Eine Bremse für Röntgenstrahlen
Resonante Streuung an Dünnschicht-Eisenprobe kontrolliert Welleneigenschaften von Lichtpulsen und verlangsamt diese 10.000-fach.
Inzwischen gibt es mit Synchrotrons und Freie-Elektronen-Lasern äußerst leistungsfähige Strahlungsquellen für Röntgenstrahlung mit Laserqualität. Dies erweitert das Gebiet der Quantenoptik von der Wechselwirkung mit der Atomhülle auf Strahlungsübergänge in Atomkernen. Physiker aus Heidelberg, Hamburg und Jena haben am Synchrotron PETRA-III des DESY und an der European Synchrotron Radiation Facility ESRF in Grenoble in zwei neuen Experimenten nukleare Quantenoptik an Eisenkernen demonstriert. Im ersten Experiment diente das Röntgenlichts als Werkzeug, um nach der Wechselwirkung präzise Informationen über die untersuchten Eisenkerne zu erlangen. Im zweiten Experiment waren die Rollen vertauscht, und die Eisenkerne bremsten die Ausbreitungsgeschwindigleit von Röntgenpulsen kontrolliert ab, was vielfältige Anwendungen erschließt. Die konzeptionelle Federführung und die theoretische Modellierung lag dabei bei der der Gruppe von Jörg Evers in der Abteilung für theoretische Quantendynamik des MPIK, während die Gruppe von Ralf Röhlsberger am DESY die experimentelle Vorbereitung und Durchführung koordinierte.
Abb. 1, oben: Strahlengang des resonant (rot) und nicht-resonanten Röntgenlichts durch die Probe mit einer dünnen Eisenschicht. Unten: gemessene Linienprofile des gestreuten Röntgenlichts für verschiedene Eintrittswinkel θ. (Bild: MPIK)
Kernstück der Experimente ist eine am DESY hergestellte Dünnschicht-Probe aus Eisenatomen, eingebettet zwischen Röntgenstrahlung reflektierenden Schichten. Diese wird im flachen Winkel mit Röntgenlicht bestrahlt und das reflektierte Licht gemessen, wobei im gewählten Frequenzbereich die Eisenkerne resonant wechselwirken. Im ersten Experiment, durchgeführt am Synchrotron PETRA-III, diente die Probe als Röntgen-Interferometer: Die reflektierte Strahlung enthält zum einen Beiträge, die durch die resonante Wechselwirkung mit den Eisenkernen verzögert wurden. Zum anderen enthält sie nicht-resonante Beiträge, die nicht an den Kernen gestreut wurden. Die Verzögerung durch die Eisenkerne führt zu einer Verschiebung der Wellenfronten der beiden Beiträge, welche in Abb. 1a durch zwei mögliche Strahlengänge dargestellt ist. Die resonante Streuung (rot) erfolgt in einem schmalen Frequenzband, während die übrige reflektierte Strahlung (blau) breitbandig ist. Durch Überlagerung (Interferenz) dieser beiden Anteile ergibt sich ein Fano-Profil, dessen asymmetrische Linienform von der Verzögerung durch die Eisenkerne abhängt. Diese lässt sich im Experiment auf einfache Weise über den Reflexionswinkel kontrollieren (Abb. 1b).
Abb.: Ausbreitung von Röntgenpulsen in einer dünnen Eisenfolie. Die zur Mitte stark ansteigenden Linien zeigen die extreme Verlangsamung des Röntgenlichts, wenn dieses die Kernresonanz der 57Fe Atome anregt. (Bild: K. Heeg, MPIK)
Die Theorie der Fano-Interferenz lässt sich auf viele verschiedene Beispiele in der Spektroskopie anwenden: etwa auf die Wechselwirkung von Ultraviolett-Laserpulsen mit Heliumatomen, die kürzlich die MPIK-Gruppe von Thomas Pfeifer untersucht hatte. Auch im aktuellen Fall der Röntgenstreuung an Atomkernen lässt sich aus der Linienform exakt die Verzögerung durch die Eisenkernene extrahieren, was die Basis für eine vollständige Charakterisierung ihres Quantenzustands im Röntgenbereich bildet. Eine weitere mögliche Anwendung ist die hochpräzise Stabilisierung von Röntgeninterferometern.
Kilian Heeg hat im Rahmen seiner Doktorarbeit am MPIK sowohl durch Modellrechnungen als auch im Experiment die wesentlichen Beiträge zu der Studie geliefert. Die Motivation für das zweite Experiment schildert er so: „Einerseits besteht Bedarf an möglichst schmalbandiger Röntgenstrahlung, andererseits möchten wir in Zukunft nichtlineare Effekte in der nuklearen Quantenoptik demonstrieren.“ Voraussetzung dafür ist es, die Wechselwirkung zwischen Röntgenlicht und Eisenkernen zu verstärken. Hierzu kontrollierten sie die Physiker mit den Eisenkernen derart, dass die eingestrahlten Röntgenpulse erheblich verlangsamt wurden – und zwar auf weniger als ein Zehntausendstel der Vakuum-Lichtgeschwindigkeit. Die „normale“ Verlangsamung von sichtbarem Licht in einem Medium wie Glas beträgt hingegen nur etwa dreißig Prozent.
Abb. 2: (a) Strahlengang durch das Röntgen-Polarimeter mit der Eisen-Probe. (b) Schmalbandige Absorption in einer dünnen Eisenfolie erzeugt eine echoartige Zeitstruktur des Röntgenpulses. (c) Mit dem Polarimeter gefiltertes, an der Probe resonant gestreutes Röntgenlicht: Die Verlangsamung erzeugt eine Zeitverzögerung τ. (d) Verzögerung als Funktion der Dopplerverstimmung des Absorbers. (Bild: MPIK)
Die starke Verlangsamung konnten die Physiker erreichen, indem sie die einzelnen zum Röntgenpuls beitragenden Lichtwellen durch die Wechselwirkung mit den Eisenkernen geeignet gegeneinander verzögerten. Zur Detektion des verlangsamten Lichts nutzten sie die Eigenschaft der Eisenprobe, bei resonanter Streuung die Polarisation des Röntgenlichts zu drehen. Ein entsprechendes leistungsfähiges Polarimeter der Uni Jena erlaubt den ungewünschten nicht-resonanten Anteil zu unterdrücken (Abb. 2a). Damit war der verlangsamte Puls zugänglich.
„Um diesen Effekt direkt zu messen, haben wir eine dünne Eisenfolie in den Strahlengang eingebracht, die mit dem gleichen Kernübergang wie in der Probe einen schmalen Teil des ansonsten sehr breiten Frequenzspektrums des Röntgenlichts herausschneidet“, erläutert MPI-Gruppenleiter Jörg Evers. Dies führt dazu, dass der sehr kurze Röntgenpuls in seinem zeitlichen Verlauf eine echoartige Serie von Nachpulsen erhält (Abb. 2b). Diese erscheint auch bei dem resonant gestreuten verlangsamten Licht – aber eben um eine Zeit τ verzögert (Abb 2c). Durch Bewegung der Eisenfolie lässt sich deren Absorptionsfrequenz gegenüber der Probe durch den Dopplereffekt verstimmen und so die Verzögerung kontrollieren, die bis zu 35 Nanosekunden beträgt (Abb. 2d). Das „langsame“ Röntgenlicht kann die Wechselwirkung mit den Eisenkernen effektiv erhöhen. Damit hofft die Gruppe um Evers, einen Zugang zu nichtlinearer Wechselwirkung im Röntgenbereich zu gewinnen, die sich bisher nicht beobachten ließ.
MPIK / DESY / OD