Ein Modell für die molekulare Selbstorganisation

Grundlage für die Beschreibung der Bildung mikroskopischer Muster im technischen und biologischen Kontext.

In der Biologie ist eine genaue Regu­lierung des Zell­inneren von entschei­dender Bedeutung, um die Funktion biolo­gischer Prozesse zu gewähr­leisten. Gleich­zeitig können Zellen sehr komplexe Strukturen mit Tausenden von verschiedenen Arten von Molekülen und Millionen von Protein­kopien sein. Um diese enorme Komplexität zu organi­sieren, sind mehrere Mechanismen erforder­lich, um subzel­luläre Umgebungen zu schaffen, die sowohl definierte als auch dynamische Bedingungen bieten. So ermöglichen beispiels­weise Zell­orga­nellen eine räum­liche Trennung durch die Abgrenzung über Membranen. Aber auch in der zellulären Matrix ist eine struktu­rierte Organi­sation von Biomole­külen erforderlich. Dort können sich spontan biomole­kulare Konden­sate mit einer definierten moleku­laren Zusammen­setzung bilden. Prominente Beispiele für dieses Phänomen sind Stress­granula oder Konden­sate aus genetischem Material. Diese sind von elastischen Struktur­elementen in der Zelle umgeben, wie beispiels­weise dem Zyto­skelett sowie dem Chromatin im Zellkern. Die Frage ist: Wie werden solche Kondensate von den elastischen Strukturen beeinflusst und könnte die Zelle diese Inter­aktion nutzen, um die dynamische zelluläre Umgebung zu kontrol­lieren?

Abb.: Schema­tische Dar­stel­lung des Ver­suchs­auf­baus. Je nach...
Abb.: Schema­tische Dar­stel­lung des Ver­suchs­auf­baus. Je nach Ab­kühl­ge­schwin­dig­keit bilden sich ent­weder mehr Öl­tröpf­chen ähn­licher Größe (links, schnelle Ab­küh­lung) oder weniger größere Tröpf­chen (rechts, lang­same Ab­küh­lung; Bild: E. Vidal-Henri­quez, MPIDS)

Da es in der Praxis nicht möglich ist, das Zusammen­spiel von Millionen von Molekülen in einer Zelle in Echtzeit im Detail zu verfolgen, nutzen die Forscher Modelle, die einzelne Facetten des Phänomens beschreiben. „Wir verwenden Öltröpfchen, um das Material im Zytosol darzu­stellen, und ein Polymer­netz, um das biolo­gische Gerüst zu imitieren“, erklärt Estefania Vidal-Henriquez vom MPI für Dynamik und Selbst­organi­sation in Göttingen. „Die dynamische Entwicklung der Tröpfchen­größe unter bestimmten Bedingungen gibt uns Aufschluss darüber, wie sich biologische Moleküle in einer zellulären Umgebung anordnen würden.“ Das Modell beschreibt die Verteilung der verschiedenen Tröpfchen­größen und ihre relative Häufigkeit. Darüber hinaus berück­sichtigt es, dass die umgebende Matrix aufge­brochen werden könnte – was in etwa eine Neu­anordnung des biolo­gischen Gerüsts nachbildet. Das bedeutet, dass die biomole­ku­laren Kondensate nicht durch die Maschen­weite ihrer Umgebung begrenzt sind, sondern darüber hinaus­wachsen können.

Ein leistungsfähiges Konzept zur Erklärung des Wachstums solcher Kondensate ist die Phasen­trennung. Kurz gesagt: Je nach den Bedingungen werden zwei Substanzen entweder vermischt oder existieren getrennt voneinander. In der Biologie können mehrere Faktoren die Phasen­trennung beein­flussen, beispielsweise der pH-Wert, die Konzen­tration oder die Temperatur. In dem Modell verwendeten die Forscher eine Temperatur­modu­lation, um die Aus­wirkungen der Phasen­trennung und der Tröpfchen­bildung zu unter­suchen. Wurde die Temperatur des Systems langsam gesenkt, beobach­teten die Wissen­schaftler die spontane Bildung von Öltröpfchen, die mit der Zeit größer wurden, indem sie das sie umgebende Material absorbierten. Interes­santer­weise bilden sich bei einer schnelleren Abkühl­geschwin­digkeit mehr, aber kleinere Tröpfchen. Die Geschwin­digkeit, mit der sich ein äußerer Einfluss­faktor ändert, spielt also eine entscheidende Rolle bei der Struktur­bildung.

„Mit unserem Modell beschreiben wir, wie sich die molekulare Zusammen­setzung auf der Mikroskala auf einer elastischen Matrix anordnen lässt“, fasst David Zwicker, Gruppen­leiter am MPI für Dynamik und Selbst­organi­sation zusammen. In Bezug auf den Effekt der Temperatur­modu­lation fügt er hinzu: „Wir erwarten ein ähnliches Verhalten für bio­molekulare Kondensate, die sich oft als Reaktion auf Änderungen der Temperatur, des pH-Werts oder der Protein­konzen­tration in Zellen bilden.“ Das Modell bildet die Grundlage für die Beschreibung der Bildung mikro­sko­pischer Muster sowohl im technischen als auch im biologischen Kontext.

MPIDS / RK

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