Eine völlig andere Art der Astronomie
Nach dem Ausstieg der NASA aus dem LISA-Projekt haben europäische Wissenschaftler nun bei der ESA das Konzept für das New Gravitational Wave Observatory (NGO) vorgelegt.
Was ist in der Zeit kurz nach dem Urknall geschehen? Was passiert mit Raum und Zeit in Schwarzen Löchern, und woraus besteht die mysteriöse Dunkle Energie, welche die Ausdehnung unseres Universums beschleunigt? Antworten auf diese Fragen könnten einmal Gravitationswellen geben, da sie Raum und Zeit unbeeinflusst durchdringen und daher erstmals auch Auskunft geben könnten über das dunkle Zeitalter. Bis 380000 Jahre nach dem Urknall war unser Universum nämlich nicht transparent für elektromagnetische Strahlung. Gravitationswellen sind winzige Längenänderungen in der Raumzeit, hervorgerufen durch große, beschleunigte Massen, also durch Doppelsternsysteme, Supernova-Explosionen oder verschmelzende Schwarze Löcher.
Seit mehr als zehn Jahren versuchen erdgebundene Detektoren, Gravitationswellen aufzuspüren, doch auf der Erde können sie niederfrequente Gravitationswellen nicht nachweisen. Daher planten ESA und NASA 20 Jahre lang gemeinsam die Satellitenmission LISA – bestehend aus drei Satelliten, die im All ein Interferometer aufspannen und Gravitationswellen im Millihertzbereich messen sollten. Nachdem die NASA im vergangenen Jahr aus dem LISA-Projekt ausgestiegen ist, haben europäische Wissenschaftler ihr Konzept überarbeitet und so angepasst, dass die ESA es mit Unterstützung der Mitgliedsstaaten finanzieren kann.
Ab 2022 könnte das New Gravitational Wave Observatory Gravitationswellen im Weltall detektieren. (Bild: AEI/Milde Marketing/Exozet)
Zunächst hört sich das nach einer unmöglichen Aufgabe an: ein Projekt, das darauf ausgelegt war, dass zwei Partner gemeinsam ihren Beitrag leisten, nun in einen Rahmen von 1,05 Milliarden Euro zu pressen – denn dies ist das Budget für eine Große Mission innerhalb der „Cosmic Vision“ der ESA. Hierbei kommen 850 Millionen Euro von der ESA und die restlichen 200 von den Mitgliedsstaaten „Wir haben uns genau angeschaut, was viel Geld kostet und dort extrem abgespeckt“, berichtet Karsten Danzmann vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik und von der Leibniz-Universität Hannover. Das New Gravitational Wave Observatory (NGO) – oft auch eLISA (evolved LISA) genannt – besteht nicht aus drei gleichwertigen Satelliten, sondern aus einem Mutter- und zwei Töchtersatelliten, die zwei Interferometerarme aufspannen – allerdings „nur“ mit einer Länge von einer Million Kilometer, nicht mehr fünf Millionen. LISA sollte eigentlich mit einer großen, teuren Atlasrakete starten. „Wir haben die Mission so umgebaut, dass sie in die viel günstigere russische Sojus-Rakete passt – uralte Technologie, aber sie fliegt verlässlich“, meint Danzmann. Außerdem greifen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf bereits entwickelte Technologien zurück, z. B. von der LISA Pathfinder-Mission, die nächstes Jahr starten soll. Auch beim Treibstoff wurde gespart. Aus diesem Grund trennen sich die Satelliten in einem niedrigen Orbit von der schweren Startrakete und verlassen die Erdanziehung ohne sie. Den größten Teil des Treibstoffs hätte aber das Bremsmanöver verbraucht, um die LISA-Satelliten auf ihre Bahn zu setzen. NGO wird daher einfach langsam von der Erde wegdriften und für rund sechs Jahre Kontakt zur Erde halten können. „Die Mission lässt sich nicht beliebig ausdehnen. Das ist der Preis, den wir zahlen müssen, wenn wir Treibstoff sparen wollen“, sagt Danzmann.
Neben der begrenzten Missionsdauer gibt es einen weiteren Preis, den die Wissenschaftler zahlen müssen: Signale weit entfernter Quellen bei einer hohen Rotverschiebung oberhalb z = 15 wird NGO aufgrund der kürzeren Armlänge nicht nachweisen können. Aber auch das ist ein großer Fortschritt gegenüber anderen Methoden, denn die entferntesten Quellen, die bisher detektiert wurden, liegen bei z = 7. „Die klassischen Astronomen beneiden uns. Denn wir können weiter sehen als irgendjemand anderes bislang“, erläutert Karsten Danzmann. „Aber wir hätten natürlich gerne alles gesehen, und die alte LISA wäre dazu in der Lage gewesen.“
Doch noch müssen die europäischen Wissenschaftler bangen: Im Januar haben sie ihr überarbeitetes Konzept bei der ESA eingereicht, wo es nun in Konkurrenz zu zwei anderen großen Missionen steht: dem Röntgenobservatorium Athena (ursprünglich IXO) und der Jupitermission Juice (ursprünglich Laplace). Auch diese beiden Projekte waren in Partnerschaft mit der NASA geplant und mussten nun an das ESA-Budget angepasst werden. Im April wird die ESA nach derzeitigem Stand eines der drei Projekte als „Large Mission“ für ihr Cosmic-Vision-Programm auswählen. Karsten Danzmann ist bereits gespannt auf die Entscheidung der ESA und hofft, dass die Leute dort den Mut aufbringen, etwas Neues zu machen: „Wir reden von Cosmic Vision – sollen wir da wirklich noch ein neues Röntgenteleskop bauen, das nur ein bisschen besser ist als XMM-Newton? Oder sollen wir nochmal zum Jupiter fliegen, nur um ein bisschen genauer hinzugucken? Oder sollte man nicht lieber eine völlig neue Art der Astronomie anfangen?“
Maike Pfalz