19.09.2018

Emissionsfrei ohne Oberleitung

Neue Konzepte für den Schienen­verkehr setzen auf Akkus und Brennstoff­zellen.

2019 jährt sich der Einsatz der ersten Elektrolok von Siemens & Halske zum 140sten Mal und bereits 1895 wurden die ersten Akkumulator­­triebwagen in Deutsch­land erprobt. 1907 gingen die ersten in den Regel­betrieb – und blieben bis 1950 im Bestand der Bahn. Ab 1954 übernahmen die ETA 150 Triebwagen, die bald Spitznamen wie „Steck­dosen-InterCity“ oder – wegen des Fahrgeräuschs – „Biene Maja“ erhielten. Nach deren Aus­mustern Ende der 1980er Jahre wurde es laut auf den nicht elek­trifi­zierten Strecken der Bahn – immerhin vierzig Prozent des gesamten Netzes – und die Diesel­loks und -trieb­züge röhrten fortan durch die Lande.

Abb.: Weltpremiere: Alstoms Wasserstoff-Züge starten im öffentlichen Linienverkehr in Niedersachsen. (Quelle: Siemens Alstom)

Das soll sich bald aber wieder ändern: Die TU Berlin arbeitet gemeinsam mit Bombardier Transpor­­tation an einem Zug mit batterie­­elektrischem Antrieb. Dieser kann unter Ober­leitung zwar als Elektro­­triebzug fahren, ist jedoch auf keine externe Strom­leitung ange­wiesen. In 2019 sollen bereits Strecken von bis zu hundert Kilometern alleine durch den Batterie­­antrieb bewältigt werden. er emissions­freie Zug setzt dabei mit einem Wirkungs­­grad von rund neunzig Prozent Maßstäbe für einen energie­­effizienten Bahnbetrieb. Er ist außerdem zu neunzig Prozent recycelbar und ermöglicht somit einen umwelt­­freundlichen Lebens­­zyklus der Fahrzeuge. Die Wirtschaft­­lichkeit und technische Umsetzung werden nun einem Härtetest unter­zogen. Die Deutsche Bahn beginnt im kommenden Jahr einen zwölf­­monatigen Test­betrieb mit Fahrgästen in der Region Alb-Bodensee. Gefördert wird das Forschungs­projekt durch das Bundes­verkehrs­­ministerium im Rahmen eines Inno­vations­­programms für Elektro­­mobilität mit vier Millionen Euro.

Die TU Berlin übernimmt dabei die wissen­schaft­liche Begleitung des Projektes. Ziel der Forschung, angesiedelt am Fach­gebiet Schienen­­fahrwege und Bahnbetrieb sowie am Fachgebiet Methoden der Produkt­­entwicklung und Mechatronik, ist eine umfassende Anwendungs- und Wirtschaft­lichkeits­untersuchung der Technologie, auf deren Basis Handlungs­empfehlungen für Partner in der Industrie und im ÖPNV abgeleitet werden. Konkret arbeitet das Team um die Profes­soren Markus Hecht und Dietmar Göhlich noch bis Mitte 2020 an Einsatz­­szenarien sowie Fahrzeit- und Energie­­verbrauchs­­simulationen. Außerdem wird eine Umwelt­bilanz und Lebens­­zyklus­kosten­­betrachtung der Tech­no­logie vorgenommen. Um Akzeptanz für die neue Antriebs­­technik zu schaffen, werden zudem Befragungen bei Trieb­fahr­zeug­führern, Fahr­gästen und weiteren Stake­­holdern ausgewertet.

Die Jungfernfahrt des neuen Zuges fand am Produktions­­standort von Bombardier in Hennigs­dorf statt, an der auch Enak Ferlemann, Staats­­sekretär im Bundes­verkehrs­­ministerium und zudem Bundes­­beauftragter für den Schienen­verkehr, teilnahm. Beim Zug kommt Bombardiers Primove-Tech­nologie zum Einsatz, die schon seit längerem in den Elektro­bussen erprobt wird, beispiels­weise in Mannheim.

Abb.: Für das Verbundprojekt BEMU (battery electric multiple unit) mit Bombardier Transportation wurde ein Talent-Elektrotriebwagen mit Traktionsbatterien ausgestattet. (Quelle: Bombardier)

Anders Siemens-Alstom: der Konzern mit Sitz in Paris setzt statt auf Akkus auf Brennstoff­­zellen. Sein Coradia iLint Wasserstoff-Express ging im Frühjahr 2017 auf Testfahrt in Salz­gitter, erhielt jetzt im Sommer die Zulassung und feierte nun am Sonntag Welt­premiere im öffent­­lichen Linien­­verkehr, zu der Europas größter Schienen­­fahrzeug­­bauer, Nieder­s­achsens Wirt­schafts- und Verkehrs­­ministerium, das Bundes­verkehr­s­ministerium sowie die Landes­­nahverkehrs­­gesellschaft Nieder­sachsen LNVG und die Eisenbahnen und Verkehrs­betriebe Elbe-Weser EVB nach Bremer­­vörde eingeladen hatten. Zwei Garnituren des weltweit ersten Wasserstoff-Brennstoff­­zellenzugs befördern seit dem 17. September Fahrgäste, regulär im öffent­lichen Linien­­verkehr und nach festem Fahrplan.

Freuen auf eine Fahrt mit den geräusch­­armen, bis zu 140 Kilometern pro Stunde schnellen Zügen dürfen sich vorerst aber nur Reisende im Elbe-Weser-Netz der EVB. Im Auftrag der LNVG sind die Coradia iLint auf einer knapp hundert Kilometer langen Strecke zwischen Cuxhaven, Bremer­­haven, Bremer­vörde und Buxtehude unterwegs und ersetzen dort die bisherigen Diesel­­trieb­wagen. Befüllt werden die neuen Züge mit Hilfe einer mobilen Tankstelle. Aus einem neben den Gleisen im Bahnhof Bremer­­vörde stehenden, zwölf Meter großen Stahl­container wird der gasförmige Wasser­stoff in die Züge gepumpt. Dank einer Reichweite von tausend Kilometern können sie mit nur einer Tankfüllung einen ganzen Tag lang im Netz fahren.

Pläne für eine ortsfeste Wasser­stoff-Tankstelle auf dem Betriebs­­gelände der EVB gibt es bereits. Sie soll 2021 in Betrieb gehen, wenn Alstom weitere 14 Wasser­­stoffzüge an die LNVG aus­lie­fert. Nieder­­sachsens Wirtschafts- und Verkehrs­ministerium hat die Anschaffung mit über 81 Millionen Euro unterstützt. Auch der Bund hat die Entwicklung und Erprobung der neuen Antriebs­­technologie in Nieder­­sachsen tatkräftig unterstützt und dafür Fördergelder aus dem Nationalen Innovations­­programm für Wasserstoff und Brennstoff­­zellen-Tech­no­logie bereit­­gestellt.

TU Berlin / Alstom / OD

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