20.11.2017

Ein Spin-Eis für jeden Geschmack

Neues Verfahren bringt magnetisches Meta­material in be­lie­bigen Mikro­zustand.

Ein magnetisches Schreibverfahren, mit dem sich Spin-Eis und andere magne­tische Meta­materi­alien in jeden gewünschten Mikro­zustand bringen lassen, hat ein Forscher­team aus Groß­britannien ent­wickelt. Damit konnten sie erst­mals den Grund­zu­stand eines Kagome-Gitters und Ketten von magne­tischen Mono­polen, sowie Zustände mit nega­tiver Tempe­ratur erzeugen.

Abb.: Ein Spin-Eis wird magnetisch beschrieben. Links: Das Bienen­waben­muster aus magne­tischen Drähten unter dem Raster­elek­tronen­mikro­skop. Mitte: Ein Draht wird um­magne­ti­siert (blauer Pfeil), wo­durch zwei (ein­ge­kreiste) magne­tische Mono­pole im Spin-Eis ent­stehen. Rechts: Mehrere Mono­pole leiter­förmig (links) oder ketten­förmig (rechts) an­ge­ordnet. (Bild: J. C. Gart­side et al. / NPG)

Die von Lesley Cohen und ihren Kollegen vom Imperial College London ver­wen­deten Meta­materi­alien bestanden aus streifen­förmigen magne­tischen Nano­drähten, die in einem Bienen­waben­muster auf einer Silizium­oxid­unter­lage ange­ord­net waren. Die Magne­ti­sierung eines solchen Nano­drahts, die in Längs­rich­tung des Drahts zeigte, wurde mit der magne­ti­sierten Spitze eines Raster­magnet­mikro­skops umge­dreht.

Dazu wurde die Spitze des Mikroskops, von der die Magnet­feld­linien radial aus­gingen und von oben in den Draht ein­traten, quer zum Draht in geringem Abstand über ihn hin­weg geführt. Direkt unter der Spitze rief das Magnet­feld einen Magnet­wirbel im Draht hervor, während am Rande des Draht­streifens die Magne­ti­sierung topo­lo­gische Defekte zeigte.

Nachdem die Spitze entfernt wurde, wies die Magnetisierung des Drahts zwei quer zum Draht orien­tierte Domänen­wände auf, die sich schnell von­ein­ander ent­fernten und zu den Draht­enden liefen. Sobald sie diese erreicht hatten, war die Ummagne­ti­sierung des Drahts abge­schlossen. Dieses Ver­fahren nennen die Forscher „topo­lo­gical defect-driven magnetic writing“, also etwa „durch topo­lo­gische Defekte getrie­benes magne­tisches Schreiben“.

Was ihr Schreibverfahren kann, demonstrierten die Forscher an einem Spin-Eis, das auf dem Bienen­waben­gitter reali­siert war. An jedem Gitter­punkt kamen jeweils drei Drähte zusammen. Dabei zeigten höchsten zwei Drähte mit ihrer Magne­ti­sierung oder ihrem Spin zum Gitter­punkt hin oder von ihm weg. Diese „Eis-Regel“ hält die Energie der jeweiligen Spin­konfi­gu­ration mög­lichst gering, dennoch gibt es eine riesige Zahl solcher Mikro­zustände.

Zunächst kehrten die Wissenschaftler die Magnetisierung eines einzelnen Drahts in einem Spin-Eis um, das durch ein äußeres Magnet­feld parallel zur Unter­lage voll­ständig magne­ti­siert war. Dadurch wurde an zwei benach­barten Gitter­punkten die Eis-Regel gebrochen und es ent­standen zwei magne­tische Mono­pole. Indem die Forscher diesen Schritt für andere Drähte wieder­holten, erzeugten sie zahl­reiche Mono­pole, die wie Ketten oder wie die Sprossen von Leitern ange­ordnet waren.

Schließlich stellten sie einen noch wesentlich komplexeren Zustand her, bei dem das Spin-Eis ins­ge­samt keine Magne­ti­sierung auf­wies. Dabei gingen sie von dem voll­ständig magne­ti­sierten Spin-Eis aus und magne­ti­sierten die Hälfte der Drähte um, wobei die Eis-Regel erfüllt bleiben musste. So konnten sie zum ersten Mal experi­men­tell den unmagne­tischen Grund­zu­stand des Kagome-Gitters reali­sieren.

Von diesem Grundzustand ausgehend, konnten sie durch die schritt­weise Ummagne­ti­sierung der Nano­drähte ange­regte Zustände erzeugen, die ein oder mehrere Mono­pol­paare ent­hielten. Mit zuneh­men­der Anre­gungs­energie und Mono­pol­anzahl nahm zunächst die Zahl der mög­lichen Spin­konfi­gura­tionen oder Mikro­zu­stände rasant zu. Doch sobald sich etwa auf einem Viertel der Gitter­punkte magne­tische Mono­pole befanden, nahm die Zahl der mög­lichen Mikro­zustände wieder ab. Saßen schließ­lich auf allen Gitter­punkten Mono­pole, so gab es nur noch zwei dieser höchst­ange­regten Zustände. Sobald aber die Zahl der mög­lichen Mikro­zu­stände mit wach­sender Energie abnahm, ver­ringerte sich auch die Entropie des Systems. Folg­lich wurde die Tempe­ratur, die ein Maß für die Ände­rung der Energie mit der Entropie ist, negativ. Auf diese Weise konnten Lesley Cohen und ihre Mit­arbeiter das magne­tische Meta­material in Zustände mit nega­tiver Tempe­ratur bringen.

Diese nahezu perfekte Kontrolle des Mikrozustands eines Spin-Eises oder eines Meta­materials im All­ge­meinen eröffnet viele Möglich­keiten. Die riesige Zahl der Mikro­zu­stände macht das System inte­res­sant für thermo­dyna­mische Unter­suchungen, für die magne­tische Speiche­rung und Ver­arbei­tung von Daten sowie für neuro­nale Netze. Dabei könnte die gezielte Ummagne­ti­sierung der Nano­magnete statt mit einer Mikro­skop­spitze auch viel schneller durch Ströme in Nano­drähten erfolgen.

Rainer Scharf

RK

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