19.01.2024

Ein Goldstandard für Rechencodes in den Materialwissenschaften

Umfangreiche Verifizierung bestehender Computercodes für Werkstoffsimulationen.

Physikern und Materialwissenschaftlern stehen eine ganze Reihe von Computercodes zur Verfügung, die das Verhalten von Materialien simulieren und deren Eigenschaften vorhersagen. Um zu überprüfen, ob die Ergebnisse der verschiedenen Codes vergleichbar, schlüssig untereinander und reproduzierbar sind, hat ein internationales Team von Wissenschaftlern die bisher umfassendste Verifikationsstudie zu diesem Thema durchgeführt. Sie bietet einen Referenzdatensatz sowie etliche Leitlinien zur Bewertung und Verbesserung bestehender und neuer Codes.

Abb.: Künstlerische Darstellung der Zustandsgleichungen der Elemente des...
Abb.: Künstlerische Darstellung der Zustandsgleichungen der Elemente des Periodensystems.
Quelle: G. Pizzi, EPFL

Die von Forschern in aller Welt verwendeten Computercodes bilden die Grundlage für zehntausende von wissenschaftlichen Artikeln pro Jahr. Diese Codes basieren in der Regel auf der Dichtefunktionaltheorie. Bei dieser Modellierungsmethode werden mehrere Näherungswerte verwendet, um die ansonsten überwältigende Komplexität der Berechnung des Elektronenverhaltens nach den Gesetzen der Quantenmechanik zu reduzieren. Die Unterschiede zwischen den mithilfe der verschiedenen Codes erzielten Ergebnissen resultieren aus den verwendeten numerischen Näherungen und den ihnen zugrunde liegenden numerischen Parametern. Häufig sind diese Parameter auf die Untersuchung bestimmter Materialklassen oder auf die Berechnung von Eigenschaften zugeschnitten, die für bestimmte Anwendungen wichtig sind, zum Beispiel die Leitfähigkeit für potentielle Batteriematerialien.

In ihrer Studie stellen die Forscher die bisher umfassendste Verifizierung von DFT-Codes für Festkörper vor. Die Arbeit steht in der Nachfolge einer Studie aus dem Jahr 2016, in der vierzig unterschiedliche Berechnungsansätze miteinander verglichen wurden. Dabei wurden für jeden Ansatz die Energien von 71 Kristallen berechnet, von denen jeder einem Element des Periodensystems entsprach. Die Studie kam zu dem Schluss, dass die am häufigsten verwendeten Codes vergleichbare Ergebnisse liefern.

„Diese Arbeit war zwar ermutigend, jedoch hat sie die chemische Vielfalt nicht ausreichend berücksichtigt“, sagt Giovanni Pizzi, Leiter der Materials Software and Data Group am Paul-Scherrer-Institut in der Schweiz. „In dieser Studie haben wir 96 Elemente betrachtet und für jedes von ihnen zehn mögliche Kristallstrukturen simuliert.“ Dabei wurden für jedes der ersten 96 Elemente des Periodensystems vier verschiedene unäre Kristalle und sechs verschiedene Oxide untersucht. Unäre Kristalle sind Kristalle, die nur aus Atomen eines Elements bestehen. Oxide dagegen enthalten auch Sauerstoffatome. Das Ergebnis ist ein Datensatz von 960 Materialien und ihren Eigenschaften, die mit zwei unabhängigen Vollelektronen-DFT-Codes, FLEUR und WIEN2k, berechnet wurden, die explizit alle Elektronen der betrachteten Atome berücksichtigen.

Dieser Datensatz kann nun von jedermann als Bezug verwendet werden, um die Genauigkeit anderer Codes zu überprüfen. Das gilt insbesondere für Codes, die auf Pseudopotenzialen beruhen. Hier werden – im Gegensatz zu Vollelektronen-Codes – die Elektronen, die nicht an chemischen Bindungen beteiligt sind, auf vereinfachte Weise behandelt, was die Berechnung erleichtert. Die Forscher verglichen die Ergebnisse neun solcher Pseudopotenzial-Codes mit denen aus dem Vollelektronen-Code-Datensatz.

Die Studie enthält zudem eine Reihe von Empfehlungen für all jene, die DFT-Code nutzen. Darin enthalten sind Tipps wie man sicherstellen kann, dass Berechnungsstudien reproduzierbar sind, wie man den Referenzdatensatz nutzt, um Verifizierungsstudien zu planen und durchzuführen und wie man den Datensatz um andere Code-Familien oder Materialeigenschaften erweitert. „Wir hoffen, dass unser Datensatz auf Jahre hinaus eine Referenz für das Forschungsgebiet darstellt“, sagt Pizzi.

Die Ergebnisse untermauern die Bedeutung des Referenzdatensatzes. Das nächste Ziel ist, ihn um weitere Strukturen und komplexere Eigenschaften, die mit fortschrittlicheren Funktionalen berechnet werden, zu erweitern. Und es gibt es noch eine weitere Herausforderung: Anstatt sich ausschließlich auf die Präzision der verschiedenen Codes zu konzentrieren, plant das Team, demnächst auch die Kosten in Bezug auf Zeit und Rechenleistung zu berücksichtigen. Dies würde anderen in der Wissenschaftscommunity dabei helfen, den wirtschaftlichsten Ansatz für ihre Berechnungen zu finden.

Parallel zur fachlichen Weiterentwicklung der Code-Verifizierungen hat sich bereits ein großes Konsortium gebildet, das sich nicht in erster Linie mit Molekülen oder Codes befasst. Es hat vielmehr die nächste Generation im Blick. „Wir müssen Doktoranden und Nachwuchswissenschaftler dafür sensibilisieren, wie wichtig die Validierung und Bewertung von DFT-Modellierungsergebnissen ist“, sagt Thomas Kühne, Gründungsdirektor des Center for Advanced Systems Understanding CASUS am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf. „Daher wird das neue Konsortium die Kompetenzen dieser jungen Menschen ausbauen, so dass sie in der Lage sind, künftig Code-Verifizierungsprozesse in ihre Forschungsprojekte zu implementieren. Die Vorteile liegen auf der Hand und umfassen ganz allgemein eine verbesserte Genauigkeit und zudem noch auf die gewünschte Präzision optimierte Rechenkosten.“

HZDR / RK

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