Elektronen-Familie erzeugt bisher unbekannten Aggregatzustand
Entdeckung könnte zu neuer Art von Supraleitung und zu revolutionären Technologien führen.
Supraleitung gilt als Hoffnungsträger der Energiewirtschaft. Ein Team von Wissenschaftlern des Exzellenzclusters „Komplexität und Topologie in Quantenmaterialien“ ct.qmat der Unis Dresden und Würzburg hat jetzt eine bemerkenswerte Entdeckung gemacht: In bestimmten supraleitenden Metallen sorgt ein Verbund aus vier Elektronen dafür, dass ein vollkommen neuer Aggregatzustand entsteht. Bisher kannte man nur die Bedeutung von Elektronen-Paaren für die Supraleitung. Die Entdeckung des Forscherteams ist ein Meilenstein für die Materialforschung.
Bei der Supraleitung ist wesentlich, dass sich Elektronen bei ultratiefen Temperaturen nicht mehr einzeln, sondern als zweiteilige Elektronen-Paare durch ein Metall bewegen. Elektronen-Paare stoßen im Atomgitter nicht an, so dass sie ihre Ladung ganz ohne Energieverluste transportieren können. Als Forscher um Henning Klauss von der TU Dresden das supraleitende Metall Ba1-xKxFe2As2 aus der Klasse der Eisenpniktide experimentell untersuchten, vermuteten sie zunächst einen Fehler.
„Als wir entdeckt haben, dass plötzlich vier statt bisher zwei Elektronen eine Verbindung eingehen, glaubten wir zuerst an einen Messfehler“, so Klauss. „Aber mit je mehr Methoden wir gemessen haben, desto klarer wurde uns, dass es sich um ein neues Phänomen handeln musste: Alle Nachprüfungen kamen zum gleichen Ergebnis. Jetzt wissen wir, dass durch die vierteilige Elektronen-Familie in bestimmten Metallen bei ultratiefer Kühlung ein ganz neuer Aggregatzustand entsteht. Wozu das künftig führt, wird sich in den nächsten Jahren zeigen.“
Schon vor etwa zehn Jahren wurde theoretisch vorhergesagt, dass es bei bestimmten supraleitenden Metallen einen ungewöhnlichen Materiezustand geben könnte, bei dem vier statt zwei Elektronen eine Rolle spielen. Das internationale Forschungsteam des Exzellenzclusters ct.qmat hat nun den ersten experimentellen Nachweis erbracht. Zwei Jahre lang wurde er mit sieben unterschiedlichen Methoden nachgeprüft.
„Wir haben den neuen Aggregatzustand zunächst in einem Schweizer Teilchenbeschleuniger entdeckt. Unsere Ergebnisse konnten wir danach mit sechs weiteren Methoden vor Ort in Dresden und an der Uni Stockholm bestätigen“, sagt Vadim Grinenko von der TU Dresden. Die theoretische Interpretation der Messergebnisse stammt von Egor Babaev von der Uni Stockholm.
Schon die Entdeckung der Eisenpniktide als für Supraleitung besonders geeignete Materialklasse löste ab 2008 einen weltweiten Forschungsboom in Physik und Materialwissenschaft aus. „Wenn man Strom tatsächlich flächendeckend in supraleitenden Metallen bei Raumtemperatur transportieren könnte, wären auf der Stelle etwa zehn Großkraftwerke überflüssig“, so Klauss. „Man kann davon ausgehen, dass unsere Ergebnisse zu einer ganz neuen Forschungsrichtung führen, in der zum Beispiel nach anderen Metallen mit vier zusammenhängenden Elektronen gesucht wird oder man erforscht, wie Materialien verändert werden müssen, damit eine Elektronen-Familie entsteht. Rein theoretisch wäre mit unserer Elektronen-Familie auch eine ganz neue Art von Supraleitung möglich, aber das ist Zukunftsmusik. Sicher ist nur, dass sich Eisenpniktide durch den neuen Aggregatzustand gut für Technologien wie Quantensensoren eignen.“
TU Dresden / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
V. Grinenko et al.: State with spontaneously broken time-reversal symmetry above the superconducting phase transition, Nat. Physics, online 18. Oktober 2021; DOI: 10.1038/s41567-021-01350-9 - Exzellenzcluster ct.qmat – Komplexität und Topologie in Quantenmaterialien, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
- Festkörperphysik/Elektronische Eigenschaften (H.-H. Klauss), Institut für Festkörper- und Materialphysik, Technische Universität Dresden