Emissionsfrei ohne Oberleitung
Neue Konzepte für den Schienenverkehr setzen auf Akkus und Brennstoffzellen.
2019 jährt sich der Einsatz der ersten Elektrolok von Siemens & Halske zum 140sten Mal und bereits 1895 wurden die ersten Akkumulatortriebwagen in Deutschland erprobt. 1907 gingen die ersten in den Regelbetrieb – und blieben bis 1950 im Bestand der Bahn. Ab 1954 übernahmen die ETA 150 Triebwagen, die bald Spitznamen wie „Steckdosen-InterCity“ oder – wegen des Fahrgeräuschs – „Biene Maja“ erhielten. Nach deren Ausmustern Ende der 1980er Jahre wurde es laut auf den nicht elektrifizierten Strecken der Bahn – immerhin vierzig Prozent des gesamten Netzes – und die Dieselloks und -triebzüge röhrten fortan durch die Lande.
Abb.: Weltpremiere: Alstoms Wasserstoff-Züge starten im öffentlichen Linienverkehr in Niedersachsen. (Quelle: Siemens Alstom)
Das soll sich bald aber wieder ändern: Die TU Berlin arbeitet gemeinsam mit Bombardier Transportation an einem Zug mit batterieelektrischem Antrieb. Dieser kann unter Oberleitung zwar als Elektrotriebzug fahren, ist jedoch auf keine externe Stromleitung angewiesen. In 2019 sollen bereits Strecken von bis zu hundert Kilometern alleine durch den Batterieantrieb bewältigt werden. er emissionsfreie Zug setzt dabei mit einem Wirkungsgrad von rund neunzig Prozent Maßstäbe für einen energieeffizienten Bahnbetrieb. Er ist außerdem zu neunzig Prozent recycelbar und ermöglicht somit einen umweltfreundlichen Lebenszyklus der Fahrzeuge. Die Wirtschaftlichkeit und technische Umsetzung werden nun einem Härtetest unterzogen. Die Deutsche Bahn beginnt im kommenden Jahr einen zwölfmonatigen Testbetrieb mit Fahrgästen in der Region Alb-Bodensee. Gefördert wird das Forschungsprojekt durch das Bundesverkehrsministerium im Rahmen eines Innovationsprogramms für Elektromobilität mit vier Millionen Euro.
Die TU Berlin übernimmt dabei die wissenschaftliche Begleitung des Projektes. Ziel der Forschung, angesiedelt am Fachgebiet Schienenfahrwege und Bahnbetrieb sowie am Fachgebiet Methoden der Produktentwicklung und Mechatronik, ist eine umfassende Anwendungs- und Wirtschaftlichkeitsuntersuchung der Technologie, auf deren Basis Handlungsempfehlungen für Partner in der Industrie und im ÖPNV abgeleitet werden. Konkret arbeitet das Team um die Professoren Markus Hecht und Dietmar Göhlich noch bis Mitte 2020 an Einsatzszenarien sowie Fahrzeit- und Energieverbrauchssimulationen. Außerdem wird eine Umweltbilanz und Lebenszykluskostenbetrachtung der Technologie vorgenommen. Um Akzeptanz für die neue Antriebstechnik zu schaffen, werden zudem Befragungen bei Triebfahrzeugführern, Fahrgästen und weiteren Stakeholdern ausgewertet.
Die Jungfernfahrt des neuen Zuges fand am Produktionsstandort von Bombardier in Hennigsdorf statt, an der auch Enak Ferlemann, Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium und zudem Bundesbeauftragter für den Schienenverkehr, teilnahm. Beim Zug kommt Bombardiers Primove-Technologie zum Einsatz, die schon seit längerem in den Elektrobussen erprobt wird, beispielsweise in Mannheim.
Abb.: Für das Verbundprojekt BEMU (battery electric multiple unit) mit Bombardier Transportation wurde ein Talent-Elektrotriebwagen mit Traktionsbatterien ausgestattet. (Quelle: Bombardier)
Anders Siemens-Alstom: der Konzern mit Sitz in Paris setzt statt auf Akkus auf Brennstoffzellen. Sein Coradia iLint Wasserstoff-Express ging im Frühjahr 2017 auf Testfahrt in Salzgitter, erhielt jetzt im Sommer die Zulassung und feierte nun am Sonntag Weltpremiere im öffentlichen Linienverkehr, zu der Europas größter Schienenfahrzeugbauer, Niedersachsens Wirtschafts- und Verkehrsministerium, das Bundesverkehrsministerium sowie die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen LNVG und die Eisenbahnen und Verkehrsbetriebe Elbe-Weser EVB nach Bremervörde eingeladen hatten. Zwei Garnituren des weltweit ersten Wasserstoff-Brennstoffzellenzugs befördern seit dem 17. September Fahrgäste, regulär im öffentlichen Linienverkehr und nach festem Fahrplan.
Freuen auf eine Fahrt mit den geräuscharmen, bis zu 140 Kilometern pro Stunde schnellen Zügen dürfen sich vorerst aber nur Reisende im Elbe-Weser-Netz der EVB. Im Auftrag der LNVG sind die Coradia iLint auf einer knapp hundert Kilometer langen Strecke zwischen Cuxhaven, Bremerhaven, Bremervörde und Buxtehude unterwegs und ersetzen dort die bisherigen Dieseltriebwagen. Befüllt werden die neuen Züge mit Hilfe einer mobilen Tankstelle. Aus einem neben den Gleisen im Bahnhof Bremervörde stehenden, zwölf Meter großen Stahlcontainer wird der gasförmige Wasserstoff in die Züge gepumpt. Dank einer Reichweite von tausend Kilometern können sie mit nur einer Tankfüllung einen ganzen Tag lang im Netz fahren.
Pläne für eine ortsfeste Wasserstoff-Tankstelle auf dem Betriebsgelände der EVB gibt es bereits. Sie soll 2021 in Betrieb gehen, wenn Alstom weitere 14 Wasserstoffzüge an die LNVG ausliefert. Niedersachsens Wirtschafts- und Verkehrsministerium hat die Anschaffung mit über 81 Millionen Euro unterstützt. Auch der Bund hat die Entwicklung und Erprobung der neuen Antriebstechnologie in Niedersachsen tatkräftig unterstützt und dafür Fördergelder aus dem Nationalen Innovationsprogramm für Wasserstoff und Brennstoffzellen-Technologie bereitgestellt.
TU Berlin / Alstom / OD