Elektronen stärker als Röntgenlaser
Energiefreisetzung aus mit Röntgenpulsen angeregten Atomkernen untersucht.
Ein vermeintlicher Nebeneffekt spielt die Hauptrolle. Dies ist das überraschende Ergebnis von Berechnungen, die Physiker um Adriana Pálffy vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg durchgeführt haben, als sie die kontrollierte Energiefreisetzung aus angeregten Atomkernen mit Hilfe eines Röntgenlasers unter die Lupe nahmen. Die direkte Wirkung des Röntgenlasers ist um einige Größenordnungen schwächer als die Wirkung der freigesetzten und wieder eingefangenen Elektronen.
Abb.: Elektron-Einfang aus dem Kontinuum liefert die Energie, um den 93Mo-Kern aus dem Isomer-Zustand auf das Trigger-Niveau anzuheben. Dieses überspringt bei der Energieabgabe den Isomer-Zustand. (Bild: MPIK)
Energiespeicherung ist eines der aktuellsten Probleme der Welt. Eine interessante – zumindest hypothetische – Möglichkeit dafür bieten langlebige, angeregte (also energiereiche) Kernzustände, sogenannte Kernisomere. Solche Kernisomere können sehr große Mengen an Energie in wenig Material speichern. Wenn man die Kernisomere kontrolliert und effizient aufladen und entladen könnte, wären sie eine neue Option zur Energiespeicherung.
Auf der Suche nach einem effizienten und kontrollierten Verfahren fand man einen Trick, um Kernisomere zum Energiespeicher zu machen. Da es fast unmöglich ist, den direkten Zerfall der langlebigen Zustände zu beeinflussen, benutzt man einen Umweg über einen anderen Kernzustand. Dieser Übergang lässt sich mit externen Feldern oder Elektronen leichter steuern. Man spricht von „Triggern“.
Um die in dem Kernisomer gespeicherte Energie freizusetzen, muss man erst den langlebigen Kernzustand weiter anregen. Der dadurch erreichte Zustand ist dann kurzlebig, und falls sein Zerfallsweg nicht über den Isomer-Zustand führt, wird die gesamte Energie freigesetzt. Ein geeigneter Kern ist das Molybdän-Isotop 93Mo. Eine verhältnismäßig kleine Trigger-Anregung von 5 keV setzt die Gesamtenergie von 2,4 MeV als Gammalicht frei. Zum Vergleich: Die Energie von Photonen des sichtbaren Lichts beträgt wenige eV. Photonen von 5 keV sind bei den brillantesten Röntgenquellen unserer Zeit, den Röntgen-Freie-Elektronen-Lasern, bereits verfügbar.
Was geschehen würde, wenn man 93Mo-Kernisomere mithilfe von Röntgen-Laser-Photonen zu entladen versucht, haben jetzt Adriana Pálffy und Kollegen in der Abteilung von Christoph Keitel am Heidelberger Max-Planck-Institut für Kernphysik theoretisch untersucht. In Kollaboration mit Yuri Litvinov vom GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt betrachteten sie ein Szenario, in dem 93Mo-Isomere durch Beschuss mit Wasserstoffkernen in einer Folie aus metallischem Niob in hoher Dichte entstehen. Diese Probe kann für einige Stunden gelagert und dann mit Röntgenphotonen passender Energie bestrahlt werden, um die Energie des Isomers freizusetzen. Dabei haben die Forscher mit Überraschung feststellen müssen, dass gar nicht die primäre, direkte Einwirkung der Röntgenphotonen die Hauptwirkung auf die Isomere hat, sondern ein vorher als Nebeneffekt angesehener elektronischer Prozess.
Intensive Röntgenstrahlen eines Röntgen-Freie-Elektronen-Lasers erzeugen beim Auftreffen auf einen Festkörper ein Plasma. Die Elektronen werden von den Atomen wegkatapultiert und schwingen frei um die entstandenen hochgeladenen Ionen herum. Unter bestimmten Bedingungen kann die Rekombination eines freien Elektrons mit einem hochgeladenen Ion die gleichzeitige Anregung des Atomkerns bewirken. Dafür müssen nur die beim Einfangen freigesetzte Energie und die Kernübergangsenergie übereinstimmen. Was auf den ersten Blick als ein eventuell störender Nebeneffekt erscheint, führt tatsächlich zu einer deutlich höheren Rate für den Kernanregungsprozess.
So deuten die theoretischen Rechnungen darauf hin, dass die Röntgenphotonen ausgerechnet die passenden Ionen und Elektronen im Plasma erzeugen, die Kernanregung durch Elektroneinfang ermöglichen. Auf diese Weise werden um einige Größenordnungen mehr Kerne angeregt als man alleine durch Absorption von Photonen im Kern erzeugen könnte. „Diese Schlussfolgerung ist keineswegs nur für den Fall von 93Mo relevant. Bei fast allen Kernanregungen, die man heutzutage mit dem Röntgenlaser erreichen könnte, wird die Kernanregung durch Elektroneinfang statt Nebenwirkung den Hauptbeitrag liefern“, erläutert Doktorand Jonas Gunst. „Das kann von großer Bedeutung für zukünftige Kernphysikexperimente mit Röntgenlasern sein.“
Unter Berücksichtigung des elektronischen Beitrags zur Kernanregung ist das Triggern von 93Mo zwar deutlich stärker, als man alleine durch die Röntgenphotonen erwarten würde. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, mit der sich das Kernisomer entlädt, immer noch zu gering, um von effizienter Kontrolle zu sprechen. „Wir sind leider noch weit weg von der Kernbatterie der Zukunft“, gibt Gruppenleiterin Adriana Pálffy zu, „aber unsere Ergebnisse zeigen, dass auch positive, in unserem Fall verstärkende Überraschungen auftreten können.“
MPIK / PH