Energiefluss im Supraleiter
Extrem kurze Laserpulse offenbaren bisher unbekannte Wechselwirkung.
Ungeklärt ist bisher wie genau Hochtemperatur-Supraleiter elektrischen Strom widerstandslos leiten. Doch nun ist es einem internationalen Team von Physikern gelungen, den Energiefluss im Material genauer nachzuverfolgen. „Uns reicht es nicht zu wissen, dass Supraleitung funktioniert“, erklärt Uwe Bovensiepen von der Universität Duisburg-Essen. „Wir Physiker möchten solche komplexen Materialien verstehen.“ Dazu bedienen sich die Wissenschaftler seiner Arbeitsgruppe der Laser-Stroboskoptechnik.
Abb.: Mit diesem Aufbau eines Laser-Stroboskops kann der Energiefluss in Supraleitern genauer untersucht werden. (Bild: AG Bovensiepen, UDE)
Mit sehr kurzen Lichtpulsen von nur wenigen Billiardsteln einer Sekunde regen sie das Material an und fragen das Ergebnis mit leicht verzögert abgegebenen Laserpulsen ab. „Das ist in etwa so, als wenn man einen Stein ins Wasser wirft und anschließend die Wellen beobachtet“, verdeutlicht Bovensiepen. Dadurch machen sie den Energiefluss sichtbar wie in einem Film, der aus lauter eingefrorenen Einzelbildern besteht – von der Anregung bis zurück zu dem Moment, in dem der Ausgangszustand wieder erreicht ist.
Diese genutzte Methode der zeit- und winkelaufgelöste Photoelektronenspektroskopie (ARPES), in Kombination mit komplexen theoretischen Simulationen und Analyse, erlaubte es dem Team, die Reihenfolge und die energetischen Signaturen verschiedener Arten von Elektronenwechselwirkungen herauszufiltern. So gelang es ihnen, eindeutige Signale von Wechselwirkungen zwischen angeregten Elektronen sowie später stattfindenden zufälligen Wechselwirkungen zwischen Elektronen und den Atomen des Kristallgitters zu selektieren. Aber sie entdeckten auch ein anderes, unerwartetes Signal – das ihrer Aussage nach eine neue Form extrem effizienten Energieverlustes darstellt – bei einem bestimmten Energieniveau und einer Zeitskala zwischen den anderen beiden.
„Wir sehen eine sehr starke und besondere Wechselwirkung zwischen den angeregten Elektronen und dem Gitter, bei der die Elektronen einen Großteil ihrer Energie sehr schnell auf kohärente, nichtzufällige Weise verlieren“, sagte Jonathan Rameau, Physiker am Brookhaven National Laboratory. Bei diesem speziellen Energieniveau scheinen die Elektronen alle mit den Gitteratomen bei einer bestimmten Frequenz zu wechselwirken analog zu einer Stimmgabel, die auf ihrer Resonanz einen Ton spielt. Wenn alle Elektronen, welche die richtige Energie für diese spezielle Wechselwirkung besitzen, den Großteil ihrer Anregungsenergie abgegeben haben, beginnen sie langsamer zu kühlen, und zwar mittels zufälligerer Prozesse, die nicht die Resonanzfrequenz benötigen. Die Resonanzfrequenz dieses Prozesses ist besonders bemerkenswert, da sie mit der Energie eines „Knickes“ in der Energiedispersion desselben Materials übereinstimmt, der zuvor in seinem supraleitenden Zustand mittels einer statischen Form von ARPES gefunden worden war.
Zu jener Zeit vermuteten die Wissenschaftler, dass der Knick etwas mit der Supraleitung des Materials zu tun haben könnte. Dasselbe Signal wurde oberhalb der kritischen Sprungtemperatur für Supraleitung nicht eindeutig nachgewiesen. Die neuen Experimente jedoch, die deutlich oberhalb der supraleitenden Temperatur durchgeführt wurden, konnten das subtile Signal herauskitzeln. Diese neuen Ergebnisse legen nahe, dass diese speziellen Umstände für die Resonanz existieren, selbst wenn das Material nicht supraleitend ist. „Wir wissen jetzt, dass die Wechselwirkung für die Resonanz nicht erst einsetzt, wenn das Material supraleitend wird; sie ist tatsächlich immer vorhanden“, sagte Rameau.
Michael Sentef vom Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie in Hamburg, der die experimentellen Aktivitäten durch numerische Simulationen ergänzte, betonte den Einfluss dieser Arbeit auf das Feld der „Pump-Probe“-Spektroskopie. „Diese Arbeit zeigt deutlich, dass wir Fortschritte im theoretischen Verständnis von Systemen fern des thermischen Gleichgewichts gemacht haben, so dass wir jetzt quantitative Vorhersagen treffen können“, sagte er. „Diese Einsicht ist eine große Motivation für künftige Projekte, in denen wir uns mit noch komplexeren Situationen beschäftigen, zum Beispiel wenn Laserpulse genutzt werden, um supraleitungsartige Zustände bei hohen Temperaturen zu erzeugen“, ergänzte Sentef.
UDE / MPSD / JOL