Erdgeschichte im Zeitraffer
Mit Hilfe numerischer Modelle prüfen Geowissenschaftler aus Bochum Theorien zur Geschichte der Erde.
Mit Hilfe numerischer Modelle prüfen Geowissenschaftler aus Bochum Theorien zur Geschichte der Erde.
Selbst die längsten Bohrer der Welt können nicht leisten, was Computer können: Was tiefer in der Erde liegt als zwölf Kilometer oder länger her ist als ca. 5000 Jahre, erforschen Bochumer Geowissenschaftler um Taras Gerya mit Hilfe der numerischen Modellierung. Computerprogramme, die eigentlich aus der Festkörpermechanik kommen, können die Erdgeschichte im Zeitraffer ablaufen lassen. Die Forscher können beliebig zoomen, stoppen, beschleunigen, verlangsamen.
Spekulationen, Ideen, Modelle
Manchmal reicht die Information, die in den Gesteinen selbst gespeichert ist, nicht aus, um ihre Geschichte zu rekonstruieren. Es könnte so gewesen sein oder auch anders - die Wissenschaftler spekulieren und entwickeln Ideen, wie die Welt vor Millionen und Milliarden von Jahren einmal ausgesehen haben könnte, damit die gegenwärtige Situation herauskommt. Anstoß solcher Überlegungen war z. B. der Fund von winzigen Diamanten im Erzgebirge. Wie und wann sind sie wo entstanden? Wie und warum an die Oberfläche gelangt? Um zu prüfen, ob ihre Ideen von der Erdgeschichte richtig sind, nutzen die Geowissenschaftler ein Hilfsmittel aus der Festkörpermechanik: die numerische Modellierung.
Abb.: Die Erdgeschichte im Zeitraffer: Auf Wunsch zeigt der Computer Informationen über das Material der Erde zu einem bestimmten Zeitpunkt. Genauso macht er Angaben über Temperatur und Viskosität des Gesteins. (Quelle: RUB)
Alle Rahmenbedingungen fließen in die Gleichungen ein
Kernstück des Programms ist ein System von Differential-Gleichungen, in die die verschiedensten Variablen eingehen, z. B. Rand- und Anfangsbedingungen, mineralogische Gesetzmäßigkeiten, geophysikalische Eigenschaften, Daten aus Rheologie, Mineralogie und Geologie. Die wichtigsten Gleichungen sind die Bewegungsgleichung, die Temperaturgleichung und die Kontinuitätsgleichung, die dafür sorgt dass bei Deformation des Gesteins keine Löcher entstehen. Dazu nutzt man auch rheologische Gleichungen, die die Viskosität des Gesteins beinhalten. Denn obwohl Gesteine uns fest erscheinen, verhalten sie sich unter dem Blickwinkel vieler Jahrmillionen wie Flüssigkeiten.
Nur Gitterkreuzungen werden berechnet
Die Computerprogramme teilen die fragliche Querschnittsfläche der Erde durch ein Gitter in viele einzelne Felder auf. Die Gleichungen werden für alle Schnittpunkte der Gitterlinien berechnet, dazwischen wird interpoliert. Ein Feld kann bis zu 100 mal 100 Meter klein sein; je besser der Rechner, desto größer kann die Auflösung werden. Die typische Größe einer berechneten Fläche hat 10.000 Knotenpunkte. Ein PC rechnet daran zwischen einigen Minuten und einigen Tagen; soll die Auflösung besonders hoch sein (z. B. mehr als 100.000 Knotenpunkte), nutzen die Forscher Supercomputer. Außer den Knotenpunkten benutzt man auch bis zu einer Milliarde so genannte Markerpunkte, um die komplizierten Modellstrukturen zu verfolgen und zu visualisieren.
Schneller Zugang übers Internet
Füttert Taras Gerya den Rechner also mit den Einzelheiten seiner Modellidee vom Erzgebirge vor einigen hundert Millionen Jahren, berechnet er ausgehend von diesem Anfangsszenario eine lückenlose Erdgeschichte bis heute. Stimmt die Berechnung des Computers mit der heutigen Gestalt des Erzgebirges überein, war seine Idee richtig. Interessiert die Forscher eine Phase im Lauf der Geschichte besonders, können sie die Entwicklung dort stoppen und langsamer ablaufen lassen oder in das Bild hineinzoomen. Da die Darstellungen, die durch die Datenvielfalt sehr umfangreich sind, auf Zentralrechnern gespeichert sind, geht die Arbeit am jeweiligen PC schnell. Zugang zum web-basierten System haben die Wissenschaftler übers Internet. "Diese Art der Visualisierung ist wesentlich kostengünstiger als kommerzielle Systeme und für jedermann nutzbar", erläutert Taras Gerya die Vorteile. Denn auch wenn man nur ein Pixel für jeden Markerpunkt benutzt, bräuchte man ca. 1000 TFT Bildschirme, um ein Modell in voller Auflösung zu zeigen Für den ganz großen Überblick können die Forscher mit Hilfe mehrerer Beamer ein ganzes berechnetes Gebiet auf einer drei mal zehn Meter großen "Powerwall" darstellen.
Quelle: idw
Weitere Infos:
- Institut für Geologie, Mineralogie und Geophysik, Ruhr-Uni Bochum:
http://www.ruhr-uni-bochum.de/gmg/ - Institut für Mineralogie, Bochum:
http://www.mineralogie.ruhr-uni-bochum.de - Kontakt:
Taras Gerya, URL: http://www.mineralogie.ruhr-uni-bochum.de/ger/leute/gerya.html - Interaktive Bilder im Internet:
http://tomo.msi.umn.edu/~max/webis/test.php - Weitere Forschungsartikel auf pro-physik.de finden Sie in der Rubrik Forschung.
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