27.10.2020

Energie sparen im Schwarm

Experimente mit Roboterfischen belegen energiesparende Synchronisierung beim Flossenschlag.

Fische in Schwärmen schwimmen auf eindrucksvolle Art und Weise synchron. Dennoch haben Jahrhunderte der Forschung eine grundlegende Frage nicht beantworten können: Sparen Fische durch das Schwimmen im Schwarm Energie? Nun liefern Wissenschaftler des Konstanzer Max-Planck-Instituts für Verhaltens­biologie, der Universität Konstanz und der Universität Peking die Antwort, die seit langem vermutet, aber nie schlüssig durch Experimente belegt wurde: Ja.
 

Abb.: Durch Roboter­fische wird messbar, wie Fische durch das Schwimmen im...
Abb.: Durch Roboter­fische wird messbar, wie Fische durch das Schwimmen im Schwarm Energie sparen. (Bild: MPI f. Verhaltens­biologie/ L. Li)

Mit bionischen, fischartigen Robotern konnten die Forscher zeigen, dass Fische durch die Anwendung einer einfachen Verhaltens­regel Wasser­strudel ausnutzen können, die von vor ihnen schwimmenden Artgenossen erzeugt werden. Indem sie ihren Schwanz­flossenschlag an ihre direkten Nachbarn anpassen – eine Strategie, die als „vortex phase matching“ bezeichnet wird – profitierten die Roboter hydro­dynamisch von einem nahen Nachbarn, unabhängig davon, wo sie sich im Verhältnis zu diesem Nachbarn positionieren. Das bisher unbekannte und mit den Robotern nachgewiesene Prinzip erwies sich dabei als dieselbe Strategie, die wildlebende Fische anwenden. 

„Fischschwärme sind hochdynamische, soziale Systeme“, sagt Iain Couzin, Direktor des Max-Planck-Instituts für Verhaltens­biologie und Principal Investigator des Exzellenz­clusters „Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour“ an der Universität Konstanz. „Unsere Ergebnisse liefern eine Erklärung dafür, wie Fische von den Wasserstrudeln profitieren können, die von benachbarten Fischen erzeugt werden, ohne feste Abstände zueinander einhalten zu müssen.“

Die Frage, ob Fische durch das Schwimmen im Schwarm Energie sparen, kann nur durch die Messung ihres Energiehaushaltes beantwortet werden. Da eine akkurate Messung bei Fischen in freier Wildbahn bisher nicht möglich war, haben vorangegangene Studien versucht, diese Frage mit theoretischen Modellen und Berechnungen zu beantworten. Die aktuelle Studie hat die experimentelle Hürde jedoch überwunden. Die Forscher entwickelten einen 3D-Roboterfisch, der eine weiche Schwanzflosse besitzt und mit Hilfe wellenförmiger Bewegungen schwimmt, welche die Fort­bewegungs­weise eines echten Fisches exakt nachahmen. Im Gegensatz zu ihrem lebendigen Pendant ermöglichen die Roboter allerdings eine direkte Messung des Energie­verbrauchs beim Schwimmen allein sowie beim Schwimmen im Verbund mit anderen.

„Durch die Entwicklung eines bionischen Roboters konnten wir das grundlegende Problem der Bestimmung des Energie­verbrauchs beim Schwimmen lösen“, erklärt Liang Li, Postdoktorand am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie. „Wenn wir nun mehrere Roboter miteinander interagieren lassen, können wir auf effiziente Weise untersuchen, wie sich unterschiedliche Strategien des gemeinsamen Schwimmens auf die Fort­bewegungs­kosten auswirken.“

Die Forscher verglichen Roboterfische, die in Paaren schwammen, mit allein schwimmenden Exemplaren. In mehr als 10.000 Versuchen testeten sie hinterherschwimmende Fische in jeder möglichen Position relativ zu den voran­schwimmenden Fischen – und verglichen dann ihren Energie­verbrauch mit dem der allein schwimmenden Fische.

Dabei zeigten sich hinsichtlich des Energie­verbrauchs klare Unterschiede zwischen allein schwimmenden Roboter­fischen und solchen, die sich in Paaren fortbewegten. Dies hängt damit zusammen, wie voranschwimmende Fische die Hydrodynamik der nachfolgenden Fische beeinflussen. Der Energie­verbrauch eines nachfolgenden Fisches wird von zwei Faktoren bestimmt: durch seinen Abstand zum Leitfisch und durch das Verhältnis, in dem sein Schwanz­schlag zu dem des Leitfisches steht. Es ist also mit anderen Worten wichtig, ob sich der nachfolgende Fisch eher näher oder eher weiter entfernt vom Leitfisch befindet und wie er den Schlag seiner Schwanz­flosse anpasst, um die vom Leitfisch erzeugten Strudel auszunutzen.

Das Geheimnis liegt also in der Synchronisierung: Um Energie zu sparen, müssen die Tiere ihren Schwanzschlag an den des Leitfisches anpassen, wobei abhängig von ihrer Position im Schwarm eine entsprechende zeitliche Verzögerung nötig ist – eine Strategie, die das Forschungsteam „vortex phase matching“ nennt. Für Fische, die neben Leitfischen schwimmen, ist es besonders energieeffizient, ihren Schwanz­schlag mit dem des Leit­fisches zu synchronisieren. Je weiter sie jedoch zurückfallen, desto größer sollte die Verzögerung zum Schwanz­schlag des Leitfisches werden.

Um die Hydrodynamik sichtbar zu machen, ließen die Forscher winzige Wasser­stoff­blasen im Wasser aufsteigen und beleuchteten sie mit einem Laser. Dadurch wurden die von den Schwimm­bewegungen der Roboter erzeugten Strudel erkennbar. Es stellte sich heraus, dass die Leitfische Wasser­strudel erzeugen, die dann stromabwärts wandern. Auch zeigte sich, dass die Roboter diese Strudel auf verschiedene Weise nutzen konnten. „Es geht nicht nur darum, Energie zu sparen. Indem sie ihren Takt anpassen, können hinterher­schwimmende Fische die von anderen Fischen erzeugten Wasser­strudel auch nutzen, um Vorwärtsschub zu generieren und zu beschleunigen“, sagt Co-Autor Máté Nagy, der als Postdoktorand des Max-Planck-Instituts für Verhaltens­biologie an diesem Projekt arbeitete. Mittlerweile leitet er die Forschungs­gruppe für Schwarm­verhalten „Lendület“ der Ungarischen Akademie der Wissenschaften und der Universität Eötvös (Ungarn).

Aber nutzen auch echte Fische die Strategie des „vortex phase matching“, um Energie zu sparen? Um diese Frage zu beantworten, schuf das Forschungs­team ein einfaches hydro­dynamisches Modell, das prognostiziert, wie sich echte Fische verhalten würden, sofern sie „vortex phase matching“ nutzen. Das Team setzte künstliche Intelligenz zur Analyse der Körper­haltung gemeinsam schwimmender Goldfische ein und stellte fest, dass diese Strategie tatsächlich in der Natur zur Anwendung kommt.

Couzin erklärt: „Wir haben eine einfache Regel für die Synchronisierung mit Nachbar­fischen entdeckt, die es hinterher­schwimmenden Fischen erlaubt, vom Schwarm erzeugte Strudel kontinuierlich zu nutzen. Vor unseren Roboter­experimenten wussten wir einfach nicht, wonach wir suchen sollten, und so blieb diese Regel bislang unentdeckt.“ 

MPG / DE
 

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