01.10.2019

Ein digitales Kraftwerksmodell

Betriebsführungsstrategien für einzigartiges Hybridsystem aus Großbatterie und Power-to-Heat-Anlage im Simulationsmodell.

Um die Energiewende erfolgreich gestalten zu können, müssen Energieflüsse sektoren­über­greifend betrachtet werden. Das verleiht dem Gesamt­system mehr Flexi­bilität, um zeitliche Schwankungen im Energie­angebot zwischen Stromnetz, Mobilitäts­sektor und Wärme­bedarf bei gleich­zeitiger Stabili­sierung des Strom­netzes effizient ausgleichen zu können. Vor diesem Hinter­grund erstellt das Institut für vernetzte Energie­systeme des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt derzeit im Rahmen des durch das Bundes­ministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Forschungs­projekts „Hybrid­regel­kraftwerk 2.0“, kurz HyReK, eine digitale Nach­bildung eines realen Kraftwerks, das im Bremer Stadtteil Hastedt Primär­regel­leistung anbietet und dabei die Schnitt­stelle zwischen Stromnetz und Wärme­ver­sorgung besonders effizient nutzt.

Abb.: Ein 15-Megawatt-Batteriespeicher sorgt dafür, dass das...
Abb.: Ein 15-Megawatt-Batteriespeicher sorgt dafür, dass das Hybridregelkraftwerk das Stromnetz mit positiver oder negativer Regelenergie stabilisieren kann. (Bild: swb AG)

Das innovative Kraftwerkskonzept kombiniert eine Großbatterie mit einem Wärme­speicher und einem Elektro­kessel. Ist die Batterie voll, wird über­schüssige Energie, zum Beispiel bei einer frischen Brise in den Offshore-Windparks auf der Nordsee, direkt in Wärme umgewandelt. Diese kann je nach Bedarf gespeichert oder direkt ins Fern­wärme­netz einge­speist werden. Ziel der Energie­forscher ist es, dieses Hybrid­regel­kraftwerk in seiner Flexi­bilität zu optimieren, um mehrere Dienst­leistungen erbringen zu können. Ein zweiter Forschungs­schwer­punkt sieht die ökologische, ökonomische und soziale Bewertung der Potenziale dieses neuartigen Kraft­werks­typs vor. „Die zunehmende Nutzung erneuer­barer Energien verursacht immer stärkere Schwankungen im Strom­angebot. Diese werden bislang mit positiver oder negativer Primär­regel­energie vornehm­lich aus konventio­nellen Kraft­werken ausgeglichen. Wir möchten mögliche Wege aufzeigen, wie sich diese Dienst­leistung mit dem neuen Kraftwerk auch in einem dekarboni­sierten Energie­system erbringen lässt“, erklärt HyReK-Projekt­leiter Theys Diekmann.

Nachdem die neue Kraftwerkstechnologie im Juli 2019 den Betrieb aufgenommen hat, entwickelt das Institut für vernetzte Energie­systeme aktuell ein Simulations­modell auf Basis der Realdaten aus der Anlage. Damit soll experi­mentell im Hochleistungsrechner die Netz­dien­lich­keit analysiert, also geprüft werden, wie sich das Kraftwerk im Detail positiv am Stromnetz verhält. Der Gesamt­verbrauch aus dem Hastedter Versorgungs­gebiet wird anhand von realen Last­profilen berück­sichtigt. Auch werden in der Simulation real­technische Geräte wie zum Beispiel der Wechsel­richter, der die Schnitt­stelle zwischen Batterie und Stromnetz darstellt, mit Unter­stützung des Projekt­partners und Herstellers AEG Power Solutions abgebildet.

„Auf dieser Basis wollen wir die Technik so weiter­entwickeln, dass die Aktivi­täten einzelner Kraft­werks­kompo­nenten nicht separat betrachtet, sondern auf das Gesamt­system­verhalten ausge­richtet werden“, erklärt Diekmann. „Dadurch lassen sich Effizienz und Lebens­dauer des Systems und der Einzel­kompo­nenten optimieren, woraus sich ein wirt­schaft­lich tragfähiges Betreiber­konzept ableiten lässt.“ Wie aussage­fähig die Simulation tatsäch­lich ist, wird im weiteren Projekt­verlauf der Schritt in die simulierte Praxis zeigen: Dann werden die Simulations­daten gemeinsam mit dem Kraft­werks­betreiber, der Bremer swb AG, im Real­labor in die Kraft­werks­technik implemen­tiert. „Dabei werden wir verschiedene Betriebs­arten validieren, zum Beispiel, wie genau die elektrische Energie schonend in die Batterie ein- und ausge­speichert wird“, so Diekmann.

Ergänzend zum Fokus auf das Bremer Hybrid­regel­kraft­werk richtet sich der Blick der Wissen­schaftler auch auf das „große Ganze“, wie Diekmann betont: „Mit dem Simulations­modell können wir bereits heute Energie­szenarien simulieren, die wir für die Zukunft vermuten. Das ermöglicht uns die Identifi­zierung möglicher weiterer Flexibilitäts­optionen rund um das Hybrid­konzept. So wollen wir – neben der Primär­regel­leistung – als weitere System­dienst­leistung mit Hilfe der Power-to-Heat-Technologie Strategien entwickeln, mit denen sich das zukünftige Energie­system auch ohne zusätz­lichen Netz­ausbau gestalten lässt.“ Um heraus­zu­finden, unter welchen Bedingungen sich der Hybrid-Ansatz für Kraftwerke zum Erfolgs­modell entwickeln könnte, erstellt das Institut für vernetzte Energie­systeme parallel eine volks­wirt­schaft­liche Bewertung zu den Umsetzungs­potenzialen in Deutschland und analysiert den Beitrag des Hybrid-Ansatzes zur Flexibi­lisierung des gesamten nationalen Energie­systems. Darüber hinaus werden für das HyReK-Modell auch ökologische, ökonomische und sozio-technische Analysen vorgenommen, um einen ganz­heit­licheren Blick auf das Kraftwerk zu erhalten und Nach­haltig­keits­potenziale früh­zeitig identi­fizieren zu können.

Bereits jetzt lassen die Untersuchungen erkennen, dass die Hybrid-Technologie einen viel­ver­sprechenden Trans­forma­tions­pfad der Energie­wende aufzeigt. „Wir müssen Primär­regel­leistung, die derzeit noch durch über­wiegend fossil betriebene Kraft­werke bereit­gestellt wird, perspek­tivisch durch dekarbo­nisierte Systeme erbringen. Das ist die Heraus­forderung“, unter­streicht Diekmann. „Deshalb erforschen wir mit dem HyReK-Projekt bereits heute mögliche Optionen, wie sich konven­tio­nelle Kraft­werke im künftigen Energie­system durch neue Techno­logien wirt­schaftlich ersetzen lassen.“ Neben technischen Aspekten stehen auch zukünftige Geschäfts­modelle für die Markt­g­estaltung im Fokus der Wissen­schaftler: „Dafür bereiten wir Handlungs­empfeh­lungen vor, die aufzeigen, wie innovative Techno­logien perspek­tivisch wirt­schaftlich und nachhaltig betrieben werden können.“

DLR / RK

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