30.05.2017

Elektronenstreuung im Zeitraffer

Streuverhalten von Elektronen in dielektrischen Nanoteilchen mit hoher Präzision vermessen.

Elektronen in nichtleitenden Materialien könnte man Trägheit nachsagen. In der Regel bleiben sie an ihren Plätzen, tief im Inneren eines solchen Atom­verbunds. Es herrscht also relative Ruhe im dielektrischen Kristallgitter. Dieses Idyll haben nun Physiker vom Labor für Attosekunden­physik (LAP) der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und des Max-Planck-Instituts für Quanten­optik (MPQ) in einer Teamarbeit mit Wissenschaftlern vom Institut für Photonik und Nano­technologien (IFN-CNR) in Mailand, dem Institut für Physik der Universität Rostock, dem Max-Born-Institut (MBI) in Berlin, sowie dem Center for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg und der Universität Hamburg erheblich durcheinander gewirbelt. Zum ersten Mal haben es die Forscher geschafft, die Interaktion zwischen Licht und Elektronen in einem Dielektrikum, also einem nicht­leitenden Material, auf Zeitskalen von Atto­sekunden zu verfolgen.

Abb.: Elektronen benötigen nach ihrer Anregung durch ultraviolettes Licht im Mittel zirka 370 Sekunden, um ein Dielektrikum zu verlassen. (Bild: D. Luck, T. Naeser)

Die Forscher schickten auf ein rund fünfzig Nanometer dickes Glas­teilchen Lichtblitze, die nur wenige hundert Atto­sekunden dauerten und Elektronen in dem Glas freisetzten. Gleichzeitig strahlten die Forscher ein intensives Lichtfeld auf die Glasteilchen, das nur wenige Femto­sekunden wirkte und die freigesetzten Elektronen in Schwingungen versetzte. Grundsätzlich konnte es in der Folge zu zwei unterschiedlichen Reaktionen der Elektronen kommen. Zuerst setzten sie sich in Bewegung, dann stießen sie mit den Atomen aus dem Teilchen entweder elastisch oder unelastisch zusammen. Zwischen jeder Wechsel­wirkung konnten sich die Elektronen aufgrund des dichten Kristallgitters nur wenige Ångström frei bewegen. „Bei einem elastischen Stoß bleibt wie beim Billard die Energie des Elektrons erhalten, nur die Richtung kann sich ändern. Bei einem unelastischen Stoß werden die Atome angeregt und ein Teil der Energie der Elektronen geht verloren. Für das Experiment bedeutete dies einen Rückgang des Elektronen­signals, den wir messen konnten“, beschreibt Francesca Calegari (CNR-IFN Mailand und CFEL/Universität Hamburg) die Experimente.

Da es dem Zufall überlassen ist, ob eine Interaktion elastisch oder unelastisch erfolgt, werden mit der Zeit zwangsläufig unelastische Inter­aktionen stattfinden und die Anzahl rein elastisch gestreuter Elektronen abnehmen. Durch genaue Messung der Schwingung der Elektronen in dem starken Lichtfeld gelang es den Forschern heraus­zufinden, dass es im Mittel zirka 150 Atto­sekunden dauerte, bis elastisch stoßende Elektronen das Nano­teilchen verlassen hatten. „Aus der gemessenen Zeit­verzögerung konnten wir mittels unserer neu entwickelten Theorie eine unelastische Stoßzeit von etwa 370 Atto­sekunden für die Elektronen bestimmen und damit erstmals diesen Prozess in einem Dielektrikum zeitlich vermessen“, beschreibt Thomas Fennel von der Universität Rostock und dem Max-Born-Institut in Berlin die Analyse der Messdaten.

Die Erkenntnisse der Forscher könnten nun medizinischen Anwendungen zu Gute kommen. Denn mit diesen weltweit ersten Ultrakurzzeit-Beobachtungen von Elektronen­bewegungen in einem nicht­leitenden Material haben die Forscher wichtige Erkenntnisse über die Wirkung von Strahlung in einem Körper erlangt, der dem menschlichen Gewebe in seinen dielektrischen Eigenschaften ähnlich ist. In den Experimenten ist die Energie der angeregten Elektronen über das Licht steuerbar und somit kann dieser Prozess für einen breiten Energiebereich und für verschiedene Dielektrika untersucht werden.

„Bei jeder Einwirkung hoch­energetischer Strahlung auf Gewebe werden Elektronen erzeugt, die wiederum durch unelastische Stöße Energie auf die Atome und Moleküle des Gewebes übertragen, wodurch dieses zerstört werden kann. Genaue Kenntnisse über die Elektronen­streuung sind daher für die Bekämpfung von Tumoren wichtig. Hiermit lassen sich durch Computer­simulationen Behandlungen so optimieren, dass ein Tumor zerstört wird, gesundes Gewebe aber möglichst verschont bleibt“, beschreibt Matthias Kling die Bedeutung der Arbeiten. Im nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler in den Experimenten die Glas-Nanoteilchen durch Wasser­tropfen ersetzen, um das Wechselspiel zwischen Elektronen und dem Stoff, aus dem lebendes Gewebe größten­teils besteht, genauer zu untersuchen.

MPQ / DE

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