20.12.2016

Energiefluss im Supraleiter

Extrem kurze Laserpulse offenbaren bisher unbekannte Wechselwirkung. 

Ungeklärt ist bisher wie genau Hochtem­peratur-Supra­leiter elektrischen Strom wider­standslos leiten. Doch nun ist es einem internationalen Team von Physikern gelungen, den Energie­fluss im Material genauer nachzu­verfolgen. „Uns reicht es nicht zu wissen, dass Supra­leitung funk­tioniert“, erklärt Uwe Bovensiepen von der Univer­sität Duisburg-Essen. „Wir Physiker möchten solche kom­plexen Materialien verstehen.“ Dazu bedienen sich die Wissen­schaftler seiner Arbeits­gruppe der Laser-Strobos­koptechnik.

Abb.: Mit diesem Aufbau eines Laser-Stroboskops kann der Energiefluss in Supraleitern genauer untersucht werden. (Bild: AG Bovensiepen, UDE)

Mit sehr kurzen Licht­pulsen von nur wenigen Bil­liardsteln einer Sekunde regen sie das Material an und fragen das Ergebnis mit leicht verzögert abge­gebenen Laser­pulsen ab. „Das ist in etwa so, als wenn man einen Stein ins Wasser wirft und an­schließend die Wellen beobachtet“, verdeutlicht Boven­siepen. Dadurch machen sie den Energiefluss sichtbar wie in einem Film, der aus lauter einge­frorenen Einzel­bildern besteht – von der Anregung bis zurück zu dem Moment, in dem der Ausgangs­zustand wieder erreicht ist.

Diese genutzte Methode der zeit- und winkel­aufgelöste Photo­elektronen­spektro­skopie (ARPES), in Kombi­nation mit komplexen theo­retischen Simu­lationen und Analyse, erlaubte es dem Team, die Reihenfolge und die energe­tischen Signaturen verschiedener Arten von Elektronen­wechsel­wirkungen herauszufiltern. So gelang es ihnen, eindeutige Signale von Wechsel­wirkungen zwischen angeregten Elektronen sowie später statt­finden­den zufälligen Wechsel­wirkungen zwischen Elektronen und den Atomen des Kristall­gitters zu selektieren. Aber sie entdeckten auch ein anderes, unerwartetes Signal – das ihrer Aussage nach eine neue Form extrem effi­zienten Energie­verlustes darstellt – bei einem bestimmten Energie­niveau und einer Zeitskala zwischen den anderen beiden.

„Wir sehen eine sehr starke und besondere Wechsel­wirkung zwischen den angeregten Elektronen und dem Gitter, bei der die Elektronen einen Großteil ihrer Energie sehr schnell auf kohärente, nichtzu­fällige Weise verlieren“, sagte Jonathan Rameau, Physiker am Brookhaven National Laboratory. Bei diesem speziellen Energie­niveau scheinen die Elektronen alle mit den Gitter­atomen bei einer bestimmten Frequenz zu wechsel­wirken analog zu einer Stimmgabel, die auf ihrer Resonanz einen Ton spielt. Wenn alle Elektronen, welche die richtige Energie für diese spezielle Wechsel­wirkung besitzen, den Großteil ihrer Anregungs­energie abgegeben haben, beginnen sie langsamer zu kühlen, und zwar mittels zufälligerer Prozesse, die nicht die Resonanz­frequenz benötigen. Die Resonanz­­frequenz dieses Prozesses ist besonders bemerkens­wert, da sie mit der Energie eines „Knickes“ in der Energie­dispersion desselben Materials übereinstimmt, der zuvor in seinem supraleitenden Zustand mittels einer statischen Form von ARPES gefunden worden war.

Zu jener Zeit vermuteten die Wissen­schaftler, dass der Knick etwas mit der Supral­eitung des Materials zu tun haben könnte. Dasselbe Signal wurde oberhalb der kri­tischen Sprung­temperatur für Supra­leitung nicht eindeutig nach­gewiesen. Die neuen Experimente jedoch, die deutlich oberhalb der supral­eitenden Temperatur durchgeführt wurden, konnten das subtile Signal heraus­kitzeln. Diese neuen Ergebnisse legen nahe, dass diese speziellen Umstände für die Resonanz existieren, selbst wenn das Material nicht supra­leitend ist. „Wir wissen jetzt, dass die Wechsel­wirkung für die Resonanz nicht erst einsetzt, wenn das Material supraleitend wird; sie ist tatsächlich immer vorhanden“, sagte Rameau.

Michael Sentef vom Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie in Hamburg, der die experi­mentellen Aktivitäten durch numerische Simu­lationen ergänzte, betonte den Einfluss dieser Arbeit auf das Feld der „Pump-Probe“-Spektro­skopie. „Diese Arbeit zeigt deutlich, dass wir Fortschritte im theore­tischen Verständnis von Systemen fern des thermischen Gleich­gewichts gemacht haben, so dass wir jetzt quan­titative Vorhersagen treffen können“, sagte er. „Diese Einsicht ist eine große Motivation für künftige Projekte, in denen wir uns mit noch kom­plexeren Situa­tionen beschäftigen, zum Beispiel wenn Laser­pulse genutzt werden, um supra­leitungs­artige Zustände bei hohen Tem­peraturen zu erzeugen“, ergänzte Sentef.

UDE / MPSD / JOL

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