Ein Rotationsgesetz für Scheibengalaxien
Überraschend enger Zusammenhang zwischen der Verteilung normaler und dunkler Materie.
Scheibengalaxien wie unsere Milchstraße besitzen nicht nur eine besondere Ästhetik, sie sind auch ein gutes Testobjekt für kosmologische Modelle. Bereits seit den 1970er Jahren ist bekannt, dass Scheibengalaxien anders rotieren, als sie eigentlich sollten. Legt man die Verteilung an sichtbarer Materie in diesen Galaxien zugrunde, wie sie sich über das Leuchten der Sterne nachweisen lässt, dann müsste von innen nach außen die Rotationsgeschwindigkeit abnehmen. Je weiter ein Stern vom Zentrum seiner Galaxie entfernt ist, desto geringer müsste die Gravitationskraft und damit auch die Geschwindigkeit von Sternen werden.
Abb.: Sculptor-Galaxie in einer Nahinfrarot-
Es war deshalb eine große Überraschung und ein erster wichtiger Hinweis auf die Existenz dunkler Materie, als sich herausstellte, dass die Rotation von Scheibengalaxien nicht dieser Regel folgt. Stattdessen nimmt die Rotationsgeschwindigkeit vom Zentrum her zunächst zu, um dann ein Plateau zu erreichen. Die Erklärung hierfür könnte in der dunklen Materie liegen, über deren Natur bislang weiter nichts bekannt ist. Bei einigen Galaxien ist das Verhältnis von normaler zu dunkler Materie sogar ziemlich extrem: Scheiben mit geringer Massendichte weisen zum Teil hunderte Male mehr dunkle als normale Materie auf – und zwar bei allen Radien.
Wie genau die Verteilung von normaler und dunkler Materie miteinander korreliert ist, ist allerdings nicht ganz einfach zu ermitteln, da Galaxien unterschiedlich groß und unterschiedlich geformt sind. Ein Forscherteam aus den USA hat nun Scheibengalaxien in einer bislang unerreichten Breite untersucht, um diese Frage zu beantworten. Stacy McGaugh und Federico Lelli von Case Western Reserve University in Ohio und James Schombert von der University of Oregon ist es dabei gelungen, ein überraschend einfaches Rotationsgesetz für Scheibengalaxien aufzustellen, das auf einen engen Zusammenhang zwischen der Verteilung normaler und dunkler Materie hinweist.
Die Verteilung der sichtbaren Masse ermittelten die Forscher mit Hilfe von Infrarot-
Abb.: Die Rotation von Scheibengalaxien ist streng mit der Verteilung ihrer sichtbaren Materie korreliert. (Bild: S. McGaugh et al.)
Die Wissenschaftler ermittelten insgesamt 2700 Datenpunkte aus über 153 Galaxien. Für jeden dieser Punkte verglichen sie die vorliegende Zentripetalbeschleunigung mit derjenigen, die nur allein aufgrund der sichtbaren Materie zu erwarten gewesen wäre. Diese beiden Größen erwiesen sich als eng korreliert – obwohl erstere hauptsächlich durch die dunkle Materie bestimmt ist. Dieses Rotationsgesetz gilt für eine enorme Vielfalt an Scheibengalaxien: Die von den Forschern untersuchten Galaxien unterschieden sich bis zu einem Faktor 10.000 in der Masse der Galaxienscheiben und bis zu einem Faktor 1000 in der Scheibendichte.
Die Verteilung lässt sich in zwei Bereiche unterteilen: Für charakteristische Beschleunigungen von rund 3 × 10-9 m/s2 entspricht sie derjenigen, die anhand der sichtbaren Materie zu erwarten wäre. Das ist etwa im Zentrum großer Galaxien mit dichten Scheiben der Fall, wo sichtbare Materie dominiert. Bei niedrigeren Beschleunigungen macht sich zunehmend der Einfluss der dunklen Materie bemerkbar, so dass die beobachtete Beschleunigung zunehmend größer wird als anhand der sichtbaren Materie erwartet. Diese Kurve spiegelt auch die seit den 1970er Jahren bekannte Tully-
Diese neue, enge Korrelation zwischen sichtbarer und dunkler Materie wirft einige Fragen auf: Warum gehorchen Galaxien so unterschiedlicher Masse denselben Skalengesetzen? Sieht man hier ein Endstadium der Galaxienevolution? Neuere Simulationen zur Entwicklung von Galaxien deuten auf ähnliche Verhältnisse bei den Beschleunigungen hin. Es stehen aber auch noch weitere Fragen im Raum, die auf den Zusammenhang zwischen Kosmologie und Teilchenphysik hinweisen. Und diese überraschende Erkenntnis könnte auch neues Licht auf die dunkle Materie werfen: Denn die Galaxienentwicklung verläuft anders, falls dunkle Materie mit sich selbst oder sogar mit sichtbarer Materie nicht nur gravitativ wechselwirkt.
Dirk Eidemüller
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