14.08.2013

Elektrochrome Gläser blocken Infrarotstrahlung

Nanokristalle aus Indiumzinnoxid dienen – unter elektrische Spannung gesetzt – als selektiver Wärmefilter.

Mit elektrochromen Beschichtungen können schon heute Fenstergläser zwischen verschiedene Farben hin und her geschaltet werden. Eine Arbeitsgruppe am Lawrence Berkeley National Laboratory (LBL) ging nun einen Schritt weiter. Die Wissenschaftler entwickelten eine Scheibe, die auf Knopfdruck Wärmestrahlung blockierte, sichtbares Licht dagegen fast ungehindert hindurch ließ. Verantwortlich für diese selektive Transmission waren winzige Nanokristalle aus Indiumzinnoxid, die in eine Glasmatrix eingebettet wurden. Das Potenzial solcher elektrochromen Fenster, etwa für gläserne Büropaläste, ist sehr groß. Denn auf Wunsch abgeschirmte Wärmestrahlung könnte den Energiebedarf für Klimaanlagen drastisch senken helfen.

Abb.: Mit elektrischen Spannungen lässt sich die Durchlässigkeit für Sonnenlicht selektiv steuern. (Bild: A. Llordés, LBL)

„Wir sind optimistisch, dass auf der Basis unserer Idee Bauglas entwickelt werden könnte, das die Energieeffizienz von Gebäuden drastisch verbessern könnte“, sagt Delia Milliron, Leiterin der Nanokristall-Arbeitsgruppe am LBL. Grundlage der schaltbaren Beschichtung, die sich auf herkömmliche Fenster auftragen lässt, sind wenige Nanometer kleine Kristalle aus Indiumzinnoxid. Verteilt in einer Lösung konnten Milliron und ihre Kollegen diese Nanokristalle in eine Matrix aus einem Nioboxid-Glas integrieren. Aufgeheizt auf 400 Grad Celsius entstand so das elektrisch schaltbare, elektrochrome Material. Abhängig von einer angelegten Spannung änderten sich sowohl der lokale Ladungszustand der Nanokristalle als auch die Struktur der amorph verteilten Nioboxid-Verbindungen.

Abb.: Prinzip der elektrochromen Fenster. (Bild: A. Llordés, LBL)

Beide Bestandteile – Indiumzinnoxid und Nioboxid – waren für je einen Teil der elektrochromen Eigenschaften verantwortlich. Bei einer elektrischen Spannung von vier Volt ließ diese durchsichtige Beschichtung das komplette Spektrum des Sonnenlichts durch, einschließlich der Wärmestrahlung. Reduziert auf 2,3 Volt dagegen wurde die Wärmestrahlung selektiv blockiert, der sichtbare Anteil des Lichts jedoch nicht. Ursache für diesen Effekt waren aufgeladene Indiumzinnoxid-Nanokristalle, die Infrarotstrahlung zwischen 800 und 2200 Nanometer Wellenlänge über einen plasmonischen, elektrochromen Effekt bis auf eine Transmissionsrate von unter zehn Prozent blockierten. Wurde die angelegte Spannung weiter auf 1,5 Volt reduziert, verdunkelte sich das Material zunehmend und absorbierte zusätzlich große Teile des sichtbaren Lichtspektrums. Für diesen Effekt machten die Forscher zusätzliche Bindungen zwischen den Nioboxid-Molekülen verantwortlich.

Abb.: Grafik der eingelagerten Nanokristalle in einer Nioboxid-Matrix. (Bild: D. Milliron, A. Llordés, LBL)

Dieser Prozess konnte mehrere tausend Mal durchgeführt werden, ohne dass sich die optischen Eigenschaften nennenswert änderten. Auf der Basis dieser Ergebnisse könnten im Prinzip regelbare, Wärme blockierende Fenster entwickelt werden. Allerdings zählen die verwendeten Metalloxide und Nanokristalle zu relativ teuren Materialien, die auch beim Bau von Displays eingesetzt werden. Zudem nutzen Milliron und Kollegen für den elektrischen Kontakt eine hauchdünne und durchsichtige Elektrode aus Lithium. Da dieses Metall sehr leicht chemisch reagiert, müsste für eine breite Anwendung in Bürobauten nach sichereren Alternativen Ausschau gehalten werden.

Für schaltbare Fenster bilden elektrochrome Beschichtungen heute den Königsweg. Doch der Grundstoff Glas selbst bietet zusätzlich viel Entwicklungspotenzial. „Glas ist von allen Werkstoffen der vielleicht am wenigsten verstandene“, sagt Lothar Wondraczek, Glaschemiker an der Universität Jena. So reiche es aus, eine Schmelze schnell genug abzukühlen, um so aus einer Vielzahl von Substanzen Gläser zu machen. Daher sucht Wondraczek zusammen mit anderen deutschen Wissenschaftlern nach grundlegend neuen Wegen in der Glasforschung. Im Rahmen ihres Forschungsprogramms „Topological Engineering of ultrastrong glasses“ haben sie sich unter anderem extrem feste Gläser, die etwa für Smartphone-Displays benötigt werden, als Ziel gesetzt.

Abb.: Mikroskopaufnahme eines eingelagerten Indiumzinnoxid-Nanokristalls. (Bild: D. Milliron, A. Llordés, LBL)

Neben Schmelzrobotern, die neue Glasrezepte rasch zu ersten Materialproben umsetzen, spielen bei dieser Grundlagenforschung aufwendige Computersimulationen eine wichtige Rolle. „Wir wollen lernen, wie die Struktur der Gläser auf der atomaren Ebene genau aussieht“, sagt Joachim Deubener, Glasforscher am Institut für Nichtmetallische Werkstoffe der Technischen Universität Clausthal. So ungeordnet sich die Atome miteinander im Glas verknüpfen, so wichtig sind die atomaren Bindungen und Verknüpfungsknoten für alle möglichen Eigenschaften – von der Bruchfestigkeit, über die Flexibilität und Lichtbrechung bis zur elektrischen Leitfähigkeit. Erste Hinweise deuten sogar darauf hin, dass scheinbar ungeordnet aufgebaute Gläser doch über einige atomare Nachbarn hinweg strengen Gesetzmäßigkeiten folgen. Zudem kann der Einfluss von vielen, bisher nicht genutzten chemischen Elementen in Gläsern genauer untersucht werden. Das ferne Ziel dieser Forschung ist ein universelles Rezeptbuch: Ein Glasmacher müsste nur die gewünschten Eigenschaften auswählen und schon erhält er die detaillierte Produktionsanleitung.

Jüngste Forschungsergebnisse belegen, dass das Potenzial von Gläsern tatsächlich viel weiter reicht als bisher gedacht. So präsentierte Lothar Wondraczek vor wenigen Monaten einen gläsernen Reaktor, in denen Algen für die Energiegewinnung besonders schnell gedeihen können. Der Trick: Das Glas wandelte mit integrierten Leuchtstoffen den grünen Anteil im Sonnenlicht in Rotlicht um, dass die Photosynthese der Algen stärker antreibt. Physiker der Universität Boston dagegen entwickelten eine ganz spezielle Glasfaser für den digitalen Datentransport. Durch diese konnten sich infrarote Lichtwellen erstmals über einen Kilometer in schraubenförmigen Lichtwirbeln ausbreiten. Dieser Effekt könnte die Basis für eine Vervielfachung der heute erreichten Datenrate, legen die eine einzige Glasfaser transportiert.

Jan Oliver Löfken

PH

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