Drehkraft aus dem Nichts
Casimir-Drehmoment führt zur Rotation von Flüssigkristallen.
Flüssigkristalle sind vor allem aus LCD-Bildschirmen bekannt. Je nachdem, wie die Orientierung verschiedener Kristallschichten eingestellt ist, lassen sie Licht entweder durch oder blockieren es. Dies liegt daran, dass Flüssigkristalle die Polarisationsrichtung von Licht beeinflussen können. Dabei lassen sich Flüssigkristalle schnell schalten, da sie schon auf geringe Kräfte reagieren. Das macht sie auch geeignet für den Einsatz als Sensor, etwa für Temperatur oder zum Nachweis bestimmter biologischer Moleküle. Dank eines pfiffigen Aufbaus konnte ein Forscherteam aus den USA Flüssigkristalle jetzt aber auch zum Nachweis des Casimir-Drehmoments nutzen.
Die nach dem niederländischen Forscher Hendrik Casimir benannte Casimir-Kraft ist so etwas wie die „Kraft des Vakuums“. Nach der Quantenfeldtheorie gibt es das absolute Nichts nicht, sondern auch teilchen- und feldfreien Raum kommt es ständig zu Vakuumfluktuationen, bei denen virtuelle Teilchenpaare entstehen und wieder vergehen. Nach der Heisenbergschen Unschärferelation können sich diese virtuellen Teilchen für sehr kurze Zeit die für ihre Existenz notwendige Energie aus dem Vakuum „borgen“, um sie dann wieder zurückzugeben. Im freien Raum bewirken diese Vakuumfluktuationen nicht allzu viel. Sie können jedoch im mikroskopischen Bereich zu kleinen, aber nachweisbaren Kräften führen. Der Casimir-Effekt führt zur wechselseitigen Anziehung zweier sehr eng aneinander liegenden, elektrisch leitenden Platten, da die möglichen quantenfeldtheoretischen Moden zwischen den beiden Platten auf die Eigenmoden beschränkt sind, während sie außerhalb im freien Raum praktisch unendlich viele Moden aufweisen können. Dieses Übermaß an von außen wirkenden Vakuumfluktuationen gegenüber denen innerhalb der Platten schiebt die Platten mit einer extrem schwachen, aber messbaren Kraft aufeinander.
Dieser Effekt ist allerdings so gering, dass es rund ein Jahrzehnt dauerte, bis sich die theoretische Vorhersage von 1948 dann auch experimentell nachweisen ließ. Der Casimir-Effekt kann aber nicht nur anziehend wirken, sondern auch für ein winziges Drehmoment sorgen, wie theoretische Arbeiten schon in den 1970er Jahren zeigten. Dazu bedarf es allerdings anisotroper Materialien, sonst heben sich die entsprechenden Kräfte gegenseitig auf. Wissenschaftlern um Jeremy Munday von der University of Maryland ist es jetzt erstmals gelungen, diesen Effekt mit Hilfe von Flüssigkristallen nachzuweisen.
Dazu fixierten sie den Flüssigkristall am einen Ende einer kleinen Zelle mit einem bestimmten Orientierungswinkel. Auf der anderen Seite der Zelle befand sich ein fester, doppelbrechender Kristall, der frei rotieren konnte. Das Casimir-Drehmoment zwischen diesen beiden Materialien sorgte dafür, dass eine winzige Kraft zwischen ihnen wirkte, so dass sich der Winkel der Kristallorientierungen zwischen beiden Seiten der Zelle leicht verdrehte. Zum Nachweis des Effekts diente ein polarisierter Lichtstrahl, den die Forscher durch den Apparat schickten. Das Ganze testeten die Wissenschaftler mit insgesamt vier unterschiedlichen Typen fester Kristalle sowie über viele verschiedene Geometrien.
Die Anordnung nutzte auf geschickte Weise die Tatsache aus, dass Flüssigkristalle sehr empfindlich auch auf kleine Kräfte reagieren und ihre Orientierung sich dementsprechend einstellt. Dabei dienten die Flüssigkristalle einerseits als optisch anisotropes Material, das einen Casimir-Drehimpuls erfahren kann. Und andererseits konnten die Forscher auf diese Weise die Flüssigkristalle dank ihres Einflusses auf die Polarisation von Licht auch zugleich als Sensor einsetzen.
Wie sich zeigte, war nicht nur bei allen Arten von Kristallen der gewünschte Effekt zu sehen, sondern stimmte zudem auch mit den theoretisch erwarteten Werten überein. Das ist zunächst eine interessante Bestätigung einer über vier Jahrzehnte alten Theorie, die sich dank des gewählten Messaufbaus endlich bestätigen ließ. In Zukunft könnte sich dieser Effekt aber sogar technologisch nutzen lassen. Die Forscher halten nano- oder mikroelektromechanische Komponenten für möglich, mit denen sich etwa selbstorganisierende Nanostrukturen entwerfen lassen. Dafür müssten aber wohl Flüssigkristalle, Nanodispersionen oder ähnlich Strukturen mit eigens für den Casimir-Effekt optimiertem Design entwickelt werden, die eine gesteigerte Empfindlichkeit aufweisen, etwa indem sie noch leichter zu rotieren sind. Außerdem könnten Kristallschichten mit bestimmten dielektrischen Eigenschaften das Drehmoment weiter erhöhen.
Dirk Eidemüller