Elektronen-Bewegung in einem Atom messen
Neue Technik verbessert Auflösung bei ultraschnellen Prozessen.
Freie-Elektronen-Laser, kurz XFELs für „X-ray free-electron lasers“, liefern seit über einem Jahrzehnt intensive Femtosekunden-Röntgenpulse. Eine der vielversprechendsten Anwendungen von XFELs liegt in der Biologie, wo Forscher Bilder bis hinunter auf die atomare Skala aufnehmen können, noch bevor die Strahlung die Probe zerstört. Auch in der Physik und der Chemie können diese Röntgenstrahlen mit einer Belichtungszeit von nur einer Femtosekunde Licht auf die schnellsten Prozesse in der Natur werfen. Auf diesen winzigen Zeitskalen ist es jedoch extrem schwierig, den Röntgenpuls, der eine Reaktion in der Probe auslöst, und den Laserpuls, der diese beobachtet, zu synchronisieren. Dieses Problem wird Timing-Jitter genannt und ist eine große Hürde bei den laufenden Bemühungen, zeitaufgelöste Experimente an XFELs mit immer kürzerer Auflösung durchzuführen. Jetzt hat ein internationales Forschungsteam eine Methode gefunden, dieses Problem bei XFELs zu umgehen, und ihre Wirksamkeit anhand der Messung eines fundamentalen Zerfallsprozesses in Neongas nachgewiesen.
Viele biologische und auch manche nicht-biologische System erleiden Schäden, wenn sie durch einen Röntgenpuls aus einem XFEL angeregt werden. Eine der Ursachen für die Schädigung ist der Auger-Zerfall. Der Röntgenpuls katapultiert die Elektronen des Kernniveaus in der Probe aus ihrer Position, was dazu führt, dass sie durch Elektronen in äußeren Schalen ersetzt werden. Wenn sich diese Außenelektronen entspannen, setzen sie Energie frei, die die Emission eines weiteren Elektrons, eines Auger-Elektrons, auslösen kann.
Strahlenschäden werden sowohl durch die intensive Röntgenstrahlung als auch durch die fortgesetzte Emission von Auger-Elektronen verursacht, die die Probe schnell zersetzen können. Das Timing dieses Zerfalls würde helfen, Strahlungsschäden bei Experimenten zur Untersuchung verschiedener Moleküle zu vermeiden. Darüber hinaus ist der Auger-Zerfall ein Schlüsselparameter bei der Untersuchung hoch angeregter Materiezustände, die nur an XFELs untersucht werden können.
Um den Auger-Zerfall aufzuzeichnen entwickelte das Forschungsteam einen bahnbrechenden, hochpräzisen Ansatz. Die Technik wird selbstreferenziertes Attosekunden-Streaking genannt und basiert darauf, die Elektronen in Tausenden von Bildern zu kartieren und anhand von globalen Trends in den Daten abzuleiten, wann sie emittiert wurden.
Für die erste Anwendung dieser Methode untersuchte das Team Elektronen aus Neongas. Nachdem sie beide Arten von emittierten Elektronen einem externen streifenden Laserpuls ausgesetzt hatten, bestimmten die Forscher ihre endgültige kinetische Energie in jeder von zehntausenden Einzelmessungen.
„Entscheidend ist, dass die Auger-Elektronen bei jeder Messung immer etwas später mit dem streifenden Laserpuls wechselwirken als die Photoelektronen“, sagt Reinhard Kienberger von der TU München, der das Design des Experiments mitentwickelt hat. „Dieser konstante Faktor bildet die Grundlage der Technik.“ Durch die Kombination so vieler Einzelbeobachtungen konnte das Team eine detaillierte Karte des physikalischen Prozesses erstellen und so die charakteristische Zeitverzögerung zwischen der Photo- und Auger-Emission bestimmen.
Die benötigte hohe Zeitauflösung wird durch die Streaking-Methode ermöglicht. „Diese Technik wird erfolgreich bei uns im Labor angewandt. In mehreren Vorarbeiten unserer Gruppe haben wir anhand der Streaking-Methode zeitaufgelöste Messungen an Freie-Elektronen-Lasern durchgeführt“, sagt Albert Schletter von der TU München. „Mit dieser Methode konnte die Verzögerung zwischen Röntgen-Ionisation und Auger-Emission in Neongas mit höchster Präzision gemessen werden“, ergänzt Dan Haynes vom MPI für Struktur und Dynamik der Materie in Hamburg.
Das Team hofft, dass das selbstreferenzierte Streaking künftig eine breitere Wirkung auf dem Gebiet der ultraschnellen Wissenschaft haben wird. „Das selbstreferenzierte Streaking könnte sogar eine neue Klasse von Experimenten ermöglichen, die von der Flexibilität und der extremen Intensität von XFELs profitieren, ohne Kompromisse bei der Zeitauflösung einzugehen“, fügt Markus Wurzer von der TU München an.
TUM / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
D. C. Haynes et al.: Clocking Auger electrons, Nat. Physics, online 18. Januar 2021; DOI: 10.1038/s41567-020-01111-0 - Laser- und Röntgenphysik (R. Kienberger), Physik-Department, Technischen Universität München
- Attosecond Science, Center for Free-Electron Laser Science, Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie, Hamburg