20.12.2018

Drehkraft aus dem Nichts

Casimir-Drehmoment führt zur Rota­tion von Flüssig­kristallen.

Flüssigkristalle sind vor allem aus LCD-Bild­schirmen bekannt. Je nachdem, wie die Orien­tie­rung ver­schie­dener Kristall­schichten ein­ge­stellt ist, lassen sie Licht ent­weder durch oder blockieren es. Dies liegt daran, dass Flüssig­kristalle die Polari­sa­tions­richtung von Licht beein­flussen können. Dabei lassen sich Flüssig­kristalle schnell schalten, da sie schon auf geringe Kräfte reagieren. Das macht sie auch geeignet für den Ein­satz als Sensor, etwa für Tempe­ratur oder zum Nach­weis bestimmter bio­lo­gischer Mole­küle. Dank eines pfiffigen Auf­baus konnte ein Forscher­team aus den USA Flüssig­kristalle jetzt aber auch zum Nach­weis des Casimir-Dreh­moments nutzen.

Abb.: Der Flüssigkristall erfährt durch den Casimir-Effekt eine...
Abb.: Der Flüssigkristall erfährt durch den Casimir-Effekt eine Rota­tions­kraft, die sich durch pola­ri­siertes Licht nach­weisen lässt. (Bild: D. A. T. Somers et al.)

Die nach dem niederländischen Forscher Hendrik Casimir benannte Casimir-Kraft ist so etwas wie die „Kraft des Vakuums“. Nach der Quanten­feld­theorie gibt es das abso­lute Nichts nicht, sondern auch teil­chen- und feld­freien Raum kommt es ständig zu Vakuum­fluktu­a­tionen, bei denen virtu­elle Teilchen­paare ent­stehen und wieder ver­gehen. Nach der Heisen­berg­schen Unschärfe­rela­tion können sich diese virtu­ellen Teil­chen für sehr kurze Zeit die für ihre Exis­tenz not­wen­dige Energie aus dem Vakuum „borgen“, um sie dann wieder zurück­zu­geben. Im freien Raum bewirken diese Vakuum­fluktu­a­tionen nicht allzu viel. Sie können jedoch im mikro­sko­pischen Bereich zu kleinen, aber nach­weis­baren Kräften führen. Der Casimir-Effekt führt zur wechsel­seitigen Anzie­hung zweier sehr eng anein­ander liegenden, elek­trisch leitenden Platten, da die mög­lichen quanten­feld­theo­re­tischen Moden zwischen den beiden Platten auf die Eigen­moden beschränkt sind, während sie außer­halb im freien Raum prak­tisch unend­lich viele Moden auf­weisen können. Dieses Über­maß an von außen wirkenden Vakuum­fluktu­a­tionen gegen­über denen inner­halb der Platten schiebt die Platten mit einer extrem schwachen, aber mess­baren Kraft auf­ein­ander.

Dieser Effekt ist allerdings so gering, dass es rund ein Jahr­zehnt dauerte, bis sich die theo­re­tische Vor­her­sage von 1948 dann auch experi­men­tell nach­weisen ließ. Der Casimir-Effekt kann aber nicht nur anzie­hend wirken, sondern auch für ein win­ziges Dreh­moment sorgen, wie theo­r­etische Arbeiten schon in den 1970er Jahren zeigten. Dazu bedarf es aller­dings aniso­troper Materi­alien, sonst heben sich die ent­spre­chenden Kräfte gegen­seitig auf. Wissen­schaftlern um Jeremy Munday von der Univer­sity of Mary­land ist es jetzt erst­mals gelungen, diesen Effekt mit Hilfe von Flüssig­kristallen nach­zu­weisen.

Dazu fixierten sie den Flüssigkristall am einen Ende einer kleinen Zelle mit einem bestimmten Orien­tie­rungs­winkel. Auf der anderen Seite der Zelle befand sich ein fester, doppel­brechender Kristall, der frei rotieren konnte. Das Casimir-Dreh­moment zwischen diesen beiden Materi­alien sorgte dafür, dass eine winzige Kraft zwischen ihnen wirkte, so dass sich der Winkel der Kristall­orien­tie­rungen zwischen beiden Seiten der Zelle leicht ver­drehte. Zum Nach­weis des Effekts diente ein polari­sierter Licht­strahl, den die Forscher durch den Apparat schickten. Das Ganze testeten die Wissen­schaftler mit insge­samt vier unter­schied­lichen Typen fester Kristalle sowie über viele ver­schie­dene Geo­metrien.

Die Anordnung nutzte auf geschickte Weise die Tatsache aus, dass Flüssig­kristalle sehr empfind­lich auch auf kleine Kräfte reagieren und ihre Orien­tie­rung sich dem­ent­spre­chend ein­stellt. Dabei dienten die Flüssig­kristalle einer­seits als optisch aniso­tropes Material, das einen Casimir-Dreh­impuls erfahren kann. Und anderer­seits konnten die Forscher auf diese Weise die Flüssig­kristalle dank ihres Ein­flusses auf die Polari­sa­tion von Licht auch zugleich als Sensor ein­setzen.

Wie sich zeigte, war nicht nur bei allen Arten von Kristallen der gewünschte Effekt zu sehen, sondern stimmte zudem auch mit den theo­re­tisch erwar­teten Werten über­ein. Das ist zunächst eine inte­res­sante Bestäti­gung einer über vier Jahr­zehnte alten Theorie, die sich dank des gewählten Mess­auf­baus end­lich bestätigen ließ. In Zukunft könnte sich dieser Effekt aber sogar techno­lo­gisch nutzen lassen. Die Forscher halten nano- oder mikro­elek­tro­mecha­nische Kompo­nenten für möglich, mit denen sich etwa selbst­organi­sie­rende Nano­struk­turen ent­werfen lassen. Dafür müssten aber wohl Flüssig­kristalle, Nano­disper­sionen oder ähn­lich Struk­turen mit eigens für den Casimir-Effekt opti­miertem Design ent­wickelt werden, die eine gestei­gerte Empfind­lich­keit auf­weisen, etwa indem sie noch leichter zu rotieren sind. Außer­dem könnten Kristall­schichten mit bestimmten dielek­trischen Eigen­schaften das Dreh­moment weiter erhöhen.

Dirk Eidemüller

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