10.07.2024

Ein Zeitkristall aus Riesenatomen

Rydberg-Atome als Basis für einen sehr exotischen Materiezustand.

2012 ward der Nobelpreisträger Frank Wilczek die Frage auf: Könnte es auch Zeitkristalle geben – also Objekte, die sich nicht im Raum, sondern in der Zeit wiederholen? Und ist es möglich, dass sich auf diese Weise ganz von selbst ein zeitlich-perio­discher Rhythmus ergibt, obwohl man von außen keinen speziellen Takt vorgibt und die Wechsel­wirkung zwischen den Teilchen völlig zeitunabhängig ist? Jahrelang wurde Frank Wilczeks Idee sehr kontrovers diskutiert. Manche hielten Zeitkristalle für prinzipiell unmöglich, andere versuchten, Auswege zu finden und Zeit­kristalle unter gewissen Spezial­bedingungen doch zu realisieren. Auf besonders spekta­kuläre Weise gelang es nun an der Tsinghua Universität in China, einen Zeitkristall zu erzeugen – mit Unterstützung der TU Wien. Man verwendete dafür Laserlicht und Rydberg-Atome, mit einem Durchmesser, der mehrere hundert Mal größer ist als normalerweise.

Abb.: Basis für Zeitkristalle: Rydbergatome sind Atome, bei denen ein Elektron...
Abb.: Basis für Zeitkristalle: Rydbergatome sind Atome, bei denen ein Elektron sehr weit vom Kern entfernt ist.
Quelle: TU Wien

Auch das Ticken einer Uhr ist ein Beispiel für eine zeitlich perio­dische Bewegung. Allerdings ergibt es sich nicht von selbst: Jemand muss die Uhr aufgezogen und zu einem bestimmten Zeitpunkt gestartet haben. Dieser Startzeitpunkt legte dann ganz gezielt den zeitlichen Ablauf des Tickens fest. Bei einem Zeitkristall ist es anders: Da sollte sich, so Wilczeks Idee, ganz spontan eine Perio­dizität ergeben, obwohl es physikalisch eigentlich gar keinen Unterschied zwischen verschiedenen Zeitpunkten gibt. „Die Tick-Frequenz ist durch die physikalischen Eigen­schaften des Systems vorgegeben, aber die Zeitpunkte des Tickens ergeben sich völlig zufällig, man spricht hier von spontaner Symmetrie­brechung“, erklärt  Thomas Pohl vom Institut für Theoretische Physik der TU Wien.

Thomas Pohl leitete den theoretischen Teil der Forschungs­arbeit, der nun an der Tsinghua Universität in China zur Entdeckung eines Zeitkristalls führte: Man strahlte Laserlicht in einen Glasbehälter, der mit Gas aus Rubidium­atomen gefüllt war. Gemessen wurde die Stärke des Lichtsignals, das am anderen Ende des Behälters ankam. „Das ist eigentlich ein statisches Experiment, bei dem kein bestimmter Takt vorgegeben wird“, sagt Thomas Pohl. „Die Wechsel­wirkungen zwischen Licht und Atomen sind immer gleich, der Laserstrahl hat eine gleichbleibende Intensität. Aber überraschender­weise zeigte sich: Die Intensität, die am anderen Ende der Glaszelle ankommt, beginnt in höchst regelmäßigen Mustern zu oszillieren.“

Entscheidend für das Experiment war, die Atome auf besondere Art zu präparieren: Die Elektronen eines Atoms können sich auf unter­schiedlichen Bahnen bewegen, je nachdem, wie viel Energie sie haben. Führt man dem äußersten Elektron eines Atoms Energie zu, kann man erreichen, dass sein Abstand zum Atomkern sehr groß wird. Im Extremfall kann es mehrere hundert Mal weiter vom Atomkern entfernt sein als sonst. Auf diese Weise erzeugt man Atome mit einer riesen­großen Elektronen­hülle – die Rydberg-Atome. „Wenn sich die Atome in unserem Glasbehälter in solchen Rydberg-Zuständen befinden, und ihr Durchmesser riesen­groß wird, dann werden auch die Kräfte zwischen diesen Atomen sehr groß“, erklärt Thomas Pohl. 

„Und dass wiederum verändert die Art, wie sie mit dem Laser wechselwirken. Wenn man Laserlicht so wählt, dass es in jedem Atom zwei verschiedene Rydberg-Zustände gleichzeitig anregen kann, dann ergibt sich eine Art Rückkoppelung, die spontan zu Oszilla­tionen zwischen diesen beiden Atom-Zuständen führen kann. Das wiederum führt auch zu oszil­lierender Licht­absorption“, so Pohl. Der Takt, in den die Riesenatome ganz von selbst hineinfinden, übersetzt sich so in den Takt der Licht­intensität, die am Ende des Glasbehälters ankommt.

„Wir haben hier ein neues System geschaffen, an dem wir unser Verständnis von Zeitkristallen deutlich weiter­entwickeln können, und zwar auf eine Weise, die der ursprünglichen Idee von Frank Wilczek sehr nah kommt“, sagt Pohl. Oszillationen, die sich von selbst präzise am Laufen halten, könnten zum Beispiel für Präzisions-Sensoren verwendet werden. Für solche Techniken wurden auch in anderem Zusammenhang bereits Riesenatome mit Rydberg-Zuständen erfolgreich eingesetzt.“

TU Wien / JOL

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