08.10.2009

Einbahnstraße im photonischen Kristall

Licht wird durch chirale Randzustände nur in eine Richtung geleitet – wie die Elektronen beim Quanten-Hall-Effekt.

Licht wird durch chirale Randzustände nur in eine Richtung geleitet – wie die Elektronen beim Quanten-Hall-Effekt.

In photonischen Kristallen verhalten sich Lichtwellen ähnlich wie die Elektronenwellen in Atomkristallen. Die periodische Kristallstruktur zwingt die Wellen in Frequenzbänder. Liegt die Frequenz einer Welle in der Lücke zwischen zwei Bändern, so kann sie sich nicht im Kristall ausbreiten. Normalerweise haben Kristalle keine Vorzugsrichtung und lassen entgegengesetzt laufende Wellen gleich gut (oder schlecht) durch. Beim Quanten-Hall-Effekt treten jedoch Randzustände auf, die den Elektronen die Bewegung nur in eine Richtung gestatten. Solche Zustände hat man jetzt auch in photonischen Kristallen mit magnetischer Mikrostruktur beobachtet.

Beim Quanten-Hall-Effekt bricht ein Magnetfeld, das auf ein zweidimensionales Elektronengas wirkt, die Zeitumkehrinvarianz der Elektronenbewegungen. Dabei treten am (eindimensionalen) Rand des Elektronengases Randzustände auf, die einen Drehsinn haben: Die Elektronen können auf ihnen nur in einer Richtung den Rand entlanglaufen, sodass sie nicht von Störstellen oder Hindernissen zurückgestreut werden. Diese chiralen Zustände sind eine Konsequenz der nichttrivialen topologischen Struktur der Energiebänder, die diese Zustände gegen Störungen stabil macht. Die Bänder weisen nach Umlaufen der ersten Brillouin-Zone eine von 0 verschiedene Phase oder Chern-Invariante auf. Wie Duncan Haldane und S. Raghu gezeigt hatten, sollten chirale Randzustände unter bestimmten Bedingungen auch für Lichtwellen in photonischen Kristallen auftreten.

 

Abb.: (a, oben) Der photonische Kristall im Modell. Die Ferritstifte haben 4 cm Abstand voneinander. (b, unten) Die vom Experiment bestätigten Berechnungen zeigen, dass die Mikrowellen um ein Hindernis herum laufen, ohne gestreut zu werden. (Bild: Zheng Wang et al., Nature)

Marin Soljacic am MIT und seine Kollegen konnten die Vorhersage von Haldane und Raghu jetzt experimentell bestätigen. Sie haben einen photonischen Kristall für Mikrowellen gebaut, der aus einer zweidimensionalen quadratischen Anordnung von Ferritstiften bestand. Abgeschlossen wurde der Hohlraum zwischen den Stiften durch Deckel, Boden und Seitenwand aus Kupfer sowie zu den übrigen Seiten hin durch mikrowellenabsorbierenden Schaum. Nahe der metallischen Seitenwand befand sich eine Dipolantenne, mit der Mikrowellen in den Hohlraum eingestrahlt werden konnten. Mit einer zweiten Antenne, die acht Gitterkonstanten von der Sendeantenne entfernt nahe der Seitenwand im Hohlraum angebracht war, wurde die dorthin gelangte Mikrowellenintensität gemessen.

Die magnetischen Ferritstifte hatten eine magneto-optische Wirkung auf die Mikrowellen, die die Zeitumkehrsymmetrie der Dynamik brach. Berechnungen der Bandstruktur des photonischen Kristalls hatten ergeben, dass in einer Bandlücke bei etwa 4,5 GHz ein chiraler Randzustand auftreten sollte. Dieser Zustand sollte es den Mikrowellen ermöglichen, an der Metallwand entlang zu laufen – allerdings nur in einer Richtung. Das konnten die Forscher experimentell bestätigen. Die Transmission der Mikrowellen war in „Rückwärtsrichtung“ etwa 50 dB stärker gedämpft als in „Vorwärtsrichtung“. Die Wellen konnten sich entlang der Wand praktisch nur vorwärts ausbreiten.

Anschließend zeigten die Forscher, dass die photonische Einbahnstraße die Ausbreitung der Mikrowellen unempfindlich gegen Hindernisse machte. Dazu führten sie eine Metallplatte in den photonischen Kristall ein, die den direkten Weg der Mikrowellen entlang der Wand vom Sender zum Empfänger blockierte. In einem normalen Wellenleiter werden die Wellen an solch einem Hindernis stark zurückgestreut, sodass die beim Empfänger gemessene Intensität nur sehr gering ist. Für den photonischen Kristall mit chiralem Randzustand hatten die Berechnungen hingegen gezeigt, dass die Mikrowellen kurzerhand um das Hindernis herumlaufen und nahezu ohne Verluste beim Empfänger ankommen. Tatsächlich konnten die Forscher im Experiment beobachten, dass die vom Empfänger gemessen Intensität sich nur wenig abschwächte, selbst wenn das Hindernis mehr als 1,5 Gitterkonstanten in den Kristall hineinragte und den Mikrowellen den Weg nahezu völlig verstellte.

Das Experiment der MIT-Wissenschaftler eröffnet weitreichende Möglichkeiten. Zum einen erweisen sich photonische Kristalle als ein Modell, an dem man systematisch die Eigenschaften von Systemen mit topologischen Quantenzahlen untersuchen kann, die in der Physik der kondensierten Materie von großem Interesse sind. Im aktuellen Fall waren das die Chern-Invarianten der Energiebänder, doch möglicherweise lassen sich auch andere topologische Invarianten realisieren. Gelänge es, photonische Einbahnstraßen auch für infrarotes oder sichtbares Licht herzustellen, so ließen sich die Übertragungseigenschaften von photonischen Glasfasern (optischen Fasern mit einem photonischen Kristall als Mantel) erheblich verbessern, da in ihnen das Licht nicht mehr an Störstellen zurückgestreut werden würde.

RAINER SCHARF

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