Ein Gabelstapler für Elektronen
Rasterkraftmikroskop kann präzise Muster aus Elektronenladungen auf Oberfläche erzeugen.
Die Rasterkraftmikroskopie hat sich seit ihrer Erfindung im Jahr 1985 rasant entwickelt und weist heute eine Vielfalt von Mess- und Abbildungsverfahren auf. Sie eignet sich auch zum Schreiben und Auslesen von Informationen auf atomarer Skala. Da die Wechselwirkung zwischen der Nadelspitze von Rasterkraftmikroskopen und der Oberfläche rein mechanisch ist und im Gegensatz zu Rastertunnelmikroskopen kein Stromfluss für die Messung nötig ist, lassen sich beliebige Oberflächen abtasten: Sowohl die Struktur von Metallen als auch von Halbleitern oder Isolatoren lässt sich so bestimmen. Neben der Kontrolle der Atomen wäre für die Nanotechnologie aber auch die Möglichkeit interessant, nur Elektronen hin und her zu bewegen. Bisherige Versuche mit Rasterkraft- oder Rastertunnelmikroskopen, Elektronen gezielt zu verschieben, hatten allerdings mit der Schwierigkeit zu tun, diese Ladungsträger sauber und stabil zu platzieren.
Abb.: Mit Hilfe eines Rasterkraftmikroskops lassen sich Elektronen hin und her schieben. (Bild: T. Dienel, Univ. of Alberta)
Ein Forscherteam um Robert Wolkow von der Universität Alberta hat genau dies nun umsetzen können. Bei ihren Versuchen gelang es ihnen, mit einem Rasterkraftmikroskop einzelne Elektronladungen auf einer Siliziumoberfläche mit atomarer Auflösung anzubringen. Dabei benötigte der Aufbau keine elektrische Spannung an der Mikroskopspitze, sondern die Ansteuerung ist rein mechanisch. Im Gegenteil hätte ein Stromfluss zwischen Mikroskopspitze und der Oberfläche wie bei einem Rastertunnelmikroskop sogar eine stabile Lokalisierung der Elektronenladung verhindert.
Frühere Versuche, mit Hilfe einer elektrischen Spannung an der Nadelspitze zu arbeiten, hatten zu Tunnelströmen geführt, die schwer zu kontrollieren waren. Die einzige Möglichkeit, diese Tunnelströme zu minimieren, bestand dann in einem vergleichsweise hohen Abstand zwischen der Nadelspitze und der Oberfläche in der Größenordnung von einigen Nanometern – was aber zugleich die räumliche Auflösung beeinträchtige, so dass eine atomgenaue Platzierung nicht mehr möglich war.
Die Forscher um Wolkow nutzten für ihre Versuche nun eine besondere Oberfläche: Sie arbeiteten mit einer Siliziumschicht, die freie Valenzen aufwies. Ähnlich wie freie Radikale besitzen einige Atome auf dieser Schicht freie Bindungen, nur dass diese Valenzen nicht beweglich, sondern auf der Oberfläche fixiert sind. Sie besitzen den Vorteil, elektronisch vom Volumenmaterial getrennt zu sein. In ihnen lassen sich deshalb Ladungen lokalisieren, ohne dass man eine dünne Trennschicht zwischen dem Substrat und der Oberflächenstruktur benötigt.
Bereits in früheren Versuchen war es geglückt, den Ladungszustand dieser freien Bindungen etwa über eine elektrische Spannung an einer Mikroskopspitze zu manipulieren. Da eine Präzisionserhöhung mit dieser Methode allerdings schwierig erschien, versuchten die Wissenschaftler einen anderen Ansatz: Sie nutzten die wechselseitige Anziehung zwischen der Mikroskopspitze und den Atomen mit freien Valenzen. Da diese bei sehr kurzen Abständen auftritt, lässt sie sich auch ohne angelegte Spannung durchführen, womit eine hohe Präzision und gleichzeitig eine Kontrolle über einzelne Elektronen möglich wurde.
Der physikalische Mechanismus dahinter liegt in der Orbitalstruktur begründet: Wenn die Mikroskopspitze sich ganz knapp über der freien Bindung befindet, wird das entsprechende Siliziumatom ein kleines Stück weit angehoben. Wie die Analyse zeigte, sind vermutlich Van-der-Waals-Kräfte hierfür verantwortlich. Dabei wandelt sich auch der Bindungscharakter, da die umgebende Elektronenstruktur sich ändert. Das Atom rehybridisiert sich und nimmt einen stärkeren sp3-Charakter an. Daraufhin weist dieses Atom eine Elektronenladung unterhalb der Mikroskopspitze auf.
Die Forscher konnten mit dem Rasterkraftmikroskop bis zu sechs Elektronen gleichzeitig in einem Muster anordnen. Auslesen konnten sie die solchermaßen geschriebenen Elektronenstrukturen, indem sie die Oberfläche in etwas größerem Abstand wieder abtasteten. Die Ladungen blieben über vergleichsweise lange Zeit stabil. Wiederholte Messungen konnten belegen, dass sie im Durchschnitt erst nach gut 15 Sekunden wieder verschwanden.
Zwar dürfte in die Lebensdauer der Elektronenzustände noch ein wenig Arbeit fließen. Aber mit dieser Technik eröffnet sich die Möglichkeit, in Zukunft verschiedene Elektronenmuster atomgenau auf eine Oberfläche zu schreiben, womit sich elektronische Nanoschaltkreise bilden lassen. Da die Versuche auf einer Siliziumoberfläche stattfanden, gehen die Forscher auch davon aus, dass sie Anordnung skalierbar ist und sich ohne allzu viele Schwierigkeiten auch in größerem Maßstab umsetzen lassen sollte. Mit solchen elektronischen Mustern, mit denen sich verschiedene Schaltkreise simulieren lassen, könnte man zum Beispiel neuronale Netzwerke für das Maschinenlernen trainieren.
Dirk Eidemüller
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