18.09.2018

Effiziente Kühlung mit Magneten

Gedächtnislegierungen eignen sich sehr gut für Kühlkreisläufe.

Der Energiebedarf für Kühl­prozesse wächst schneller wächst als jener fürs Heizen. Zudem können Kühlmittel die Umwelt- und Gesundheits­schäden verursachen. Abhilfe könnte eine neuartige Technologie bringen: Kühlung durch magne­tische Materialien in Magnet­feldern. Forscher der Tech­nischen Univer­sität Darmstadt und des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf HZDR entwickelten die Idee für einen Kühl­kreislauf, der auf dem magne­tischen Gedächtnis spezieller Legie­rungen beruht.

Abb.: Am Hochfeld-Magnetlabor Dresden des HZDR loten Wissenschaftler Potenzial und Grenzen magnetisierbarer Materialien aus. (Bild: A. Wirsig)

Metalle können beim Erwärmen oder Abkühlen ihre magne­tischen Eigen­schaften verändern. „Eisen etwa ist nur unterhalb von 768 Grad Celsius ferro­magnetisch, bei Nickel liegt die Umwandlungs­temperatur bei 360 Grad Celsius“, schildert Oliver Gutfleisch, Professor für Funk­tionale Materialien an der TU Darmstadt. „Umgekehrt werden manche Legie­rungen ferro­magnetisch, wenn man sie erwärmt. Mit diesem Phasen­übergang verbunden ist der magneto­kalorische Effekt: Bringt man Formge­dächtnis-Legierungen knapp unterhalb ihrer Umwandlungs­temperatur in ein äußeres Magnetfeld, springen sie spontan in ihre magne­tische Ordnung und kühlen sich gleichzeitig ab“, beschreibt Gutfleisch. „Je stärker das Magnetfeld, desto stärker die Abkühlung.“

Tino Gottschall, der mittler­weile am Hochfeld-Magnet­labor Dresden des HZDR forscht, und seine Kollegen untersuchten verschiedene Form­gedächtnis-Legie­rungen und ihre Eigen­schaften bis ins Detail: „Bei der Magne­tisierung können sich auch andere Eigen­schaften verändern, zum Beispiel die Dichte – weshalb manche Legierungen ihr Volumen vergrößern.“ Die Physiker fanden heraus, dass ein von außen ausgeübter Druck tatsächlich den Magne­tisierungs­prozess rückgängig machen kann. Dabei erwärmt sich die Legierung.

Der experi­mentelle Nachweis gelang den Wissen­schaftlern schließlich gemeinsam mit Antoni Planes und Lluís Mañosa von der Univer­sität Barce­lona. „Wir benutzten für unsere Versuche eine Legierung aus Nickel, Mangan und Indium, weil sich damit die Umwandlung bei Raum­temperatur auslösen lässt“, so Gottschall. Das Magnetfeld erzeugten die Wissen­schaftler mit den stärksten bislang bekannten Dauer­magneten – neben Eisen und Bor enthalten sie das Seltenerd-Metall Neodym. Damit lassen sich Magnet­felder bis zu einer Fluss­dichte von zwei Tesla erzeugen. „Unsere Legierung kühlt sich unter solchen Bedin­gungen um mehrere Grad ab“, schildert Gottschall, „bei Messungen im HLD haben wir festgestellt, dass bereits eine Milli­sekunde im Magnetfeld für eine dauerhafte Umwandlung ausreicht.“

Im nächsten Schritt des sechs­stufigen Zyklus entfernten die Forscher den Kühlkörper aus dem Magnetfeld, dabei behält dieser seine Magne­tisierung. In Schritt drei kommt er in Kontakt zum Kühlgut und nimmt dessen Wärme auf. Selbst wenn der Kühl­körper dabei wieder die Ausgangs­temperatur erreicht, bleibt er magnetisch. Abhilfe schafft mechanischer Druck: In Schritt vier presst eine Walze den Kühlkörper zusammen. Unter Druck wechselt er in seine dichtere, nicht-magne­tische Form; dabei erwärmt er sich. Wird in Schritt fünf der Druck weggenommen, behält das Material seinen Zustand bei und bleibt entmag­netisiert. Im letzten Schritt gibt die Legierung Wärme an die Umgebung ab, bis sie wieder ihre Ausgangs­temperatur erreicht hat und der Kühl­zyklus erneut beginnen kann.

