Einblicke in Extremzustände der Materie
Erste exakte Berechnung des Phasenübergangs von Nukleonen.
Bei sehr hohen Drücken und Temperaturen verändert sich die Materie in den Atomkernen. Einem internationalen Team von Wissenschaftlern ist es jetzt erstmals gelungen, diesen Phasenübergang exakt zu berechnen. Die Ergebnisse erlauben unter anderem eine genauere Analyse von Gravitationswellen. Diese entstehen etwa, wenn zwei Neutronensterne miteinander verschmelzen. Die Eigenschaften der Wellen ermöglichen daher Rückschlüsse darauf, wie es im Innern von Neutronensternen aussieht.
Im Normalfall verhalten sich Nukleonen wie eine Flüssigkeit: Sie bewegen sich nur langsam und liegen Dank der Kräfte, die zwischen ihnen wirken, relativ dicht und geordnet beieinander. Bei hohen Temperaturen wird ihre Eigenbewegung aber so groß, dass sie aus diesem geordneten Verbund ausbrechen und in die Gasphase übertreten.
„Bislang war es nicht möglich, den Phasenübergang der Nukleonen genau zu berechnen“, erklärt Ulf Meißner vom Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik der Universität Bonn. Anders ausgedrückt: Man wusste nicht exakt, bei welchen Kombinationen aus Druck und Temperatur die Nukleonen gasförmig werden. Die Lösung erfordert so viele komplexe Schritte, dass selbst Hochleistungscomputer überfordert sind. Daher mussten sich die Forscher bislang auf Näherungsverfahren verlassen. Die neue Studie, für die Supercomputer des Forschungszentrums Jülich genutzt wurden, ändert das. „Wir haben eine neue Methode entwickelt, die mindestens um den Faktor 1000 schneller ist“, so Meißner.
Das Verfahren ermöglicht nicht nur die exakte Angabe, wann Protonen und Neutronen in die Gasphase übergehen. Mit seiner Hilfe lässt sich berechnen, wie sich die Kernmaterie unter verschiedensten Bedingungen verhält – auch solchen, die sich auf der Erde nicht nachstellen lassen, wie sie aber etwa im Innern von Neutronensternen herrschen. „Unsere Methode erlaubt es, die Eigenschaften der Nukleonen bei diesen Bedingungen vorherzusagen“, erklärt Meißner. „Dadurch ist es etwa möglich, aus Gravitationswellen, wie sie bei der Verschmelzung von Neutronensternen entstehen, verlässlichere Informationen abzuleiten.“
Eine solche Verschmelzung hat Auswirkungen auf die Eigenschaften der Neutronenmaterie, aus denen die Sterne bestehen, und auf die Gravitationswellen, die von ihnen ausgehen. „Ein exaktes Verständnis dieser Zusammenhänge hilft uns, die Wellen besser zu interpretieren“, sagt Meißner. „Wir können so gewissermaßen in das Innere der Sterne schauen.“
RFWU / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
B.-N. Lu et al.: Ab Initio Nuclear Thermodynamics. Phys. Rev. Lett. 125, 192502 (2020); DOI: 10.1103/PhysRevLett.125.192502 - QCD, Hadronenphysik, effektive Feldtheorien, Symmetrien (U. Meißner), Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn