Elektrisch tote Wasserschicht
In Nanometer engen Spalten zeigt Wasser eine stark reduzierte Dielektrizitätskonstante.
Flüssiges Wasser hat eine große Dielektrizitätskonstante ε von etwa 80, weil sich in ihm normalerweise starke molekulare elektrische Dipole unter dem Einfluss elektrischer Felder ausrichten können. Sind sie daran gehindert – etwa an Oberflächen oder in engen Spalten –, so verringert sich ε erheblich, wie Forscher an der University of Manchester beobachtet haben. Mit einem cleveren Verfahren hat das Forscherteam um Laura Fumagalli und die beiden Nobelpreisträger Konstantin Novoselov und Andre Geim die Dielektrizitätskonstante ε von nanometerdünnen Wasserschichten gemessen, die in flachen Kanälen eingeschlossen waren. Der normalerweise große Wert von ε, der Wasser zu einem hervorragenden Lösungsmittel mit großer biologischer und technischer Bedeutung macht, nahm dabei im Extremfall auf 2,1 ab.
Abb.: Mit der Spitze eines Rasterkraftmikroskops wurden die elektrischen Eigenschaften von nanometerdünnen Wasserschichten untersucht, die sich in extrem flachen Kanälen befanden. Dazu wurde eine Wechselspannung zwischen der Spitze und der Graphitunterlage angelegt. (Bild: L. Fumagalli et al., Science, AAAS)
Wie sind die Wissenschaftler bei ihren Messungen vorgegangen? Sie haben die unterschiedlich tiefen Kanäle hergestellt, indem sie auf eine Graphitschicht nanometerdicke parallele Streifen aus hexagonalem Bornitrid (hBN) aufgetragen haben, die 200 Nanometer breit und einige Mikrometer lang waren. Auf diesen Abstandshaltern, deren Dicke die Tiefe der Kanäle bestimmte, lag eine dünne hBN-Schicht, die die Kanäle nach oben hin abschloss. Durch ein Loch in der Graphitschicht konnten die Kanäle mit Wasser befüllt werden. Anschließend führten die Forscher die Spitze eines Rasterkraftmikroskops über die hBN-Schicht, wobei sie eine niederfrequente elektrische Wechselspannung zwischen der Spitze und der Graphitschicht anlegten. Das elektrische Feld der Spitze konnte problemlos durch die elektrisch isolierende hBN-Schicht in die wassergefüllten Kanäle dringen.
Aus der dabei lokal auf die Spitze wirkenden elektrostatischen Kraft konnte man ermitteln, wie sich die elektrische Kapazität senkrecht zur hBN-Schicht (d. h. in z-Richtung) änderte. Daraus ließ sich die Ableitung dC/dz bestimmen, aus der man deutlich erkennen konnte, ob sich die Spitze beispielsweise über einem zehn Nanometer tiefen wassergefüllten Kanal oder über einem zwischen den Kanälen liegenden hBN-Streifen befand. Aus der Ableitung der Kapazität dC/dz ermittelten Fumagalli und ihre Kollegen die effektive Dielektrizitätskonstante ε des unter der Spitze liegenden Materials. Erwartungsgemäß erhielt man für die hBN-Streifen den bekannten Wert 3,5, während sich für sehr tiefe wassergefüllte Kanäle ε ≈ 80 ergab.
Wurde die Tiefe der Kanäle stetig verringert und damit auch die Dicke h der Wasserschicht, so nahm unterhalb von h = 50 nm die Dielektrizitätskonstante schnell ab. Bei den dünnsten untersuchten Wasserschichten, die etwa einen Nanometer dick waren, blieb ε konstant bei etwa 2,1. Das lag knapp über dem Grenzwert 1,8, den ε für optische Frequenzen annimmt, wenn die molekularen Dipole zu träge sind, sodass die elektrische Polarisation nur von den einzelnen Elektronen herrührt.
Abb.: Mit abnehmender Dicke h der Wasserschicht verringerte sich deren Dielektrizitätskonstante ε sehr schnell vom normalen Wert 80 auf einen Wert nahe dem theoretischen Minimum 1,8. Die Messergebnisse ließen sich reproduzieren unter der Annahme, dass die Wasserschicht aus zwei elektrisch „toten“ Randschichten bestand zwischen denen sich gegebenenfalls „normales“ Wasser befand. (Bild: L. Fumagalli et al., Science, AAAS)
Die Forscher interpretieren ihre Ergebnisse so, dass das Wasser an den Kanalwänden eine etwa einen Nanometer dicke Randschicht bildet, in der die molekularen elektrischen Dipole von selbst ausgerichtet sind. An schwach hydrophoben Oberflächen wie Graphit oder hBN ist die Ausrichtung parallel. Ein äußeres elektrisches Feld kann die elektrische Polarisation der Randschicht dann nicht mehr wesentlich verändern, sodass die Dielektrizitätskonstante etwa dem „optischen“ Wert entspricht. Nimmt man für die elektrisch tote Randschicht εi = 2,1 und eine vermutete Dicke hi, so kann man daraus berechnen, wie sich das ε der gesamten Wasserschicht in Abhängigkeit von deren Dicke h verhält. Ein Vergleich mit den gemessenen Werten ergibt für hi=0,9 nm die beste Übereinstimmung. Die elektrisch tote Schicht erstreckt sich demnach etwa zwei bis drei Moleküldurchmesser weit von der Oberfläche in die Flüssigkeit.
Nach Ansicht der Forscher helfen ihre Ergebnisse, die langreichweitige Wechselwirkung und die Stabilität von Biomolekülen in wässriger Lösung besser zu verstehen. Zudem sind die Resultate von Interesse für die Elektrochemie und für Energiespeichertechnologien. Außerdem kann man mit ihnen die Gültigkeit von molekularen Simulation überprüfen. Schließlich können die Forscher mit ihrem Verfahren den Einfluss unterschiedlicher Oberflächen auf extrem dünne Schichten aus Wasser aber auch aus anderen Flüssigkeiten untersuchen.
Rainer Scharf
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