05.09.2022

Echtzeitfähige 5G-Kommunikation

Fraunhofer-Institute starten 5G-Kommunikationsinfrastruktur echtzeitfähige Edge-Cloud-Anwendungen.

Das Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut (HHI) hat zusammen mit den Fraunhofer-Instituten FOKUS und IPK im Auftrag der German Edge Cloud (GEC) und dem Innovations­cluster 5G Berlin e.V. eine echtzeitfähige Kommunikations­infrastruktur zur Erprobung industrieller Anwendungen in 5G-Standalone-Campusnetzen in Betrieb genommen. Als eines der ersten operativen, verteilten 5G-Standalone-Campusnetze in Deutschland mit heterogener Funktechnik soll es als Testumgebung für zukünftige echtzeit­fähige Edge-Cloud-Anwendungen in der Industrie 4.0 dienen.

 

Abb.: 5G Edge Cloud (Bild: metamorworks/Shutterstock.com)
Abb.: 5G Edge Cloud (Bild: metamorworks/Shutterstock.com)

Deutschland gehört international zu den Vorreitern bei der privaten Nutzung von 5G und dem Aufbau von Campusnetzen, also lokalen und kunden­spezifisch angepassten 5G-Mobilfunknetze. Die nun in Betrieb genommene 5G-Kommunikationsinfrastruktur soll diesen Vorsprung weiter ausbauen. Die verteilten Campusnetze nutzen Glasfaser­verbindungen, um eine Edge Cloud am Fraunhofer HHI mit dem Fraunhofer FOKUS und dem umfangreichen Maschinenpark sowie 5G-Funkzellen am Fraunhofer IPK echtzeitfähig zu vernetzen. Die Edge Cloud dient dabei sowohl als Plattform für das 5G-Kernnetz (Open5GCore des Fraunhofer FOKUS) als auch für die Software basierend auf künstlicher Intelligenz (KI) für die Auswertung von Sensordaten (HHI) und zur Steuerung der Maschinen (IPK). Neben industriellen 5G-Anwendungen nutzen Forschungsteams die Infrastruktur zur Weiter­entwicklung von Netzwerk­technologien in Richtung 6G, insbesondere im Hinblick auf ein zukünftiges offenes 5G/6G-Ökosystem.

An allen drei Berliner Standorten stehen der IEEE Time Sensitive Networking (TSN)-Standard für die kabelgebundene Echtzeit­kommunikation sowie 5G-Campusnetze zur Verfügung. Dieses Setup vernetzter und verteilter Netzwerk­infrastruktur inklusive Maschinenpark bietet einmalige Voraussetzungen für innovative, realitätsnahe Proof-of-Concept-Demonstrationen. Die Kommunikations­infrastruktur steht ab sofort Kunden und Partnern aus Industrie und Forschung für gemeinsame Projekte zur Verfügung.

Erste Demonstrationen wurden bereits realisiert. Um etwa die industrielle Anwendung einer ferngesteuerten Video­inspektion zur Qualitäts­kontrolle zu testen, wurde gemeinsam mit dem Industrie­partner GEC eine Produktions­zelle am Fraunhofer IPK, die aus einem Roboter, einem Förderband sowie flexibel einsetzbaren 2D-Industriekameras bestand, vom Fraunhofer HHI aus in Echtzeit per TSN über Glasfaser gesteuert. Die vom Fraunhofer HHI entwickelten Machine Vision-Modelle zur Erfassung von Hand­positionen und Handgesten der Benutzer, der Bauteil­identifikation und Positions­verfolgung haben die Videosignale aus der entfernten Produktions­zelle in Echtzeit auf der Edge Cloud verarbeitet. Dabei wurde optisches Wellenlängen-Multiplexing (DWDM: Dense Wavelength Division Multiplexing) verwendet. Dies ermöglicht extrem niedrige Latenzen für die Übertragung der Videosignale aus der Maschinenhalle in die Edge Cloud sowie die der Steuersignale in umgekehrter Richtung. Dies ist eine der ersten TSN-Verbindungen über DWDM, die in einem Szenario der industriellen Automatisierung bisher umgesetzt wurde.

„In diesem Projekt konnten wir einen ambitionierten Videoanalyse-Demonstrator umsetzen, in dem unsere KI-basierte Bauteil- und Handgesten­erkennung mit der Aktorik-Steuerung des IPK in die Edge Cloud ausgelagert und per TSN und 5G vernetzt wurden. Dies stellt eine wichtige Grundlage für die Flexibilisierung und Kosten­reduktion von zukünftigen Mensch-Roboter-Interaktions­szenarien dar,“ so Paul Chojecki, Projektleiter am Fraunhofer HHI für den Videoanalyse-Use-Case.

