.2014

Die rätselhafte Kettenfontäne

Eine aus einem Becher herausfallende Kugelkette steigt unerwartet wie eine Fontäne steil nach oben auf, bevor sie zu Boden fällt. Wie kann das sein?

Wenn man das Ende einer in einem Becher liegenden Kette über den Rand hebt und sich selbst überlässt, erwartet man, dass sie sich langsam aus dem Becher herauswindet. Denn sobald der überhängende Teil der Kette schwerer ist, als das kurze, im Becher aufragende Kettenteil, zieht der äußere Teil den inneren kontinuierlich heraus. Aber was man bei einem solchen Versuch dann tatsächlich erlebt, bringt den Laien ebenso wie den physikalisch Vorgebildeten zum Staunen: Die Kette rutscht nicht einfach über den Rand des Bechers, sondern erhebt sich in die Höhe, so dass der Rand nicht einmal berührt wird. Sie steigt wie eine Wasserfontäne auf, verbiegt sich bogenförmig, um dann zu Boden zu stürzen.

Video der Kettenfontäne mit 240 Bildern pro Sekunde (Video: Schlichting, Ucke).

Entdeckt wurde dieses Phänomen durch reinen Zufall. Ein Video des Vorgangs im Internet wurde in kurzer Zeit von Millionen von Menschen angesehen: eine Seltenheit bei physikalischen Vorgängen.

Angetrieben wird der Fall von der an dem längeren Kettenteil angreifenden Schwerkraft. Die Kette muss aber außerdem in irgendeiner Weise von ihrer Unterlage abgestoßen werden, um sich nach oben zu bewegen. Das geschieht auf folgende Weise. Schaut man sich den Beginn der Bewegung der Kette etwas genauer an, so erkennt man, dass die waagerecht liegenden Elemente nacheinander aufgehoben und nach oben gezogen werden. Dabei fällt auf, dass die Kette aufgrund ihrer Konstruktion keinen rechten Winkel zwischen dem aufsteigenden und dem noch liegenden Element bilden kann. Denn die winzigen Verbindungsdrähte, welche die einzelnen Kugeln in gewissen Grenzen beweglich miteinander verbinden, sind dafür zu kurz: Bei der Krümmung der Kette berühren sich die Kugeln schließlich und verhindern eine weitere Krümmung (Abbildung).

Links die verwendete Kette, rechts Schemazeichnung zur Erklärung des Abstoßvorgangs vom Untergrund.

Faktisch besteht die Kette also aus starren, stabähnlichen Elementen. Diese Versteifung hat weit reichende Folgen. Wenn ein Element an einem Ende aus der Waagerechten in die Senkrechte gehoben wird, steigt es nicht nur auf, sondern dreht sich auch. Diese Bewegung hätte im hypothetischen Fall eines völlig frei beweglichen Elements keine weiteren Konsequenzen. Wenn aber das Element auf einer festen Unterlage liegt, verhindert diese, dass sich das andere Ende nach unten bewegt. Es kollidiert gewissermaßen mit der Unterlage, und diese übt umgekehrt eine Reaktionskraft auf das hochgezogene Ende des Elements aus. Insgesamt gesehen wird die Kette also nicht nur hochgezogen, sondern auch gleichzeitig von der Unterlage abgestoßen. Dieser für jedes einzelne Kettenelement wirkende Vorgang ist der entscheidende Grund dafür, dass sich die Kette insgesamt zu einer bestimmten Höhe erhebt.

H. Joachim Schlichting, Christian Ucke

Der vollständige Artikel mit quantitativen Abschätzungen, weiterführenden Erklärungen und Abbildungen ist in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit erschienen (frei nur für Abonnenten).

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