29.10.2004

Eine Substanz - zwei Flüssigkeiten

Bestimmte Stoffe können zwei verschiedene koexistierende Flüssigkeiten bilden, wie jetzt Forscher aus Japan berichten.


Eine Substanz - zwei Flüssigkeiten

Bestimmte Stoffe können zwei verschiedene koexistierende Flüssigkeiten bilden, wie jetzt Forscher aus Japan berichten.

Manche chemischen Elemente kommen in mehreren festen Aggregatzuständen vor, die sich durch die räumliche Anordnung der Atome oder durch die Art der chemischen Bindungen unterscheiden. So hat der Kohlenstoff die allotropen Formen Graphit und Diamant, während sich der Phosphor in einer weißen, einer roten und einer schwarzen Form zeigt. Auch chemische Verbindungen weisen diese Mehrgestaltigkeit oder Polymorphie auf. So verfestigt sich Wasser bei hinreichend tiefen Temperaturen oder unter großem Druck zu Eis, von dem man neben dem normalen, hexagonalen Eis noch elf weitere Arten kennt.

Kühlt man flüssiges Wasser schnell genug ab, sodass es nicht kristallisieren kann, dann entsteht ein glasartiges, amorphes Material, das nur entfernt an normales Eis erinnert. Zwei Arten dieses amorphen Eises hat man in den letzten Jahren genauer untersucht. In beiden ist jedes Molekül normalerweise von vier anderen umgeben. Darüber hinaus sind die Moleküle völlig regellos angeordnet. In der einen Eisart sind sie jedoch wesentlich dichter gepackt als in der anderen. Der Dichteunterschied beträgt immerhin 25%. Bei Erhöhung des einwirkenden Druckes wandelt sich die weniger dichte Eisart in die dichtere um.

Beide amorphe Eisarten kann man zum Schmelzen bringen, indem man die Temperatur erhöht und den Druck erniedrigt. Dabei entstehen allem Anschein nach zwei verschieden dichte Flüssigkeiten, die koexistieren und ineinander umgewandelt werden können. Allerdings sind diese Flüssigkeiten stark unterkühlt und metastabil. Da sie rasch kristallisieren, hat man bisher weder ihre Koexistenz noch ihren Phasenübergang genauer erforschen können. Doch jetzt ist man in dieser Frage ein gutes Stück vorangekommen. Japanische Wissenschaftler haben mit anderen Substanzen experimentiert, die zwei stabile flüssige Phasen aufweisen.

Yoshinori Katayama am japanischen Synchrotron Radiation Research Center SPring-8 und seine Kollegen haben flüssigen Phosphor mit Hilfe von Röntgenstahlen untersucht. Als sie die etwa 1000 °C heiße Schmelze einem Druck von 1 GPa (Gigapascal) aussetzten, bildeten sich im Innern der flüssigen Probe dunkle, runde Objekte – Tropfen einer dichteren Flüssigkeit. Die beiden flüssigen Phasen des Phosphors konnten miteinander koexistieren, sie mischten sich jedoch nicht. Durch Veränderung des Drucks ließ sich eine Phase reversibel in die andere umwandeln. Dabei fand ein Phasenübergang erster Ordnung statt.

Die beiden amorphen Flüssigkeiten unterschieden sich stark in ihrer Dichte, die am Phasenübergang 1,5 g/cm 3 bzw. 2,6 g/cm 3 betrug. Zum Vergleich: Der ebenfalls amorphe aber feste rote Phosphor hat bei Zimmertemperatur eine Dichte von etwa 2,3 g/cm 3. Auch die Molekularstruktur der beiden Flüssigkeiten war unterschiedlich. In der weniger dichten, bei geringerem Druck auftretenden Flüssigkeit bildeten die Phosphoratome Tetraeder. In der dichteren Hochdruckflüssigkeit waren die Atome zu Polymeren vernetzt. Diese unterschiedliche Struktur ist wohl auch der Grund dafür, dass sich die beiden Flüssigkeiten nicht mischen.

Rei Kurita und Hajime Tanaka von der Universität Tokyo haben für Triphenylphosphit sogar zwei verschiedene Phasenübergänge zwischen zwei koexistierenden flüssigen Phasen beobachtet. Sie verfolgten die Umwandlung der Flüssigkeiten mit Hilfe eines Lichtmikroskops über einige Stunden hinweg. Da die beiden Flüssigkeiten sich in ihrer Dichte unterschieden und das Licht unterschiedlich stark absorbierten, konnten die Forscher verfolgen, wie sich die Flüssigkeitsbereiche entwickelten. Für Temperaturen oberhalb von 215,5 K wandelte sich die eine Flüssigkeit durch Keimbildung in die andere um. In der Tieftemperaturflüssigkeit bildeten sich unabhängig voneinander viele winzige Tröpfchen, die aus der Hochtemperaturflüssigkeit bestanden. Die Tröpfchen wuchsen langsam an, bis sie mit einander verschmolzen und schließlich nur noch Hochtemperaturflüssigkeit vorhanden war.

Abb.: Die beiden flüssigen Phasen des Triphenylphosphits wandeln sich unterhalb von 215,5 K im Laufe einiger Stunden durch spinoidale Entmischung ineinander um. Die Balkenlänge beträgt 20 Mikrometer. (Quelle: University of Tokyo)

Unterhalb von 215,5 K fand ein anderer Phasenübergang durch die so genannte spinoidale Entmischung statt, bei der sich große Bereiche von einer Flüssigkeitsphase in die andere umwandelten (Abb.). Dabei koordinierten die Moleküle ihr Verhalten über eine Distanz von etwa einen Mikrometer. Es entstanden zahlreiche miteinander korrelierte Tröpfchen. Die Korrelationslänge ξ konnten die Forscher anhand der Mikroskopaufnahmen bestimmen. Dabei zeigte ξ eine Temperaturabhängigkeit, wie sie in der Nähe von Phasenübergängen typisch ist: ξ ~ 1/(T 0-T) ν, wobei T 0=215,5 K war und der kritische Exponent den Wert ν=0,5 hatte.

Tröpfchenbildung und spinoidale Entmischung sind Mechanismen, die in erster Linie bei der Umwandlung von einer gasförmigen in eine flüssige Phase auftreten. Dabei ist die Dichte ein Ordnungsparameter, mit dem sich die beiden Phasen unterscheiden lassen. Kurita und Tanaka schlagen nun vor, dass bei der Umwandlung zwischen zwei flüssigen Phasen außer der Dichte noch ein weiteres Unterscheidungsmerkmal eine Rolle spielt: die Art und Weise wie sich benachbarte Moleküle in der ansonsten regellosen Flüssigkeit anordnen. Ganz gleich ob es sich um Wasser, Phosphor oder Triphenylphosphit handelt: Die Flüssig-Flüssig-Phasenübergängen werfen noch viele grundlegende Fragen auf.

Rainer Scharf

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