16.11.2016

Ein Rotationsgesetz für Scheibengalaxien

Überraschend enger Zusammenhang zwischen der Ver­tei­lung nor­maler und dunk­ler Materie.

Scheibengalaxien wie unsere Milchstraße besitzen nicht nur eine besondere Ästhetik, sie sind auch ein gutes Test­objekt für kosmo­logische Modelle. Bereits seit den 1970er Jahren ist bekannt, dass Scheiben­galaxien anders rotieren, als sie eigentlich sollten. Legt man die Verteilung an sicht­barer Materie in diesen Galaxien zugrunde, wie sie sich über das Leuchten der Sterne nach­weisen lässt, dann müsste von innen nach außen die Rotations­geschwin­dig­keit abnehmen. Je weiter ein Stern vom Zentrum seiner Galaxie entfernt ist, desto geringer müsste die Gravi­tations­kraft und damit auch die Geschwin­dig­keit von Sternen werden.

Abb.: Sculptor-Galaxie in einer Nah­infra­rot-Auf­nahme. (Bild: 2MASS / U. Massa­chu­setts / IPAC-Caltech / NASA / NSF)

Es war deshalb eine große Überraschung und ein erster wichtiger Hinweis auf die Existenz dunkler Materie, als sich heraus­stellte, dass die Rotation von Scheiben­galaxien nicht dieser Regel folgt. Statt­dessen nimmt die Rota­tions­geschwin­dig­keit vom Zentrum her zunächst zu, um dann ein Plateau zu erreichen. Die Erklärung hierfür könnte in der dunklen Materie liegen, über deren Natur bislang weiter nichts bekannt ist. Bei einigen Galaxien ist das Verhältnis von normaler zu dunkler Materie sogar ziemlich extrem: Scheiben mit geringer Massen­dichte weisen zum Teil hunderte Male mehr dunkle als normale Materie auf – und zwar bei allen Radien.

Wie genau die Verteilung von normaler und dunkler Materie mit­ein­ander korre­liert ist, ist aller­dings nicht ganz einfach zu ermitteln, da Galaxien unter­schied­lich groß und unter­schied­lich geformt sind. Ein Forscher­team aus den USA hat nun Scheiben­galaxien in einer bislang uner­reichten Breite unter­sucht, um diese Frage zu beant­worten. Stacy McGaugh und Federico Lelli von Case Western Reserve Univer­sity in Ohio und James Schombert von der Univer­sity of Oregon ist es dabei gelungen, ein über­raschend ein­faches Rota­tions­gesetz für Scheiben­galaxien aufzu­stellen, das auf einen engen Zu­sam­men­­hang zwischen der Verteilung normaler und dunkler Materie hin­weist.

Die Verteilung der sichtbaren Masse ermittelten die Forscher mit Hilfe von Infra­rot-Auf­nahmen. Die Daten stammten aus mehreren Quellen, die wichtig­sten Daten lieferte dabei das Welt­raum­tele­skop Spitzer, das seit 2003 im All ist. Nach dem Auf­brauchen seines Kühl­mittels im Jahr 2009 ist die Tempe­ratur seiner Sensoren von etwa 5 auf 31 Kelvin gestiegen, so dass seitdem nur noch die beiden kurz­welligen Kanäle der Infra­rot­kamera zur Verfügung stehen. Zur Bestimmung der Massen­ver­teilung eignet sich insbe­sondere das Nah­infra­rot bei 3,6 Mikro­metern Wellen­länge. Das ist der kurz­wellig­ste der vier Kanäle der Infra­rot­kamera IRAC von Spitzer. Dieser konnte deshalb in den letzten Jahren weiter gute Daten liefern.

Abb.: Die Rotation von Scheibengalaxien ist streng mit der Ver­tei­lung ihrer sicht­baren Materie korre­liert. (Bild: S. McGaugh et al.)

Die Wissenschaftler ermittelten insgesamt 2700 Daten­punkte aus über 153 Galaxien. Für jeden dieser Punkte verglichen sie die vor­liegende Zentri­petal­beschleu­nigung mit der­jenigen, die nur allein auf­grund der sicht­baren Materie zu erwarten gewesen wäre. Diese beiden Größen erwiesen sich als eng korre­liert – obwohl erstere haupt­säch­lich durch die dunkle Materie bestimmt ist. Dieses Rota­tions­gesetz gilt für eine enorme Viel­falt an Scheiben­galaxien: Die von den Forschern unter­suchten Galaxien unter­schieden sich bis zu einem Faktor 10.000 in der Masse der Galaxien­scheiben und bis zu einem Faktor 1000 in der Scheiben­dichte.

Die Verteilung lässt sich in zwei Bereiche unterteilen: Für charak­teris­tische Beschleu­ni­gungen von rund 3 × 10-9 m/s2 entspricht sie der­jenigen, die anhand der sicht­baren Materie zu erwarten wäre. Das ist etwa im Zentrum großer Galaxien mit dichten Scheiben der Fall, wo sicht­bare Materie domi­niert. Bei niedri­geren Beschleu­ni­gungen macht sich zuneh­mend der Ein­fluss der dunklen Materie bemerk­bar, so dass die beob­achtete Beschleu­nigung zuneh­mend größer wird als anhand der sicht­baren Materie erwartet. Diese Kurve spiegelt auch die seit den 1970er Jahren bekannte Tully-Fisher-Beziehung wider, die die Rota­tions­geschwin­dig­keit von Galaxien mit ihrer Leucht­kraft ver­bindet.

Diese neue, enge Korrelation zwischen sichtbarer und dunkler Materie wirft einige Fragen auf: Warum gehor­chen Galaxien so unter­schied­licher Masse denselben Skalen­gesetzen? Sieht man hier ein End­stadium der Galaxien­evo­lution? Neuere Simu­la­tionen zur Ent­wick­lung von Galaxien deuten auf ähn­liche Verhält­nisse bei den Beschleu­ni­gungen hin. Es stehen aber auch noch weitere Fragen im Raum, die auf den Zusammen­hang zwischen Kosmo­logie und Teil­chen­physik hin­weisen. Und diese über­raschende Erkenntnis könnte auch neues Licht auf die dunkle Materie werfen: Denn die Galaxien­ent­wicklung verläuft anders, falls dunkle Materie mit sich selbst oder sogar mit sicht­barer Materie nicht nur gravi­tativ wechsel­wirkt.

Dirk Eidemüller

RK

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