11.08.2023

Doppelte Präzision bei Myon g-2 Messung

Anomale magnetische Moment des Myons wurde nun deutlich genauer gemessen als jemals zuvor.

Die Myon g-2 Kolla­boration hat diese Woche ein mit Spannung erwartetes neues Ergebnis ihrer Messung des anomalen magnetischen Moments des Myons bekannt gegeben. Das Resultat ist konsistent mit dem Ergebnis der ersten Messrunde, die Genauigkeit des früheren Ergeb­nisses wird jedoch um den Faktor Zwei verbessert. Diese bisher präziseste Messung des anomalen magnetischen Moments des Myons wurde im Rahmen eines Seminars am Fermilab (FNAL) vorge­stellt.

Abb.: Das Myon g-2 Experiment am supra­leitenden magnetischen Speicherring des...
Abb.: Das Myon g-2 Experiment am supra­leitenden magnetischen Speicherring des Fermilab. (Bild: R. Postel)

Die Arbeitsgruppe um Martin Fertl am Exzellenz­cluster PRISMA+ der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist an der Myon g-2 Kolla­boration beteiligt. „Der neue Wert, den wir heute (10.08.2023) verkünden konnten, untermauert das erste Ergebnis, das wir im April 2021 bekannt gegeben haben“, so Fertl. „Er bringt die Teilchenphysik näher an den ultimativen Showdown zwischen Theorie und Experiment, der neue Teilchen oder Kräfte aufdecken könnte. Hierauf warten wir seit über zwanzig Jahren.“ Das neue experi­mentelle Ergebnis für g-2 basiert auf den Daten der ersten drei Jahre seit 2018. Es enthält die neu ausgewerteten Daten aus der zweiten und dritten Messrunde, sowie die bereits in 2021 publizierten Daten der ersten Runde. Insgesamt wurden dazu mehr als vierzig Milliarden Myonen vermessen. Das Resultat lautet:
g-2 = 0.00233184110 +/- 0.00000000043 (stat.) +/- 0.00000000019 (syst.). Die Messung von g-2 entspricht damit einer Genauig­keit von insgesamt 200 Teilen in einer Milliarde – gegenüber 460 Teilen in einer Milliarde, die mit der Auswertung der ersten sechs Prozent der Daten erreicht und im April 2021 bekannt gegeben wurde.

Mit der neuesten Messung hat die Myon g-2 Kollaboration bereits vorzeitig eines ihrer wichtigsten Ziele erreicht, nämlich eine bestimmte Art von Unsicherheit zu verringern: die durch experimentelle Unzulänglich­keiten verursachte Unsicherheit, die so genannte systematische Unsicherheit. „Das ist eine großartige experi­mentelle Leistung", freut sich René Reimann, Postdoc in der Arbeitsgruppe von Martin Fertl und gemeinsam mit Doktorand Mohammad Ubaidullah Hassan Qureshi maßgeblich an der Analyse des Magnetfelds in dem experi­mentellen Aufbau beteiligt. Während die systematische Unsicherheit mit 68 Teilen in einer Milliarde damit bereits unter dem gesteckten Ziel liegt, wird der größere Aspekt der Unsicherheit – die statistische Unsicherheit – durch die Menge der analysierten Daten bestimmt.

So ergänzt das heute bekannt gegebene Ergebnis das erste Resultat bereits um weitere zwei Jahre an Daten. Das Fermilab-Experiment wird seine endgültige statistische Unsicherheit erreichen, wenn die Forschenden alle sechs Jahre an Daten in ihre Analyse einbezogen haben werden, was in den nächsten Jahren abge­schlossen werden soll. „Unser Ziel, am Ende mit dem neuen Myon g-2 Experiment eine insgesamt um den Faktor vier höhere Genauigkeit von 140 Teilen zu einer Milliarde gegenüber dem Vorgänger­experiment am Brookhaven National Laboratory zu erzielen, erscheint damit sehr realistisch“, sagt Mohammad Ubaidullah Hassan Qureshi.

Physikerinnen und Physiker beschreiben die Funktions­weise des Universums auf der Grundlage des Standard­modells. Indem sie theo­retische Vorhersagen machen und sie mit experi­mentellen Ergebnissen vergleichen, können sie feststellen, ob die Theorie vollständig ist oder ob es Physik jenseits des Standardmodells gibt. Das anomale magnetische Moment des Myons ist in dem Zusammenhang eine sehr wichtige Präzisionsgröße, welche einen der vielver­sprechendsten Tests des Standard­modells ermöglicht. Seit vielen Jahren gibt es hier eine Diskrepanz und die große Frage ist, ob diese echt oder lediglich Folge systematischer Unsicher­heiten in Theorie und Experiment ist.

Myonen ähnlen den Elektronen, sind aber etwa 200 Mal so schwer sind und nur für den millionstel Bruchteil einer Sekunde stabil. Wie das Elektron besitzt das Myon ein magnetisches Moment, das in Gegenwart eines Magnetfelds wie die Achse eines Kreisels präzessiert oder wackelt. Die Präzessions­geschwindigkeit in einem bestimmten Magnetfeld hängt vom magnetischen Moment des Myons ab, das durch den Buchstaben g dargestellt wird; im einfachsten Fall sagt die Theorie voraus, dass g gleich zwei sein sollte. Das Myon g-2-Experiment hat seinen Namen daher, dass das g des Myons immer ein wenig um etwa 0,1 Prozent von der einfachen Erwartung g=2 abweicht. Diese Anomalie wird gemeinhin als das anomale magnetische Moment des Myons bezeichnet.

