22.08.2022 • PlasmaAtome und Moleküle

Eine Zeitlupe für Elektronen

Ausgeklügelte Messungen ermöglichen Ionenphysik auf der Skala von Femtosekunden.

Wie reagieren verschiedene Materialien auf den Einschlag von Ionen? Das ist eine Frage, die in vielen Forschungs­bereichen eine wichtige Rolle spielt – etwa bei der Kernfusions­forschung, wenn die Wände des Fusions­reaktors von energie­reichen Ionen bombardiert werden, aber auch in der Halb­leiter­technik, wenn man Halbleiter mit Ionen­strahlen beschießt, um winzige Strukturen herzu­stellen.

Abb.: Hoch­ge­ladene Ionen emit­tieren beim Durch­dringen von dünnen...
Abb.: Hoch­ge­ladene Ionen emit­tieren beim Durch­dringen von dünnen Mate­ri­a­lien viele Elek­tro­nen, die von der Ver­tei­lung der rest­lichen Elek­tro­nen im Ma­te­rial be­ein­flusst werden. (Bild: TU Wien)

Das Resultat eines Ionen­einschlags auf einem Material ist nachträglich leicht zu unter­suchen. Schwierig ist es aber, den zeitlichen Ablauf solcher Prozesse zu verstehen. An der TU Wien gelang es jetzt, auf einer Zeitskala von einer Femtosekunde zu analysieren, was mit den einzelnen beteiligten Teilchen passiert, wenn ein Ion Materialien wie Graphen oder Molybdän­disulfid durchdringt. Entscheidend war dabei eine sorgfältige Analyse der Elektronen, die dabei emittiert werden. Aus ihnen kann man den zeitlichen Ablauf des Prozesses rekonstruieren – so wird die Messung zur „Elektronen-Zeitlupen­aufnahme“.

In der Forschungsgruppe von Richard Wilhelm an der TU Wien arbeitet man mit hoch­ge­ladenen Ionen. Xenon-Atomen, die im neutralen Zustand 54 Elektronen haben, werden zwischen 20 und 40 Elektronen entrissen. Die stark positiv geladenen Xenon-Ionen werden dann auf eine dünne Material­schicht geschossen.

„Besonders interessieren wir uns für die Wechsel­wirkung dieser Ionen mit dem Material Graphen, das nur aus einer einzigen Lage von Kohlen­stoff­atomen besteht“, sagt Anna Niggas von der TU Wien. „Wir wussten nämlich schon aus unseren früheren Experimenten, dass Graphen ganz besonders interes­sante Eigen­schaften hat: Der Elektronen­transport in Graphen ist extrem schnell.“

Die Teilchen reagieren so schnell, dass man die Vorgänge nicht direkt beobachten kann. Doch es gibt spezielle Tricks, die man anwenden kann. „Bei solchen Prozessen wird meist auch eine große Anzahl von Elektronen emittiert“, erklärt Niggas. „Wir konnten die Anzahl und die Energie dieser Elektronen sehr genau messen, die Ergebnisse mit theoretischen Berechnungen vergleichen, die unsere Kollegen von der Uni Kiel beisteuerten, und auf diese Weise konnten wir auf Femtosekunden-Skala entschlüsseln, was hier genau passiert.“

Zunächst nähert sich das hoch­ge­ladene Ion der dünnen Material­schicht. Durch seine positive Ladung erzeugt es ein elektrisches Feld und beeinflusst dadurch die Elektronen des Materials – schon kurz vor dem Aufprall bewegen sich Elektronen des Materials in Richtung der Einschlag­stelle. Irgend­wann wird das elektrische Feld so stark, dass Elektronen aus dem Material herausgerissen und vom hoch­ge­ladenen Ion eingefangen werden. Unmittelbar darauf schlägt das Ion dann in der Oberfläche ein und durchdringt das Material. Dabei kommt es zu einer komplizierten Interaktion, das Ion überträgt in kurzer Zeit viel Energie auf das Material, dabei werden Elektronen fort­ge­schossen.

Wenn im Material Elektronen fehlen, bleibt dort positive Ladung zurück. Das wird allerdings rasch durch nach­rückende Elektronen aus anderen Bereichen des Materials ausge­glichen. Bei Graphen ist dieser Prozesse extrem schnell, innerhalb des Materials entstehen auf atomarer Skala kurz­fristig starke Ströme. In Molybdän­disulfid ist dieser Prozess etwas langsamer. In beiden Fällen beeinflusst die Verteilung der Elektronen im Material aber ihrerseits wieder die Elektronen, die schon zuvor aus dem Material heraus­gelöst wurden – und genau dadurch können sie dann, wenn man sie sorg­fältig detektiert, Auskunft über die zeitliche Struktur des Einschlags liefern. Nur schnelle Elektronen können das Material verlassen, langsamere Elektronen kehren um, werden wieder eingefangen und landen nicht im Elektronen­detektor.

Das Ion braucht nur rund eine Femtosekunde, um eine Graphen-Schicht zu durch­dringen. Prozesse auf derart kurzen Zeitskalen konnte man bisher schon mit ultra­kurzen Laser­pulsen vermessen – doch die würden in diesem Fall viel Energie im Material deponieren und den Prozess völlig verändern. „Wir haben mit unserer Methode einen Zugang gefunden, der ganz fundamentale neue Einblicke erlaubt“, sagt Richard Wilhelm von der TU Wien. „Die Ergebnisse helfen uns zu verstehen, wie Materie auf sehr kurze und sehr intensive Strahlungs­einwirkung reagiert – nicht nur auf Ionen, sondern letztlich auch auf Elektronen oder Licht.“

TU Wien

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