14.04.2016

Elektronen surfen um die Erde

Von Rekonnexion ausgelöste elektro­mag­ne­tische Wellen be­schleu­nigen Elek­tronen, wie neue Satel­liten­mis­sion zeigt.

Die Existenz hochenergetischer Teilchen in den äußeren Atmo­sphären­schichten unseres Planeten ist seit Jahr­zehnten bekannt. Eine Popu­lation energie­reicher Elek­tronen mit bis zu über einigen hundert Kilo­elek­tronen­volt findet sich nicht nur in den Van-Allen-Strahlungs­gürteln. Unge­klärt ist aber noch, was die Elek­tronen auf solch hohe Energien be­schleunigt. Zwar gibt es unter­schied­liche theore­tische Modelle – doch sind die Wechsel­wirkungen des dünnen Plasmas in der Exo­sphäre mit dem Sonnen­wind so komplex, dass nur Messungen vor Ort Auf­schluss über die Beschleu­nigungs­mecha­nismen bringen können.

Abb.: Die vier MMS-Sonden fliegen durch die Magneto­pause, wo das Magnet­feld des Sonnen­winds (gelb-orange) auf das irdische (blau) trifft (künst­lerische Dar­stellung, Bild: NASA)

Zu diesem Zweck hat die NASA vor etwas über einem Jahr die Magneto­spheric Multi­scale Mission, kurz MMS, gestartet. Sie besteht aus vier kleinen Satel­liten, die die Erde auf einer hoch­gradig ellip­tischen Um­lauf­bahn um­kreisen, die von 2500 Kilo­metern bis zu 150.000 Kilo­metern Abstand zur Erde reicht. Dabei fliegen die vier Raum­sonden in Formation: Sie sausen durchs All wie ein Tetra­eder mit einer Kanten­länge von wenigen Dutzend Kilo­metern. Das erlaubt es ihnen, auch räum­lich wie zeit­lich kleine Änderungen in der magne­tischen Struktur der Exo­sphäre wahr­zu­nehmen.

Die Erfahrung aus früheren Missionen hatte gezeigt, dass sowohl der abge­deckte Raum­bereich als auch die Fein­heit der Messungen nicht aus­reichend war, um die teil­weise sehr kurz­lebigen und schnellen Ereig­nisse im Plasma exakt nach­voll­ziehen zu können. Zu diesem Zweck hat die NASA die Elek­tronik an Bord der MMS-Satelliten gegen­über früheren Raum­sonden ver­bessert. Sie messen die elektro­magne­tischen Felder in der Exo­sphäre mit einer zeit­lichen Auf­lösung von 0,1 Milli­sekunden und das Energie­spektrum der Elek­tronen mit einer Auf­lösung von 30 Milli­sekunden.

Seit gut einem Jahr sind die MMS-Satelliten im All und bringen nun wissen­schaftliche Ergeb­nisse, die zumindest die ersten Schritte bei der Beschleu­nigung von Elek­tronen hin zu hohen Energien aufzu­klären helfen. Die Wissen­schaftler konnten in den MMS-Daten kurze elektro­magne­tische Pulse identi­fizieren, die mit einem deut­lichen Anstieg der Elek­tronen-Energien ein­her­gingen. Diese „time domain struc­tures“, kurz TDS, genannten Pulse ent­stehen ver­mutlich durch magne­tische Rekon­nexion, wenn gegen­läufig orien­tierte Magnet­felder des Sonnen­winds und der Erd­atmo­sphäre auf­ein­ander­treffen und sich die über­kreuzten Magnet­felder im Plasma neu aus­richten. Dabei wird viel Energie frei – wahr­scheinlich spielt dieser Effekt auch bei Sonnen­eruptionen eine wichtige Rolle.

Solche TDS sind nur Millisekunden lange Pulse, die mit einigen Tausend Kilo­metern pro Stunde durch das Plasma wandern. Offen­sicht­lich hatte eine solche durch Rekon­nexion ausge­löste, rund 4000 Kilo­meter pro Stunde schnelle Welle Elek­tronen auf das bis zu 40-fache ihrer ursprüng­lichen Energie beschleunigt. Zwei der vier MMS-Satelliten konnten eine solche TDS ein­fangen. Wie die MMS-Messungen ergaben, hatte der Durch­lauf einer einzigen TDS das Energie­spektrum der Elektronen deut­lich zu höheren Energien ver­schoben.

Dabei beobachteten die Forscher teilweise eine Verviel­fachung der Elek­tronen-Energie von fünf auf zwei­hundert Elektronen­volt. Das ist zwar noch viel zu wenig, um die teil­weise bei vielen Kilo­elektronen­volt liegenden Elektronen-Energien zu erklären, die in der Exo­sphäre auf­treten. Aber die Verviel­fachung der Teilchen­energie durch eine einzige solche Fermi-Reflexion könnte einen Schlüssel zur Auf­klärung dieser Prozesse liefern.

Schon lange vermuten Astrophysiker, dass Fermi-Reflexionen eine ent­scheidende Rolle für die Ent­stehung hoch­energe­tischer Teilchen spielen. Das gilt nicht nur auf kosmischen Skalen, etwa bei den Schock­fronten von Super­novae, sondern auch bei vergleichs­weise harm­losen elektro­magne­tischen Pulsen, wie sie durch magne­tische Rekon­nexion in den oberen Atmo­sphären­schichten der Erde ausge­löst werden. Bei der Fermi-Reflexion gewinnt ein geladenes Teilchen an Energie, wenn es auf eine elektro­magne­tische Welle in einem Plasma trifft und durch diese beschleunigt wird. Unter geeigneten Bedingungen kann das zu Mehrfach-Reflexionen führen und dabei effektiv elektro­magne­tische Energie in kinetische Energie umsetzen. In kosmischen Größen­ordnungen ist dieser Mecha­nismus vermutlich für die extrem energie­reiche kosmische Strahlung verant­wortlich, seine Rolle in irdischem Maßstab ist aber noch unzu­reichend verstanden.

Die Forscher erhoffen sich von der MMS-Mission nicht nur Aufschluss über die Wechsel­wirkung der irdischen Exo­sphäre: Auch für die anderen Planeten und insbe­sondere für die Flares und Eruptionen auf der Sonne sollten ähnliche Wirkungen wichtig sein. Bislang sind einige Details in den Messungen aber nicht gut verstanden. Das liegt nicht zuletzt an der Wechsel­haftig­keit der Plasma-Pulse: So liefern die zeit­liche Ent­wicklung von TDS und ihre variable Geschwin­digkeit, die sich nicht einfach messen lässt, bislang noch einige Unbe­kannte in den Gleichungen der Forscher. Noch aber ist die ange­setzte Lebens­dauer der MMS-Satelliten nicht abge­laufen. In der zweiten Hälfte ihrer Missions­zeit sollen sie auf einer höheren Umlauf­bahn die magne­tische Rekonnexion eingehend erforschen.

Dirk Eidemüller

RK

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