Am Fraunhofer HHI wurde darüber hinaus in Kooperation mit der GEC ein KI-Dienst­plattform für sicheres Maschinelles Lernen (ML) an verteilten Standorten entwickelt. Diese KI-Dienstplattform (DLFi - Distributed Learning Framework) ermöglicht durch verteiltes Lernen das kollaborative Training von ML-Modellen, ohne dass die Trainingsdaten an eine zentrale Instanz übermittelt werden müssen. Dies trägt signifikant zur Sicherheit sensibler Daten im industriellen Kontext bei.

Ein weiterer erprobter Use Case ist die cloud-basierte Steuerung und Navigation für fahrerlose Transport­systeme (FTS). Gemeinsam mit dem Industrie­partner Gestalt Robotics hat das Team die Steuerung und Navigation für ein 5G-fähiges FTS für die Ausführung in der Edge Cloud entwickelt. Darüber hinaus konnte die Steuerung einer Roboterzelle in Form von Micro-Services virtualisiert sowie die Zusammenarbeit zwischen FTS und Roboterzelle im Produktionsprozess gezeigt werden. Dabei erwies sich eine stabile Kommunikations­verbindung mit geringer Latenz zwischen FTS, Roboterzelle und Edge Cloud als wichtige Voraussetzung.

Über die industrielle Anwendung hinaus wird das offene Campusnetz von den Forschungsteams auch dafür genutzt, Netzwerktechnologien in Richtung 6G weiter zu entwickeln, insbesondere im Hinblick auf ein zukünftiges offenes 5G/6G-Ökosystem. Dies wird basierend auf einer Ende-zu-Ende-Virtualisierung der Infrastruktur, einer Disaggregation von Funkzugangs­netz- (Radio Access Networks, RAN) und Kernnetz­funktionen sowie der Etablierung offener Schnittstellen, wie sie in aktuellen OpenRAN-Ansätzen vorgeschlagen werden, erforscht.

„Mit dieser umfassenden Infrastruktur haben wir mit den beteiligten Partnern eine einzigartige Testumgebung für neue industrielle Anwendungen, Kommunikations- und Cloud­technologien im urbanen Umfeld geschaffen,“ kommentiert Johannes Fischer, Gruppenleiter am Fraunhofer HHI und Gesamt­projektleiter. „Sie bietet unseren Partnern vielfältige Möglichkeiten, um neue Prototypen und Funktionsmuster in einer relevanten Einsatz­umgebung zu testen.“

„Mit der uns nun zur Verfügung stehenden Infrastruktur aus 5G-Netz und Edge-Cloud haben wir am Fraunhofer IPK die Möglichkeit, die Anforderungen für die Automatisierungs­technik in einem industrienahen Umfeld zu ermitteln. So können wir gezielt die Entwicklung treiben. An Hand der erzielten Erfahrungen können wir unsere Partner aus der Industrie bestmöglich beim Einsatz ähnlicher Infrastruktur beraten,“ sagt Jörg Krüger, Bereichsleiter Automatisierungstechnik am Fraunhofer IPK.

„Die Herstellerneutralität unseres verteilten Fraunhofer-Campusnetzes fördert eine innovative, offene Netz­infrastruktur, da so die leistungsstärksten Komponenten verschiedener Hersteller – je nach Bedarf – kombiniert werden können,“ sagt Thomas Magedanz, Leiter des Geschäftsbereichs Software-based Networks am Fraunhofer FOKUS. „Ich bin fest davon überzeugt, dass der Trend zu hoch­spezialisierten privaten (Campus-)Netzen die Zukunft der mobilen Telekommunikation prägen wird. Virtuelle, also Software-basierte Netze sind hierbei von zentraler Bedeutung. Sie ermöglichen eine effiziente Realisierung anwendungs­spezifischer und insbesondere dynamisch optimierbarer Campusnetze und im Hinblick auf 6G eine kontinuierliche Verbesserung des Netzes ohne einen Austausch der teuren Hardware.“

„Das Innovationscluster 5G Berlin hat mit seiner offenen und experimentellen Testumgebung für 5G-Standalone-Campusnetze zur Umsetzung der innovativen Industrie 4.0-Anwendungs­szenarien beigetragen,“ kommentiert Erich Zielinski, Vorstand beim Innovationscluster 5G Berlin. Die Kommunikationsinfrastruktur bildet den Abschluss des Forschungsprojektes „Aufbau eines Demonstrators für den Einsatz von 5G, KI und FTS in industriellen Szenarien“, welches die Fraunhofer-Institute im Auftrag von GEC und 5G Berlin e. V. gemeinsam durchgeführt haben.

HHI / DE

 

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