Ende im Polarmeer
Der ESA-Klimasatellit Cryosat ist kurz nach dem Start der russischen Trägerrakete Rockot abgestürzt.
Ende im Polarmeer
Darmstadt (dpa) - Zunächst sah alles nach einem Bilderbuchstart aus. Pünktlich um 17.02 Uhr mitteleuropäischer Zeit hob am Samstag eine Rockot-Rakete vom russischen Plessezk mit dem Klimasatelliten «Cryosat» der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA) ab. Nach wenigen Sekunden verschwand sie im bewölkten Himmel und gab keinen Anlass zu der Vermutung, dass etwas schief gehen könnte. Doch wenige Stunden später wurde aus ersten Befürchtungen Gewissheit: Die Rakete war ins Meer gestürzt - und mit ihr der Satellit, der Veränderungen der Eiskappen an Nord- und Südpol untersuchen sollte.
Vermutlich sei Cryosat nordöstlich Grönlands in der menschenleeren Lincoln-See niedergegangen, teilten die ESA und ihre Tochter Eurockot noch am selben Abend mit. Damit ist die 136 Millionen teure Mission gescheitert, bevor sie richtig begonnen hat. Cryosat hätte aus 717 Kilometern Höhe zentimetergenau die Eisdicke an den Polen messen sollen, um Daten über die noch weitgehend unverstandene Wechselwirkung zwischen globalem Klimawandel und Polareis zu liefern.
Für die ESA ist es die schwerste Schlappe, seit 1996 die Ariane-5- Rakete bei ihrem Jungfernflug mit vier Satelliten an Bord abstürzte. Denn seither war den Wissenschaftlern kein einziger Satellit verloren gegangen.
Entsprechend enttäuscht und betroffen waren die Wissenschaftler im ESA-Kontrollzentrum in Darmstadt. Monatelang hatten sie sich auf den Moment vorbereitet, in dem sich der Satellit von der Rakete lösen sollte und sie das Kommando übernehmen würden. Vom Computerausfall bis zu Problemen mit den Instrumenten an Bord oder beim Erreichen der geplanten Umlaufbahn hatten sie alle Eventualitäten durchgespielt.
Noch als am Samstag die ersten Hinweise auf ein Problem auftauchten, zeigten sich die Verantwortlichen der Cryosat-Mission zuversichtlich. Eineinhalb Stunden nach dem Start war das erwartete erste Funksignal des Satelliten ausgeblieben. «Das bedeutet nicht, dass die Mission verloren ist», sagte der Direktor des ESA- Erdbeobachtungsprogramms, Volker Liebig. Selbst als sich herausstellte, dass die letzte Raketenstufe möglicherweise nicht gezündet hatte, gab Flugdirektor Alan Smith die Hoffnung nicht auf. Noch immer könne sich Cryosat - eventuell in einer ungeplanten Umlaufbahn - orten und in Betrieb nehmen lassen, spekulierte er.
Doch so weit kam es gar nicht: Nach den ersten Erkenntnissen von ESA und Eurockot versagte das Steuerungssystem der zweiten Raketenstufe. Deren Antrieb schaltete sich nicht aus, die dritte Stufe mit dem Satelliten konnte sich nicht lösen, und alles zusammen stürzte zurück zur Erde.
«Die Eurockot-Raketen sind normalerweise extrem zuverlässig», sagte ESA-Sprecherin Jocelyne Landeau am Sonntag. Mehr als 150 Mal sei die umgerüstete SS-19-Interkontinentalrakete bislang fehlerlos gestartet, wenn man die Erfahrungen mit dem militärischen Ausgangsmodell mitzähle. Die ESA vermarktet die Starts international über Eurockot und wollte die Rakete für Cryosat erstmals selbst nutzen. «Das Vertrauen in Eurockot ist immer noch da», sagte Landeau.
Die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos hat nun zunächst weitere Starts der Rockot gestoppt, wie die Nachrichtenagentur Interfax berichtete. Eine russische Untersuchungskommission soll die Ursachen des Fehlschlags klären. Mit ersten Ergebnissen ist nach ESA-Angaben in rund zwei Wochen zu rechnen. Wie die ESA selbst auf das Scheitern der Mission reagieren wird, ist noch völlig offen. Ein Duplikat von Cryosat gibt es nicht. Auch Geld für eine Ersatzmission sei kurzfristig nicht vorhanden, sagte Sprecherin Landeau. An diesem Montag werde die ESA mit Beratungen über ihr Vorgehen beginnen. Konkrete Beschlüsse seien vorerst nicht zu erwarten.
Christoph Dreyer, dpa
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