Doppelbetazerfall weiterhin nur mit Neutrinos
KamLAND-Zen-Experiment kann Schranke für neutrinolosen Doppelbetazerfall deutlich verbessern.
Der neutrinolose Doppelbetazerfall gilt als einer der heißesten Kandidaten für Physik jenseits des Standardmodells. Trotz jahrzehntelanger Bemühungen ist es bisher nicht gelungen, diesen extrem seltenen Prozess nachzuweisen. Auch das KamLAND-Zen-Experiment sucht nach dem neutrinolosen Doppelbetazerfall. Dank zahlreicher Optimierungen gelang es den Forschern der KamLAND-Zen-Kollaboration nun, die bisherigen Grenzwerte für den neutrinolosen Doppelbetazerfall um einen Faktor sechs zu verbessern. Auch wenn damit der Nachweis weiterhin ausbleibt, so lassen sich damit doch bereits einige indirekte Aussagen machen.
Abb.: Das Innere des KamLAND-Detektors während der Installationsarbeiten. (Bild: KamLAND coll. / Stanford Univ.)
KamLAND ist eigentlich ein Neutrino-Oszillations-Experiment im japanischen Kamioka-Untergrund-Observatorium, eignet sich aber aufgrund seiner hervorragenden Abschirmung gegenüber äußerer Strahlung auch für die Untersuchung des neutrinolosen Doppelbetazerfalls. Beim KamLAND-Zen-Experiment befindet sich in einem 13 Meter durchmessenden äußeren Ballon ein rund drei Meter durchmessender innerer Ballon mit einer xenonhaltigen Szintillatorflüssigkeit. Knapp 2000 Photomultiplier untersuchen mögliche Zerfälle. Das enthaltene Xenon-136 besitzt bereits eine Halbwertszeit von über 1021 Jahren für den normalen Doppelbetazerfall. Obwohl sich das Labor tief unter der Erde in einer stillgelegten Mine befindet, lassen sich hochenergetische Myonen aus der kosmischen Strahlung nicht vollständig abschirmen. Sie bilden neben radioaktiven Isotopen die wichtigste Störquelle.
Der Doppelbetazerfall – auch mit Neutrinos – ist ein Prozess zweiter Ordnung, der auftritt, wenn ein einfacher Betazerfall energetisch verboten ist. Dementsprechend hoch liegen die typischen Halbwertszeiten von Doppelbetazerfällen. Man erwartet von rund 35 natürlich vorkommenden Isotopen, dass bei ihnen ein solcher Zerfall auftritt. Sollten Neutrinos Majorana-Teilchen sein – was im Standardmodell nicht vorgesehen ist –, so wären sie zugleich ihre eigenen Antiteilchen. Diese Idee hat der legendenumwobene Theoretiker Ettore Majorana bereits in den 1930er Jahren vorgestellt. Mit dieser Hypothese ließe sich einerseits der Überschuss an Materie gegenüber Antimaterie im Universum erklären. Und andererseits ermöglicht dies den neutrinolosen Doppelbetazerfall.
Beim Betazerfall wandelt sich üblicherweise ein Neutron in ein Proton, ein Elektron und ein Anti-Elektron-Neutrino um. Beim neutrinolosen Doppelbetazerfall kann nun aber ein Anti-Elektron-Neutrino auch als Elektron-Neutrino von einem Neutron absorbiert werden, so dass lediglich zwei Elektronen den Kern verlassen und die Leptonenzahl um die Anzahl zwei verletzt wird – obwohl sie im Standardmodell eigentlich eine Erhaltungsgröße ist. Die Signatur des neutrinolosen Doppelbetazerfall sollte sich klar gegenüber dem normalen Doppelbetazerfall abheben. Denn letzterer zeigt ein kontinuierliches Energiespektrum, da die Neutrinos einen Teil der Energie unentdeckt nach außen tragen. Im neutrinolosen Fall lässt sich hingegen die Gesamtenergie der Zerfallsprodukte diskret nachweisen.
Bisherige Versuche hatten eine Mindest-Halbwertszeit für den neutrinolosen Doppelbetazerfall von über 1025 Jahren ergeben. Die internationale KamLAND-Zen-Kollaboration konnte diesen Wert nun auf über 1026 Jahre hochschrauben. Dies gelang ihr dank der intensiven Reinigung der Szintillatorflüssigkeit, aus der die Wissenschaftler möglichst alle störenden radioaktiven Kontaminationen entfernten. Die Wissenschaftler werteten Daten aus mehreren Jahren Messzeit aus und konnten so auch die Massen möglicher Majorana-Neutrinos besser eingrenzen. Sie sollten höchstens um die 100 Millielektronenvolt liegen.
Die Messungen sind bereits sehr empfindlich, wie sich auch an einer interessanten Kuriosität am Rande ablesen lässt. Denn radioaktive Verunreinigungen der benutzten Materialien gehören zu den Hauptquellen von Störsignalen. Zu den wichtigsten dieser Quellen gehören Bismuth-214 und Cäsium-134. Das Bismuth stammt aus der natürlichen Zerfallskette von Uran-238, das überall im Gestein zu finden ist. Es verteilt sich als Staub und erzeugt einen konstanten Untergrund. Das Cäsium-134 spielt ebenfalls ein Rolle. Die Forscher konnten anhand eines Vergleichs der Aktivität von Cäsium-134 zu Cäsium-137 sogar ermitteln, dass die Hülle des inneren Ballons durch Fallout der Reaktorkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 kontaminiert worden war – auch wenn sich diese Belastung nur durch Präzisionsmessungen nachweisen ließ.
In Zukunft wollen die Forscher die Empfindlichkeit ihres Experiments weiter erhöhen. Dazu gehören nicht nur größere Mengen an Xenon im inneren Ballon, sondern auch weitere Reinigungs- und Filtermaßnahmen, um störende Radioisotope zu entfernen. Mit Hilfe besserer Datenanalyse wollen die Forscher auch den Untergrund an kosmischen Myonen weiter drücken, so dass sich mögliche Majorana-Massen bis unterhalb von fünfzig Millielektronenvolt eingrenzen lassen sollten.
Dirk Eidemüller
Weitere Infos
JOL