Die Differenz von g zu 2 ist auf die Wechselwirkungen des Myons mit virtuellen Teilchen in einer Art Quantenschaum zurückzuführen, der es umgibt. Diese Teilchen, die in Sekunden­bruchteilen ständig entstehen und wieder zerfallen greifen wie subatomare Tanzpartner nach der Hand des Myons und verändern die Art und Weise, wie das Myon mit dem Magnetfeld wechselwirkt. Das Standardmodell umfasst alle bekannten Tanzpartner-Teilchen und sagt voraus, wie der Quantenschaum g verändert. Aber es könnte noch mehr geben. Die Physik-Welt ist begeistert von der möglichen Existenz bisher unent­deckter Teilchen, die zum Wert von g-2 beitragen und das Fenster zur Erforschung neuer Physik öffnen würden.

Das Myon g-2 Experiment vermisst die Rotations­frequenz der internen Kompassnadel der Myonen in einem Magnetfeld, sowie das Magnetfeld selbst und bestimmt daraus das anomale magnetische Moment. Der Myonenstrahl wird am Myonen-Campus des FNAL speziell für das Experiment erzeugt. Er weist eine bisher nicht erreichte Reinheit auf. Zur Durchführung der Messung schickte die Myon g-2 Kollaboration wiederholt diesen Strahl von Myonen in einen supra­leitenden magnetischen Speicherring mit einem Durchmesser von vierzehn Metern, wo sie im Durchschnitt etwa eintausend Mal mit nahezu Licht­geschwindigkeit umliefen. Mit Hilfe von Detektoren, die den Ring auskleiden, konnten die Forschenden feststellen, wie schnell sich die Kompass­nadeln der Myonen relativ zu deren Flugbahnen bewegten.

Die Physiker müssen auch die Stärke des Magnetfelds genau messen, um den Wert von g-2 zu bestimmen. Und genau hier liegt die Expertise von Martin Fertl und seiner Arbeitsgruppe: die extrem präzise Vermessung des Magnetfelds im Myonen-Speicherring über die gesamte mehrjährige Messzeit. Bereits an seiner früheren Wirkungs­stätte leitete Martin Fertl dazu die Entwicklung einer Anordnung hoch­empfindlicher Magnetometer, die auf dem Prinzip der gepulsten Kernspin­resonanz basieren. Mehrere hundert dieser Messköpfe sind in den Wänden der die Myonen umgebenden Vakuum­kammern installiert. Weitere siebzehn Messköpfe umrunden ferngesteuert den Speicherring.

„Um unser Präzisions-Ziel zu erreichen, müssen wir in der Lage sein, das Magnetfeld, in dem sich die Myonen bewegen, auf seibzig Teile zu einer Milliarde genau zu vermessen“, rechnet Martin Fertl vor. Für das Fermilab-Experiment wurde ein Speicherring wieder­verwendet, der ursprünglich für das Vorgängerexperiment am Brookhaven National Laboratory gebaut wurde, das 2001 abgeschlossen wurde. Im Jahr 2013 trans­portierte das Team den Speicherring 3.200 Meilen von Long Island, New York, nach Batavia, Illinois. Nach vierjährigen Aufbau­arbeiten startete die Datennahme im Jahr 2018. Seither wurde das Experiment ständig weiter verbessert.

Neben den nun publizierten Messungen aus den ersten drei Jahren sammelte das Experiment für weitere drei Jahre Daten. Am 9. Juli 2023 schließlich schaltete die Kollaboration den Myonenstrahl ab und beendete das Experiment nach sechs Jahren der Daten­erfassung. Im Ergebnis haben sie das Ziel erreicht, einen Datensatz zu sammeln, der mehr als 21 Mal so groß ist wie der Datensatz von Brookhaven.

Die Berechnung der Vorhersage des Standard­modells für das Myon g-2 ist eine große Herausforderung. In der „Myon g-2 Theorie Initiative“ haben sich im Jahr 2017 daher mehr als 130 Physikerinnen und Physiker weltweit zusammen­geschlossen, um sich dieser Herausforderung gemeinsam zu stellen, unter ihnen auch Hartmut Wittig, theoretischer Physiker und Sprecher des Exzellenz­clusters PRISMA+. Im Jahr 2020 gab die Initiative die beste Vorhersage des Standard­modells für das Myon g-2 bekannt, die zu diesem Zeitpunkt verfügbar war. Doch eine neue experi­mentelle Messung der Daten, die in die Vorhersage einfließen, und eine neue Berechnung, die auf einem anderen theo­retischen Ansatz – der Gittereich­theorie – basiert, stehen im Widerspruch zu der Berechnung von 2020. Die „Myon g-2 Theory Initiative“ strebt an, in den nächsten Jahren eine neue, verbesserte Vorhersage zu erstellen, die beide theoretischen Ansätze berück­sichtigt.

JGU Mainz / JOL

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