Eine neue Art, fast nichts zu messen
NIST-Prototypen-Design ermöglicht mit ultrakalten, eingeschlossenen Atomen eine absolute Druckmessung im UHV und XHV.
Viele Halbleiterhersteller und Forschungslabore stehen unter zunehmendem Druck – ausgerechnet ausgehend vom Vakuum. Neue Technologien und Prozesse erfordern immer niedrigere Drücke. Mittlerweile arbeiten Vakuumkammern, in denen die Mikrochiphersteller völlig frei von Verunreinigungen Schritt für Schritt eine Reihe ultradünner Schichten abscheiden, auf etwa einem Hundertmillionstel des Luftdrucks auf Meereshöhe, und einige Anwendungen benötigen einen noch einmal mindestens tausendfach niedrigeren Druck – das sind dann schon Weltraumverhältnisse.
Das Messen und Regeln der Druckverhältnisse ist unter diesen Bedingungen ein anspruchsvolles Unterfangen, bei dem Genauigkeit von entscheidender Bedeutung ist. Die aktuelle Technologie basiert in der Regel auf Ionisations-Vakuummetern, einer indirekten Druckmessung mittels elektrischer Größen, die zu der Anzahl der Restgaspartikeln im Volumen proportional sind. Diese Geräte erfordern eine regelmäßige Kalibrierung und sind nicht vereinbar mit den neuen weltweiten Bemühungen, das Internationale Einheitensystem (SI) auf fundamentale, unveränderliche Konstanten und Quantenphänomene zu stützen.
Wissenschaftler des National Institute of Standards and Technology (NIST) haben jetzt ein Vakuummessgerät entwickelt, das klein genug ist, um es in gängigen Vakuumkammern einzusetzen, und das darüber hinaus die Quantum-SI-Kriterien erfüllt. Das bedeutet, die Messung hängt von grundlegenden Naturkonstanten ab, das Gerät erfordert keine Rekalibrierung, gibt die korrekte Restgasmenge – oder gar keine – an und hat eine für die Anwendung geeignete definierte Messgenauigkeit.
Die neue Druckmessung, auch als Cold-Atom-Vacuum-Standard (CAVS) bezeichnet, arbeitet mit kalten, in Laserlicht fluoreszierenden Litiumatomen. Deren Anzahl im Messgerät hängt von der Restgasmenge, also dem Druck, in der angeschlossenen Vakuumkammer ab und kann über die Messung der Fluoreszenz bestimmt werden.
Im Detail verläuft die Messung so, dass nach erfolgtem Druckausgleich zwischen Vakuumkammer und CAVS-Gerät Lithiumatome in die Messkammer eingebracht werden. Laserlicht verlangsamt die Bewegung der Lithiumatome, so dass diese von einer Kombination aus Laserlicht und Magnetfeldern erfasst werden können. Bei diesem Einfangen fluoreszieren die Atome und emittieren Licht in alle Richtungen. Ein Teil des emittierten Lichts wird von einem Detektor erfasst.
Jedes Mal, wenn ein kaltes Atom von einem der wenigen Atome oder Moleküle getroffen wird, die sich noch in der Vakuumkammer bewegen, treibt die Kollision das Lithiumatom aus der Falle und verringert die Menge des emittierten Fluoreszenzlichts. Eine Kamera zeichnet das Dimmen auf. Je schneller das Licht dimmt, desto mehr Restgasteilchen befinden sich in der Vakuumkammer, so dass der Fluoreszenzwert ein empfindliches Maß für den Druck ist.
Das neue tragbare System ist das Ergebnis eines NIST-Projekts zur Entwicklung eines Tabletop Cold-Atom-Vacuum-Standard (CAVS), mit dem Messungen der grundlegenden atomaren Eigenschaften durchgeführt werden sollen. Während das CAVS zu groß und ungeeignet für den Einsatz außerhalb des Labors ist, ist die tragbare Version – das p-CAVS – als Ersatz für bestehende Vakuummessgeräte konzipiert.
„Bisher hat niemand darüber nachgedacht, wie man ein solches Kaltatom-Vakuummessgerät miniaturisieren kann und welche Unsicherheiten damit verbunden sind", sagt Stephen Eckel, einer der Projektwissenschaftler, der im September sein Design in der Zeitschrift Metrologia beschrieben hat. „Wir entwickeln nun ein neues System, das möglicherweise die heute auf dem Markt befindlichen Sensoren ersetzen könnte." Einzelne Komponenten werden zurzeit getestet, und in naher Zukunft wird ein funktionierender Prototyp erwartet.
