03.03.2022

Eine Million unbekannte Galaxien aufgespürt

Europäisches LOFAR-Teleskop liefert Daten für eine neue Himmelskarte.

Sieben Jahre lang sammelte ein inter­nationales Forschungs­team Radiosignale aus dem All. Die Daten wurden jetzt in Form einer neuen Himmelskarte veröffent­licht. Sie gewähren einen einzig­artigen Blick auf die Wunder unseres Universums. 4,4 Millionen Galaxien wurden erstmals im Radiowellen­bereich sichtbar gemacht. Eine Million dieser Galaxien war zuvor vollkommen unbekannt. Möglich wurden die Entdeckungen durch das europäische Lofar-Teleskop, das größte Radio­teleskop, das je gebaut wurde. Der Jülicher Höchstleistungs­rechner Juwels, der aktuell schnellste Supercomputer in Europa, half dabei, die gigantischen Datensätze zu verarbeiten.

Abb.: Cloma-Cluster im Radio- und Infrarot-Bereich: Der Cluster besteht aus...
Abb.: Cloma-Cluster im Radio- und Infrarot-Bereich: Der Cluster besteht aus mehr als 1000 Galaxien und ist 300 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt. (Bild: A. Bonafede)

Rund ein Viertel des nördlichen Himmels haben die Forschenden mithilfe von Lofar in bislang uner­reichter Auflösung kartiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die meisten Objekte in der neuen Himmelskarte sind Milliarden Lichtjahre entfernt. In der Regel handelt es sich um Galaxien, die in ihrem Zentrum masse­reiche schwarze Löcher oder Gebiete sehr starker Sternbildung beherbergen. Seltener sind auch Gruppen von kollidierenden Galaxien darunter oder Objekte aus unserer Milchstraße, wie beispielsweise Sterne mit Strahlungs­ausbrüchen, die Flare-Sterne, zu sehen. „Die Arbeit an diesem Projekt ist so spannend. Jedes Mal, wenn wir eine Karte erstellen, stoßen wir auf eine Fülle von neuen Entdeckungen und Objekten, die noch nie zuvor ein menschliches Auge gesehen hat“, erklärt Timothy Shimwell von der nieder­ländischen Forschungs­einrichtung Astron und der Universität Leiden.

Zu den wichtigsten gegen­wärtigen Ergebnissen gehören: Die Entdeckung merkwürdiger Signale von nahen Sternen, die möglicherweise von umkreisenden Exoplaneten verursacht werden. Die genaue Vermessung eines extrem langsam rotierenden Pulsars, die derzeitige Theorien zur Beschreibung solcher Objekte infrage stellt. Die Beobachtung von Quallen­galaxien, die auf ihrer Reise durch ein Medium Material verlieren, sowie von weiteren Radio­galaxien in allen Formen, Größen und Alters­klassen. Diese sind so zahlreich, dass eigens ein Citizen-Science-Projekt ins Leben gerufen wurde, um in diesem Galaxien-Zoo nach neuen schwarzen Löchern zu fahnden.

Die aktuelle Karte umfasst gerade einmal 27 Prozent der Daten, die das Lofar-Projekt insgesamt erheben wird. Dennoch steckt dahinter ein riesiger Datensatz. Für die Erstellung haben die Forschenden Aufnahmen von 3500 Beobachtungs­stunden ausgewertet, die zusammen auf eine Größe von acht Petabyte kommen. Ein großer Teil davon stammt aus dem Lofar-Langzeitarchiv am Jülich Super­computing Centre. Das Höchstleistungs­rechenzentrum am Forschungs­zentrum Jülich ist eines von drei Datenzentren im Projekt. Es beherbergt etwa ein Drittel des Lofar-Datenarchivs, das insgesamt rund 55 Petabyte umfasst.

„Diese enorme Menge an Daten, die das Lofar-Teleskop generiert, lässt sich nur mit der Hilfe von Hoch- und Höchstleistungs­computern sinnvoll verarbeiten, die in ganz Europa stationiert sind. Eine große Heraus­forderung ist die Kalibrierung der gemessenen Signale, für die wir unter anderem auf den Jülicher Superrechner Juwels zurückgreifen konnten, der von seiner Rechen­kapazität her der Leistung von 300.000 modernen PCs entspricht“, erklärt Matthias Hoeft von der Thüringer Landes­sternwarte Tautenburg. „Bei dieser wichtigen Aufgabe geht es darum, in einem ersten Schritt störende Einflüsse auf die Signale mittels hochmoderner Algorithmen aus den Messdaten zu bestimmen, gegebenenfalls heraus­zufiltern und die tatsächliche Helligkeits­verteilung des Himmels für wissenschaftliche Auswertungen zu rekonstruieren.“

Die aufbereiteten Daten stehen Forschenden weltweit zur Verfügung. Für die Zukunft werden zahlreiche weitere bedeutende Erkennt­nisse erwartet. „Die Verknüpfung mit Beobachtungen aus anderen Frequenzbereichen kann beispielsweise neue Einblicke in die Eigenschaften der noch unver­standenen dunklen Energie liefern. Und sie ermöglicht neue Einsichten in die Entstehung von Galaxien und noch größeren Strukturen im Universum“, erklärt der Kosmologe Dominik Schwarz von der Universität Bielefeld, der den deutschen Beitrag zu Lofar koordiniert.

Auch Wissenschaft­lerinnen und Wissen­schaftler der Ruhr-Universität Bochum nutzen die Daten für ihre Arbeit, um die Evolution von Galaxien und Zwerg­galaxien mit extrem hohen Sternbildungsraten zu erforschen. „Die völlig neuartige Technik des Lofar-Radio­teleskops eröffnet uns viele neue Möglichkeiten, um energie­reiche physikalische Prozesse in der Welt der Galaxien zu untersuchen“, sagt RUB-Forscher Ralf-Jürgen Dettmar. Forschungsteams an den Universitäten in Hamburg und Bielefeld sowie an der Sternwarte in Tautenburg untersuchen dagegen gigantische Radio­quellen, um den Ursprung von Magnetfeldern im Kosmos zu erforschen. „Eine Erkenntnis, die die Daten bereits jetzt ergeben haben, ist, dass die Magnet­felder im Universum schon recht früh zu ihrer jetzigen Stärke angewachsen sein müssen. Die Erklärung dafür ist, dass chaotische Gas­bewegungen die Magnetfelder schnell verstärken in einem Prozess, den man Dynamo nennt“, sagt Marcus Brüggen von der Hamburger Sternwarte.

FZJ / JOL

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