16.02.2021

Die Teile und das Ganze

Lösungsmethode für Marginalproblem zeigt vielfältige Anwendungsmöglichkeiten in der Quanteninformationsverarbeitung.

In der Quantenphysik werden Systeme von Elementar­teilchen durch Wellenfunktionen beschrieben. Diese Wellenfunktion enthält alles, was man über das System wissen kann. Kann man aber aus Wellen­funktionen einzelner Atome auch Rückschlüsse auf die Wellen­funktion eines großen Moleküls ziehen? Dies ist das Marginalproblem, das von großer Bedeutung für verschiedene Anwendungen ist, von der Chemie bis zur Konstruktion von Quanten­computern. Für dieses mathematische Problem haben Physiker der Universität Siegen und Universität Düsseldorf jetzt eine Lösungsmethode entwickelt. 
 

Abb.: Ein Beispiel für mögliche Schatten eines komplizierten Objektes. Je...
Abb.: Ein Beispiel für mögliche Schatten eines komplizierten Objektes. Je nach Projektion ergibt sich ein unterschiedlicher Buchstabe. (Foto: HHU / Nikolai Wyderka)

Das Marginalproblem lässt sich vereinfacht mit der Frage veranschaulichen, ob der Schatten auf die tatsächliche Beschaffenheit eines Gegen­standes schließen lässt. Wenn man einen Gegenstand, etwa eine Skulptur, in einem Raum betrachtet, ist es sehr leicht, festzustellen, welche Schatten er wirft. Einerseits kann man den Schatten einfach beobachten, indem man die Skulptur von verschiedenen Seiten beleuchtet, andererseits gibt es auch mathematische Methoden, einen Schatten zu berechnen. Die umgekehrte Frage, wie man aus gegebenen Schatten­bildern auf den Gegenstand schließt, ist jedoch nicht so einfach. Existiert ein Gegenstand mit vorgegebenen Schatten überhaupt? Und wenn ja, wie sieht er aus? Dieses Beispiel verdeutlicht ein häufig auftretendes Problem in verschiedenen Wissenschaften, nämlich die Beziehung zwischen den Teilen und dem Ganzen: Inwiefern kann aus der Beschreibung von Teilsystemen auf das Gesamt­system geschlossen werden? 

Die entscheidende Idee bei der nun entwickelten Lösungs­methode ist, mehrere Kopien der Situation zu betrachten: Wenn das Problem für vier Teilchen gestellt ist, betrachtet man zuerst ein ähnliches, aber strukturell einfacheres Problem für acht Teilchen. Führt dies noch zu keiner Lösung, kann man noch weiter­gehen und zwölf, sechzehn, oder mehr Teilchen betrachten. „Das ist wie beim Vergleich von mehreren Bildern auf verschiedenen Seiten in einem Buch. Wenn man zwei oder mehr Exemplare des Buches hat und nebeneinander legt, ist es einfacher”, sagt Xiao-Dong Yu, der als Hauptautor die neue Methode entwickelt hat. Er ist seit 2017 als Postdoktorand in der Arbeitsgruppe von Otfried Gühne an der Universität Siegen tätig. 

Ein weiterer Vorteil des neuartigen Zugangs besteht darin, dass er einen fundamentalen Zusammenhang zwischen dem Marginal­problem und der Verschränkung von Teilchen offenbart. Diese Verbindung ermöglicht tiefe Einsichten in verschiedene Anwendungen der Quanten­informations­verarbeitung. Ein Beispiel ist die Konstruktion von Quantencodes, die eine Fehlerkorrektur in zukünftigen Quanten­computern ermöglichen. Deshalb hat diese Methode auch die Gutachter des Fachjournals überzeugt. Er sei sich sicher, dass das Resultat in wenigen Jahren zum Standard­lehrstoff gehöre, schrieb einer von ihnen. 

Als nächstes möchten die Forscher ihr Verfahren auf weitere ungelöste Probleme ausdehnen. Beispiele für weitere Anwendungen sind die mathematische Theorie der Graphen und die Frage, inwiefern die Quanten­mechanik über die klassische Physik hinausgeht. 

U. Siegen / DE
 

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