Ein Elektrolyt aus magnetischen Monopolen
Britische Forscher haben mit Magnetfeldpulsen in einem Kristall magnetische Monopole erzeugt und sie anschließend mehrere Minuten lang nachweisen können.
Britische Forscher haben mit Magnetfeldpulsen in einem Kristall magnetische Monopole erzeugt und sie anschließend mehrere Minuten lang nachweisen können.
Die magnetischen Monopole, die vor zwei Jahren in exotischen magnetischen Kristallen entdeckt wurden, verhalten sich ähnlich wie elektrische Ladungen in Elektrolyten. Diese Analogie hatten britische Forscher um Steve Bramwell am University College London ausgenutzt, um die magnetische Ladung der Monopole zu bestimmen. Jetzt konnten sie zeigen, dass die Analogie auch gilt, wenn man die Kristalle mit einem gepulsten Magnetfeld aus dem Gleichgewicht bringt. Die dabei erzeugten Monopole blieben minutenlang erhalten.
Abb.: Alles universell: Dank seiner magnetischen Monopole zeigt das untersuchte Spineis dasselbe universelle Verhalten im Magnetfeld wie ein herkömmlicher Elektrolyt im elektrischen Feld. (Bild: S. R. Giblin et al., Nature Physics)
Bisher hat man keine freien magnetischen Monopole gefunden, also Quellen der magnetischen Induktion B. Die Monopole, die man in frustrierten ferromagnetischen Kristallen vom Spineistyp nachgewiesen hat, sind materialgebunden. Sie werden von einem Magnetfeld H begleitet, das das B-Feld quellenfrei macht. Trotzdem sind die magnetischen Monopole im Spineis von großem theoretischen und praktischen Interesse: Sie sind eine neue Art von magnetischer Anregung, die man vielleicht in „magnetronischen“ Schaltkreisen nutzen kann.
Die britischen Forscher experimentierten mit Kristallen aus Dysprosiumtitanat (Dy2Ti2O7), die sie auf tiefe Temperaturen zwischen 360 mK und 700 mK gekühlt hatten. Die Dy3+-Ionen bilden ein Diamantgitter, in dem jedes Ion vier nächste Nachbarn hat, die an den Ecken eines Tetraeders sitzen. Mit jedem seiner vier Nachbarn teilt sich das zentrale Ion einen Elektronenspin. Bei sehr tiefen Temperaturen zeigen zwei der vier Spins in den Tetraeder hinein, zwei aus ihm heraus. Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten, sodass der Zustand nicht eindeutig und der Magnet „frustriert“ ist. In Eiskristallen herrschen ähnlich unbestimmte Verhältnisse – daher der Name „Spineis“.
Kommt es zu einer lokalen magnetischen Anregung im Kristall, bei der ein Spin seine Richtung umkehrt, so stört das die Spinbalance („zwei Spins rein, zwei Spins raus“) der beiden Tetraeder, zu denen der umgeklappte Spin gehört. Klappen weitere Spins in benachbarten Tetraedern um, so können diese Störungen unabhängig voneinander durch den Kristall wandern und ihren Abstand vergrößern. Dabei verringert sich ihre magnetische Anziehung, die einem Coulomb-Gesetz folgt. Die Störungen verhalten sich wie magnetische Monopole.
Diese Monopole können magnetisch positiv oder negativ geladen sein, je nachdem ob die Mehrheit der Spins des gestörten Tetraeders nach außen oder nach innen zeigt. Treffen zwei entgegengesetzt geladene Monopole aufeinander, so können sie sich auslöschen. Ähnliches passiert in einem Elektrolyten, in dem durch Ladungstrennung entgegengesetzt geladene Ionen, also elektrische Monopole, entstehen, die sich später wieder mit anderen elektrischen Monopolen neutralisieren können.
Diese Analogie hatten die Forscher vor zwei Jahren genutzt, um die magnetische Ladung der Monopole zu bestimmen. Dabei hatten sie auf eine von Lars Onsager 1934 aufgestellte Theorie für Elektrolyte zurückgegriffen. Sie hatten das Spineis mit einem Magnetfeld aus dem Gleichgewicht gebracht und aus der Schnelligkeit, mit der es ins Gleichgewicht zurückkehrte, auf die Ladungsgröße geschlossen. Nun haben sie gezeigt, dass diese Analogie noch viel weiter geht.
Setzt man einen Elektrolyten einem starken elektrischen Feld aus, so erhöht sich seine Leitfähigkeit, da das Feld zusätzliche freie Ladungen erzeugt. Diesen von Max Wien (1866-1938) entdeckten Effekt konnte Onsagers Theorie quantitativ erklären. Bramwell und seine Kollegen haben nun den magnetischen Wien-Effekt untersucht, indem sie mit einem gepulsten Magnetfeld magnetische Monopole erzeugt haben. Da die entgegengesetzt geladenen Monopole paarweise Dipole bildeten, erhöhte sich das magnetische Moment des Kristalls. Mit einer Spule, die an einen SQUID angeschlossen war, maßen die Forscher, wie sich das magnetische Moment des Kristalls nach dem Ende des Pulses verhielt.
Es dauerte mehrere Minuten, bis das magnetische Moment wieder abgeklungen war. Solange brauchten die Monopole, bis sie sich gegenseitig neutralisiert hatten. Onsagers Theorie folgend stellten die Forscher ein kinetisches Modell auf, das das zeitliche Verhalten der Dichte der Monopole beschrieb. Dabei unterschieden sie zwischen Monopolen, die aufgrund ihrer geringen Entfernung durch magnetische Coulomb-Kräfte aneinander gebundenen waren, und ungebundenen Monopolen, die so weit voneinander entfernt waren, dass die thermische Energie ausreichte, um die gegenseitige Anziehungskraft zu überwinden.
Das kinetische Modell konnte das Abklingen des magnetischen Moments hervorragend reproduzieren, das die Forscher im Anschluss an einzelne Magnetpulse unterschiedlicher Dauer und Stärke beobachtet hatten. Demnach folgte die Relaxation keinem einfachen Exponentialgesetz, da das Auftreten von gebundenen und ungebundenen Monopolen zu einem komplizierteren Verhalten führte. Für Temperaturen oberhalb von 360 mK versagte das Modell jedoch, da die typischen Abstände zwischen gebunden und ungebunden Monopolen sowie der Gitterabstand im Kristall nicht mehr klar voneinander unterscheidbar waren, was zu einem komplizierten Verhalten der Monopole führt.
Bei tieferen Temperaturen verhielt sich der magnetische Elektrolyt nicht nur wesentlich einfacher sondern auch noch universell. Onsagers Theorie zufolge zeigen unterschiedliche Elektrolyte in unterschiedlich starken Feldern im Wesentlichen dasselbe Verhalten: Trägt man die normierte feldabhängige Leitfähigkeit κ(E) gegen die normierte Feldstärke auf, so erhält man eine universelle Kurve für den Wien-Effekt. Alle Messpunkte liegen dann auf dieser Kurve. Bramwell und seine Kollegen konnten nun zeigen, dass auch beim Spineis die Messwerte für κ(B) auf dieser Kurve lagen. Die magnetischen Monopole bilden also tatsächlich einen Elektrolyten.
RAINER SCHARF
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