Das NIST-Design verwendet eine neu entwickelte Variante einer Grundtechnik der Atomphysik: die magneto-optische Falle (MOT). In einer typischen MOT gibt es sechs Laserstrahlen – zwei gegenüberliegende Strahlen auf jeder der drei Achsen. Atome in der Falle werden verlangsamt, wenn sie Impulse von Laser-Photonen mit genau der richtigen Energiemenge absorbieren und die Bewegung der Atome dämpfen. Um sie an der gewünschten Stelle einzugrenzen, enthält die MOT ein variierendes Magnetfeld, dessen Stärke in der Mitte Null ist und mit zunehmender Entfernung nach außen zunimmt. Atome in höher gelegenen Bereichen sind anfälliger für Laser-Photonen und werden daher nach innen geschoben.
Das neue tragbare p-CAVS verwendet nur einen einzigen Laserstrahl. Ein Beugungsgitter teilt das Licht in mehrere Strahlen auf, die aus verschiedenen Winkeln kommen. „Das traditionelle Einbringen von Laserstrahlen aus sechs verschiedenen Richtungen macht diese Experimente wirklich unhandlich groß und erfordert viele optische Komponenten", sagt Daniel Barker, ein weiterer NIST-Projektwissenschaftler. „Jetzt brauchen wir nur noch einen Laserstrahl. Das Beugungsgitter liefert dann alle Strahlen, die man zum Schließen der MOT und Einfangen der Atome benötigt."
In der Falle liegt die Temperatur der Atome nur noch wenige Tausendstel eines Grades über dem absoluten Nullpunkt. In diesem Zustand werden sie dann von umgebenden Molekülen getroffen, vor allem von Wasserstoff – dem dominierenden Restgas in auf Ultrahoch- (UHV-) oder Extremhoch- (XHV-) Vakuum heruntergepumpten Vakuumkammern.
Zu den Vorteilen gehören: Die Wechselwirkungsdynamik zwischen Lithiumatomen und Wasserstoffmolekülen lässt sich aus den physikalischen Grundgesetzen genau berechnen. „Dies ermöglicht es, ein Primärmessgerät herzustellen, das nicht kalibriert werden muss“, erklärt Eckel. „Zudem hat Lithium bei Raumtemperatur einen außergewöhnlich niedrigen Dampfdruck (d.h. es hat eine geringe Neigung, in einen gasförmigen Zustand überzugehen). Typischerweise wird das Atom also einen einzigen Durchgang durch die MOT-Region machen, und wenn es nicht gefangen ist, trifft es auf eine Wand und bleibt dort für immer. Mit Rubidium oder Cäsium, die bei Raumtemperatur relativ hohe Dampfdrücke aufweisen, beschichtete man schließlich die Wände der Vakuumkammer mit so viel Rubidium- oder Cäsiummetall, dass die Beschichtungen anfangen, Atome abzugeben und das Vakuum zu verschlechtern.“
Darüber hinaus bleibt der Dampfdruck von Lithium auch bei 150 Grad Celsius niedrig, der typischen Ausbacktemperatur von UHV- und XHV-Kammern – einem das Abpumpen vorbereitenden Schritt, um Wasserschichten von den Edelstahlkomponenten der Kammer zu entfernen. Diese Standardtechnik kann also auch bei Anschluss des neuen Messgerätes angewendet werden.
UHV- und XHV-Umgebungen „sind ein kritischer Teil der Infrastruktur in der fortschrittlichen Fertigung und Forschung, von Gravitationswellendetektoren bis hin zur Quanteninformatik“, sagt James Fedchak, der das Projekt leitet. „CAVS wird der erste Absolutsensor sein, der in diesem Druckregime arbeitet. Derzeit nutzen Ingenieure und Wissenschaftler oft das Experiment oder den Prozess selbst, um den Druck zu bestimmen.“
„p-CAVS wird es Forschern und Herstellern ermöglichen, das Vakuumniveau vor Beginn des Experiments oder Prozesses genau zu bestimmen“, sagte Fedchak. „Darüber hinaus gestattet das Gerät auch die genaue Messung extrem geringer Drücke – also von Werten, die in Bereichen wie der Quanteninformatik immer wichtiger werden.“
NIST / LK