Drastischer Rückgang des arktischen Meereises
Aktuelle Analyse beruht auf Satellitenmessungen der Eiskonzentration.
Wenn in diesen Septembertagen die Sommerschmelze des arktischen Meereises endet, wird die Eisdecke voraussichtlich auf eine Ausdehnung von etwa 4,4 Millionen Quadratkilometer geschmolzen sein. Das berichten Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Institutes, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung AWI und der Universität Bremen. Die verbleibende eisbedeckte Fläche wird rund 300.000 Quadratkilometer kleiner ausfallen als im vergangenen Jahr, als die Eisdecke auf 4,7 Millionen Quadratkilometer schrumpfte. Gleichzeitig liegt das diesjährige Sommerminimum erneut deutlich unter den Werten von 1979 bis 2006.
Abb.: Meereis nördlich von Grönland: Die Eisabdeckung schrumpft im September auf ein Jahresminimum. (Bild: AWI)
„Das aktuelle Ergebnis bestätigt den besorgniserregenden Abnahmetrend des Meereises in der Arktis, den wir nun schon seit mehr als einem Jahrzehnt beobachten. Auch in der Antarktis, wo die Meereisbedeckung in ein paar Wochen ihr jährliches Maximum erreichen wird, gibt es weniger Eis als im Mittel“, sagt Christian Haas, Leiter der Sektion Meereisphysik des Alfred-Wegener-Instituts. Es ist wahrscheinlich, dass menschliche Emissionen von Treibhausgasen maßgeblich zu dieser Abnahme beigetragen haben. Bei ihrer Analyse berufen sich die deutschen Forscher auf Satelliten-Eiskonzentrationsdaten des Instituts für Umweltphysik der Universität Bremen. Sie weisen das diesjährige Meereisminimum als sechstkleinste Eisausdehnung seit Beginn der Messungen im Jahr 1979 aus. Andere Beobachtungszentren wie zum Beispiel das National Snow & Ice Data Center in den USA geben etwas höhere Zahlen an. „Diese geringen Unterschiede ergeben sich aus der höheren Auflösung unserer Daten und den leicht unterschiedlichen Methoden, die verschiedene Datenzentren zur Berechnung der Eiskonzentration benutzen. Sie zeigen die Unsicherheiten, die selbst moderne Satellitenbeobachtungen des Meereises haben können“, sagt Gunnar Spreen vom Institut für Umweltphysik der Universität Bremen.
Die aktuellen Eiskonzentrationskarten zeigen, dass sich das arktische Meereis in diesem Sommer vor allem im ostatlantischen Sektor und in den russischen Schelfmeeren weit Richtung Norden zurückgezogen hat. „Der deutsche Forschungseisbrecher Polarstern befindet sich gerade auf dem Weg in die Laptewsee. Im Gegensatz zu früheren Expeditionen muss das Schiff diesmal jedoch kein Eis brechen, sondern fährt unbehelligt am Südrand des Eises seinem Zielgebiet entgegen“, berichtet Christian Haas. „Wir haben uns auf eine lange Fahrt durch das Eis eingestellt“, ergänzt Gunnar Spreen vom FS Polarstern. „So wenig Eis nördlich der Nordostpassage gab es nur in fünf Prozent der Sommer zwischen 1979 und 2016.“
In der kanadischen Beaufortsee und dem östlich angrenzenden Kanadischen Archipel mit der Nordwestpassage dagegen gibt es zum Ende dieses Sommers mehr Eis als in den letzten Jahren. Verantwortlich dafür ist ein langanhaltendes Hochdruckgebiet, das die Oberflächenströmung des Beaufort-Wirbels antreibt. Dadurch wurde in den zurückliegenden Monaten dickes, mehrjähriges Eis von Norden in die Beaufortsee transportiert. Gleichzeitig war die Luft über dem Kanadischen Archipel im August bis zu vier Grad kälter als im langjährigen Monatsdurchschnitt. In dieser Region dürfte demzufolge weniger Eis geschmolzen sein.
Von überraschend kompaktem Meereis berichteten auch AWI-Meereisforscher, die Mitte August an Bord des schwedischen Eisbrechers Oden nur mühsam den Nordpol erreichten. „Die Meereissituation in der Arktis unterscheidet sich von Ort zu Ort deutlich und zeigt einmal mehr, dass wir auf Basis der arktisweiten Entwicklung bislang noch keine Vorhersagen über lokale Eisbedingungen machen können. Es gibt noch immer Gebiete, die sogar für Eisbrecher unpassierbar sind. Und wo in diesem Jahr wenig Meereis ist, kann im nächsten Jahr deutlich mehr sein, selbst wenn wir insgesamt deutlich weniger Meereis in der Arktis haben als noch vor zwanzig Jahren“, sagt Christian Haas.
Aufgrund der geringen Eiskonzentration vor der sibirischen Arktisküste konnten Reedereien in diesem Sommer auch deutlich mehr Waren durch die Nordostpassage transportieren als noch im vergangenen Jahr. Die Menge der über die Arktis verschifften Ladung stieg Medienberichten zufolge im Vergleich zu 2017 um achtzig Prozent. Nachdem Tank- und Frachtschiffe inzwischen regelmäßig durch die von Russland kontrollierten Meeresgebiete fahren – oft noch begleitet von Eisbrechern – befindet sich gegenwärtig das erste Containerschiff mit Eisklasse zu Testzwecken auf der Strecke. In der Nordwestpassage dagegen haben Schiffe bislang keine freie Fahrt. „Anders als in den Vorjahren verhindert dichtes Treibeis die Fahrt durch die Inselwelt des Kanadischen Archipels“, sagt der Bremer Meereisexperte Lars Kaleschke. Die kanadischen Behörden sahen sich deshalb Ende August gezwungen, eine Eiswarnung besonders für kleinere Schiffe und Segelyachten auszusprechen. Die Gefahr, dass sie vom Treibeis gefangen und zerdrückt würden, sei zu groß.
AWI / JOL