21.08.2020

Elektronenbewegung in Atto-Zeitlupe

Erste Augenblicke beim Start einer chemischen Reaktion in Flüssigkeit aufgelöst.

Um zu verstehen, wie chemische Reaktionen beginnen, untersuchen Forscher seit Jahren mit Super­zeitlupen­experimenten die allerersten Momente einer Reaktion. Mittlerweile sind Messungen mit einer Auflösung von wenigen Dutzend Atto­sekunden möglich. „In diesen ersten paar Dutzend Attosekunden einer Reaktion kann man bereits beobachten, wie sich Elektronen innerhalb von Molekülen verschieben“, erklärt Hans Jakob Wörner, Professor am Laboratorium für physikalische Chemie der ETH Zürich. „Später, im Verlauf von rund 10.000 Atto­sekunden oder zehn Femto­sekunden kommt es dann bei chemischen Reaktionen zu Bewegungen der Atome bis hin zum Bruch von chemischen Bindungen.“
 

Abb.: Die Wissenschaftler spritzen von oben Wasser in die Analyse­kammer, wo...
Abb.: Die Wissenschaftler spritzen von oben Wasser in die Analyse­kammer, wo es einen kurzen Mikro­strahl bildet, auf den ein Laser­puls trifft. (Bild: ETHZ / I. Jordan)

Der ETH-Professor gehörte vor fünf Jahren zu den ersten Wissenschaftlern, die in Molekülen Elektronen­bewegungen auf der Attosekunden-Skala nachweisen konnten. Allerdings konnten solche Messungen bisher nur bei Molekülen in Gasform durchgeführt werden, weil sie in einer Hochvakuum-Kammer stattfinden. 

Mit dem Bau einer neuen Messapparatur ist es Wörner und seinen Mitarbeitern nun gelungen, solche Bewegungen in Flüssigkeit nachzuweisen. Die Forscher nutzten dazu die Photo­emission von Wasser, bei der sie mit Licht Wasser­moleküle bestrahlen, wodurch Elektronen aus ihnen heraus­geschleudert werden. Diese Elektronen können die Wissenschaftler messen. „Wir haben für unsere Untersuchung diesen Vorgang gewählt, weil es mit Laserpulsen möglich ist, ihn zeitlich höchst präzise zu starten“, erklärt Wörner.

Auch die neuen Messungen fanden im Hochvakuum statt. Wörner und sein Team nutzten dafür einen 25 Mikrometer dünnen Flüssigkeits­strahl, den sie in die Messkammer einspritzten. Die Wissenschaftler konnten damit messen, dass Elektronen aus Wassermolekülen in Flüssigkeit fünfzig bis siebzig Attosekunden später heraus­befördert werden als aus Wasser­molekülen in Dampfform. Der Zeit­unterschied ist darauf zurück­zuführen, dass die Moleküle in Flüssigkeit von anderen Wasser­molekülen umgeben sind, was auf das einzelne Molekül einen messbaren Verzögerungs­effekt hat. 

„Elektronenbewegungen sind die Schlüssel­ereignisse in chemischen Reaktionen. Daher ist es so wichtig, sie auf einer hoch­aufgelösten Zeitskala zu messen“, sagt Wörner. „Der Schritt von Messungen in Gasen zu Messungen in Flüssigkeit ist von besonderer Bedeutung, weil die meisten chemischen Reaktionen und insbesondere die biochemisch interessanten Prozesse in Flüssigkeiten stattfinden.“

Unter letzteren gibt es zahlreiche Prozesse, die wie die Photoemission von Wasser ebenfalls durch Licht­strahlung ausgelöst werden. Die Photo­synthese von Pflanzen zählt dazu sowie die biochemischen Vorgänge auf unserer Netzhaut, welche uns das Sehen ermöglichen, und durch Röntgen-Strahlung oder andere ionisierende Strahlung verursachte Schäden an der DNA. Mit der Hilfe von Atto­sekunden­messungen wollen Wissenschaftler in den nächsten Jahren neue Einblicke in diese Reaktionen gewinnen. 

ETHZ / DE

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