Diffusionsexperimente auf der ISS
Workshopteilnehmer in Bayreuth ziehen eine erste Bilanz der bisherigen Untersuchungen und entwickeln konkrete Pläne für weitere Forschungsarbeiten.
Experimente im Weltall wären wertlos ohne die vielen wissenschaftlichen Untersuchungen, die zeitgleich am Boden stattfinden. Ein Beispiel dafür sind Messungen zu Diffusionsvorgängen, die seit November 2011 in der Internationalen Raumstation ISS durchgeführt werden. Zum „Bodenpersonal“, das diese Experimente konzipiert und wissenschaftlich begleitet, gehört auch ein Forschungsteam an der Universität Bayreuth unter der Leitung von Werner Köhler.
Die Wissenschaftler an Bord der ISS wollen mit ihren Messungen zu den molekularen Prozessen vordringen, die immer dann ablaufen, wenn sich verschiedene Flüssigkeiten infolge der Eigendynamik ihrer Teilchen vermischen. Im Rahmen dieses von der Europäischen Weltraumorganisation Esa koordinierten Forschungsprojekts DCMIX entwickeln die Bayreuther Physiker ein Präzisionsinterferometer, das zeitgleich mit fünf verschiedenen Lasern arbeitet. Dieses Instrument leistet für die Auswertungen der in der ISS gemessenen Daten einen wesentlichen Beitrag.
Die beteiligten Forscher aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Kanada, den Niederlanden und Spanien trafen sich im Dezember 2011 auf dem Bayreuther Campus zu einem Workshop. Die Teilnehmer zogen eine erste Bilanz der bisherigen wissenschaftlichen Untersuchungen und entwickelten konkrete Pläne für die weiteren Forschungsarbeiten. Andreas Königer, der in Bayreuth derzeit promoviert, stellte dem internationalen Projektteam das Konzept des neuen Präzisionsinterferometers vor.
Der Workshop war bewusst so gelegt, dass bereits erste Rohdaten von den in der ISS durchgeführten Experimenten zur Verfügung standen. Auf dieser Grundlage konnten die Forscher an konkreten Beispielen spezielle Fragen der Datenauswertung diskutieren und technische Probleme bei den aktuell laufenden Messungen lösen. Noch bis Ende 2014 erhalten die Bayreuther dafür vom Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum DLR eine finanzielle Förderung.
Die Untersuchungen zur Diffusion von Flüssigkeiten sind darauf ausgerichtet, Klarheit über grundlegende molekulare Prozesse zu gewinnen, die sich unter Laborbedingungen auf der Erde nur schwer störungsfrei analysieren lassen. Denn um zu fehlerfreien Messergebnissen zu kommen, ist es erforderlich, den Einfluss der Schwerkraft so weit wie möglich zu reduzieren. Dies aber ist – weil die Versuchsreihen mehrere Tage in Anspruch nehmen – nur in der Raumstation möglich.
Der erste Messzyklus in der ISS konnte vor wenigen Tagen abgeschlossen werden. Doch die großen Datenmengen kommen erst im August 2012 auf einer Festplatte zur Erde. Von der Auswertung, die voraussichtlich ein Jahr in Anspruch nimmt, erwarten die Wissenschaftler Fortschritte auf verschiedensten Gebieten. Denn die hier untersuchten grundlegenden physikalischen Effekte spielen bei sehr unterschiedlichen Vorgängen eine Rolle, wie etwa der Bildung von Erdöllagerstätten, der Entstehung des Lebens oder der Charakterisierung großer Kunststoffmoleküle.
U. Bayreuth / OD