„Noch vor wenigen Jahren galten Legierungen mit magne­tischem Gedächtnis als unbrauchbar, weil sie sich im Magnet­feld nur einmal abkühlen lassen“, beschreibt Gutfleisch. „Daher orientierten sich die Forschungen weltweit auf Materialien ohne Erinnerungs­effekt. Kühl­schränke, die nach diesem Wirk­prinzip produziert werden, haben allerdings ihren Preis.“ Größter Posten bei den Herstellungs­kosten sind die nötigen Dauer­magnete: „Bei reversibler Magne­tisierung bleibt der Kühl­effekt nur so lange erhalten, wie der Kühlkörper dem Magnetfeld ausgesetzt ist. Selbst im günstigsten Fall muss dafür die Hälfte des Kühl­mittels zwischen Magneten platziert sein. Man braucht dabei viermal so viel Dauermagnet wie Kühlmedium.“ Neodym-Magnete sind die wirk­samsten, aber auch teuersten auf dem Markt. Obendrein gilt das in beträcht­lichem Umfang benötigte Seltenerd-Metall als kri­tischer Rohstoff: Die größten bekannten Vorkommen liegen in China, und der Abbau geht mit viel­fältigen Umwelt­belastungen einher.

Elektro­magnete kommen für die magne­tische Kühlung nicht infrage: Aus physi­kalischen Gründen wäre der Wirkungsgrad geringer als bei der Dampf­kompression, die milliarden­fach in Kühlschränken und Klima­anlagen genutzt wird. Die Forscher sind jedoch überzeugt, dass diese Kühl­technik keine Zukunft mehr hat: „Es gibt einfach keine geeigneten Kühlflüssig­keiten“, sagt Gottschall: „Die heute gebräuchlichen Mittel sind als Wärme­träger hochwirksam, aber tausendfach treibhaus­wirksamer als Kohlendioxid. Für die meisten laufen die Produktions­genehmigungen in Europa demnächst aus. Propan oder Butan kühlen zwar gut, bilden aber mit Luft hoch­explosive Gemische. Ammoniak wiederum ist giftig und korrosiv. Und Kohlen­dioxid kühlt nicht besonders effi­zient.“

Die Zukunft liegt laut Oliver Gutfleisch in festen Kühl­mitteln. „Wir konnten zeigen, dass sich Gedächtnis­legierungen sehr gut für Kühlkreis­läufe eignen“, sagt er. „Wir benötigen deutlich weniger Neodym-Magnete, können dennoch stärkere Felder und einen entsprechend größeren Kühleffekt erzeugen.“ Bis 2022 will er an der TU Darmstadt einen Demonstrator aufbauen, mit dessen Hilfe sich die tatsächliche Kühl­leistung unter Praxis­bedingungen sowie die Energie­effizienz des Verfahrens abschätzen lassen. Dafür erhielt er vom Euro­päischen Forschungs­rat einen ERC Advanced Grant, der mit insgesamt 2,5 Millionen Euro über fünf Jahre verbunden ist. Die Koopera­tion zwischen der TU Darmstadt und dem HZDR könnte helfen, das Prinzip massen­tauglich zu machen: „Wir haben inzwischen Legie­rungen gefunden, die alle gewünschten Eigenschaften samt einem großen magneto­kalorischen Effekt in sich vereinen und dabei komplett ohne Seltene Erden und andere kritische Rohstoffe auskommen“, schildert Tino Gottschall.

HZDR / TU Darmstadt / JOL

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