16.03.2017

Dunkle Materie im frühen Universum

Beobachtungen von fernen Galaxien deuten auf Dominanz von normaler Materie hin.

Neue Beobachtungen lassen vermuten, dass massereiche, stern­bildende Galaxien während der Hochphase der Galaxien­entstehung vor 10 Milliarden Jahren von baryo­nischer Materie dominiert wurden. Das steht im krassen Gegensatz zu heutigen Galaxien, in denen die Effekte der geheimnis­vollen Dunklen Materie viel größer zu sein scheinen – zu diesem über­raschenden Ergebnis kamen Wissen­schaftler aus München und Garching mit dem Very Large Telescope der ESO. Die Erkennt­nisse deuten darauf hin, dass Dunkle Materie im frühen Universum weniger einfluss­reich war als sie es heute ist.

Abb.: Vergleich von rotierenden Scheibengalaxien im fernen Universum und heute. (Bild: ESO / L. Calçada)

Gewöhn­liche Materie sehen wir im Universum als hell leuch­tende Sterne, glühendes Gas und Wolken aus Staub. Dunkle Materie hingegen emittiert, absorbiert oder reflek­tiert keinerlei Licht, sodass wir nur aufgrund ihrer Gravitations­wirkung wissen, dass sie überhaupt existiert. Durch ihre Existenz lässt sich erklären, warum die äußeren Bereiche naher Spiral­galaxien schneller rotieren, als man es erwarten würde, wenn nur normale Materie vorhanden wäre, die wir direkt sehen könnten.

Ein internationales Astrono­menteam unter der Leitung von Reinhard Genzel vom Max-Planck-Institut für extra­terrestrische Physik in Garching konnte nun mit den Instrumen­ten KMOS und SINFONI am Very Large Tele­scope der ESO in Chile die Rotation von sechs masse­reichen Galaxien im fernen Universum messen, in denen Stern­entstehung stattfindet. Da sie so weit von uns entfernt sind, sehen die Forscher die Galaxien zu einem Zeitpunkt, als die Galaxien­entstehung im Universum auf dem Höhepunkt war – vor zehn Milliarden Jahren. Was sie herausfanden, war verblüffend: im Gegensatz zu Spiral­galaxien im modernen Universum scheinen die Außen­bereiche dieser fernen Galaxien langsamer zu rotieren als die inneren Regionen. Das legt nahe, dass im fernen Universum weniger Dunkle Materie vorhanden ist als die Forscher erwartet hätten.

„Über­raschender­weise sind die Rotations­geschwindig­keiten nicht konstant, sondern nehmen nach außen hin ab,“ erläutert Reinhard Genzel. „Vermutlich hat das zwei Gründe: Erstens, in den meisten dieser frühen, masse­reichen Galaxien findet sich hauptsächlich normale Materie, so dass Dunkle Materie eine viel kleinere Rolle spielt als im Lokalen Universum. Zweitens, in den frühen Scheiben geht es deutlich turbu­lenter zu als in den Spiral­galaxien in unserer kos­mischen Nachbars­chaft.“

Beide Effekte scheinen starker ausgeprägt zu sein, je weiter Astro­nomen in der Zeit und damit ins frühe Universum zurück­schauen. Das deutet darauf hin, dass sich drei bis vier Milliarden Jahre nach dem Urknall das Gas in Galaxien bereits in flachen, rotie­renden Scheiben verdichtet hatte, während die Halos aus Dunkler Materie, die sie umgeben, deutlich größer und ausge­dehnter waren. Anscheinend brauchte Dunkle Materie noch mehrere Milliarden Jahre länger, um sich zu verdichten, so dass ihre domi­nierende Wirkung nur an den Rotations­geschwindig­keiten heutiger Galaxien­scheiben zu sehen ist. Diese Erklärung ist im Einklang mit Beobach­tungen, die zeigen, dass frühe Galaxien deutlich kompakter waren und mehr Gas beinhalteten als heutige Galaxien.

Die sechs Galaxien, die in dieser Studie vermessen wurden, gehörten zu einer größeren Stichprobe von hundert fernen Galaxien­scheiben mit Stern­entstehung, die mit den Instru­menten KMOS und SINFONI am Very Large Telescope der ESO am Paranal-Observatorium in Chile abgebildet wurden. Zusätzlich zu den oben beschriebenen einzelnen Galaxien­messungen wurde eine gemittelte Rotations­kurve durch Kombination der schwächeren Signale aus den anderen Galaxien erzeugt. Diese zusammen­gesetzten Kurven zeigten vom Zentrum der Galaxien nach außen denselben Ge­schwindigkeits­verlauf. Darüber hinaus unter­stützen zwei weitere Unter­suchungen von 240 sternbildenden Scheiben diese Erkennt­nisse. Detaillierte Modelle zeigen, dass normale Materie in der Regel im Durch­schnitt etwa die Hälfte der Gesamt­masse aller Galaxien ausmacht, wohingegen die Dynamiken von Galaxien mit den höchsten Rotver­schiebungen voll­ständig von ihr dominiert werden.

ESO / JOL

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