Durchdringend und neutral
Das Institut Laue-Langevin wurde vor 50 Jahren gegründet. Seitdem hat es sich als internationales Zentrum für die Forschung mit Neutronenstrahlen etabliert.
Mit einem Festakt feierte das Institut Laue-Langevin (ILL) in Grenoble, eines der weltweit führenden Neutronenforschungszentren, am 19. Januar sein 50-jähriges Bestehen. An diesem Datum hatten im Jahr 1967 die Forschungsminister von Frankreich und Deutschland, Alain Peyrefitte und Gerhard Stoltenberg, den Vertrag zum Bau und Betrieb eines Hochflussreaktors für die Forschung mit Neutronen unterzeichnet. Initiatoren waren der französische Physik-Nobelpreisträger Louis Néel und Heinz Maier-Leibnitz, der Begründer der Neutronenforschung in Deutschland.
Blick in das Innere des Hochflussreaktors HFR am Institut Laue-Langevin. Unter mehreren Metern Wasser befindet sich der Stahlbehälter, in dem die Neutronen erzeugt werden. Von dort führen Leitrohre seitlich in die Experimentierhalle. (Foto: ILL/Jean-Luc Baudet)
Da das Neutron die einzige Sonde ist, die sowohl die Atomkerne als auch die magnetischen Eigenschaften der Elektronen „sehen“ kann, eignen sich Neutronen besonders gut, um Prozesse in komplexen Molekülen zu untersuchen. Sie erlauben es, die Struktur und Position aller einzelnen Atome eines Moleküls und deren Dynamik auf kleinsten Energieskalen zu bestimmen. Neben der Grundlagenforschung profitieren auch praktische Anwendungen von der Untersuchung mit Neutronen, etwa die zerstörungsfreie Materialprüfung.
1971 gelang es am ILL erstmals Neutronenstrahlen zu erzeugen, 1972 begannen die ersten Experimente. Großbritannien trat dem ILL 1974 als dritter Gesellschafter bei. Weitere 13 Länder folgten als wissenschaftliche Mitglieder, darunter Spanien, die Schweiz, Österreich und Italien. Erstes nichteuropäisches Mitgliedsland wurde 2012 Indien.
Hauptgeldgeber des ILL sind nach wie vor Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Deutscher Gesellschafter des ILL ist zu 33 Prozent das Forschungszentrum Jülich, das in Abstimmung mit dem Bundesforschungsministerium (BMBF) diese Funktion übernimmt. Das BMBF fördert das ILL mit circa 21 Millionen Euro jährlich.
Das ILL hat ein Budget von 98 Millionen Euro (2016) und beschäftigt fast 500 Mitarbeiter. Jedes Jahr kommen über 1200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus rund 30 Ländern nach Grenoble, um an den mittlerweile 40 hochkomplexen Instrumenten Forschung mit Neutronenstrahlen zu betreiben, von der Physik der kondensierten Materie über Chemie und Biologie bis zur Materialwissenschaft.
ILL-Direktor Helmut Schober (2. v.l.) begrüßte beim Festakt unter anderem Beatrix Vierkorn-Rudolph vom BMBF (6. v.l.), den französischen Staatssekretär für den Bildungsbereich, Thierry Mandon (3. v.r.) sowie den deutschen und britischen Botschafter in Frankreich (von rechts: Nikolaus Meyer-Landrut und Lord Llewellyn, Foto: ILL).
Insgesamt sind im Laufe der Jahrzehnte mehr als 20000 wissenschaftliche Veröffentlichungen am ILL entstanden. Duncan Haldane, einer der drei Physik-Nobelpreisträger von 2016, arbeitete von 1977 bis 1981 in der Theorie-Gruppe des ILL und begann dort mit seinen bahnbrechenden Arbeiten über eindimensionale Quantenflüssigkeiten und Spinketten. Bei der experimentellen Untersuchung dieser Systeme spielt die Neutronenforschung eine wichtige Rolle. Wichtige Forschungsergebnisse des ILL der letzten Jahre sind die bislang genaueste Bestätigung von Einsteins Formel E=mc2 und die Entdeckung neuer Eis-Phasen, zuletzt Eis XVI, die Form von Eis mit der bislang geringsten Dichte.
Neben dem ILL stehen außerdem die Forschungsreaktoren München II in Garching und BER II in Berlin als nationale Einrichtungen zur Forschung mit Neutronen zur Verfügung. Zurzeit wird in Südschweden die Europäische Spallationsquelle ESS errichtet, die weltführende Neutronenquelle der nächsten Generation. „Dem ILL wird auch das nächste Jahrzehnt über die Rolle des Flaggschiffs innerhalb der europäischen Neutronenforschungsflotte zufallen. Es wird dieser Rolle gewissenhaft nachkommen und auf diese Weise die Nutzergemeinde auf die Europäische Spallationsquelle ESS vorbereiten“, betont ILL-Direktor Helmut Schober.
Alexander Pawlak / ILL / BMBF