13.12.2016

Erfindergeist aus der Zelle

Vor 200 Jahren wurde der Erfinder und Unternehmensgründer Werner von Siemens geboren.

In einer Gefängniszelle der Zitadelle von Magdeburg machte der junge Leutnant Werner Siemens 1842 seine erste Erfindung. Der 25-jährige saß dort wegen eines Ehrenhandels und vertrieb sich die Zeit mit galvanischen Experimenten. „Ich glaube, es war eine der größten Freuden meines Lebens, als ein neusilberner Löffel […] sich schon in wenigen Minuten in einen goldenen Löffel vom schönsten, reinsten Goldglanze verwandelte“, schrieb Siemens in seinen Lebenserinnerungen. Mit seinem Patentgesuch machte er das königliche Kabinett auf sich aufmerksam und wurde zu seinem Bedauern vorzeitig entlassen.

Die Versetzung an die königliche Artilleriewerkstatt in Berlin gab seinem Leben eine erfreuliche Wendung, denn nun konnte er sich in seiner Freizeit mit Naturwissenschaften zu beschäftigen. Er besuchte Seminare an der Universität und freundete sich mit führenden Physikern wie Emil du Bois-Reymond, Hermann Helmholtz und Rudolf Clausius an. 1845 gehörte er zu den ersten Mitgliedern der Deutschen Physikalischen Gesellschaft.

Die 1840er Jahre in Berlin waren für seinen Werdegang prägend: „Es wurde mir klar, dass technischer Fortschritt nur durch die Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse unter den Technikern erzielt werden könnte. Es herrschte damals noch zwischen Wissenschaft und Technik eine unüberbrückbare Kluft.“ Diese Kluft hat Werner Siemens sein Leben lang als Unternehmer und Erfinder überbrückt.

Den Anstoß zur Firmengründung gab ein Vortrag von Siemens bei der Physikalischen Gesellschaft, in dem er Vorschläge zur Verbesserung des Wheatstoneschen Zeigertelegrafen machte. Dort lernte er seinen späteren Kompagnon, den Feinmechaniker Johann Georg Halske kennen. Als die „Telegrafenbauanstalt Siemens & Halske“ am 1. Oktober 1847 mit 20 Mitarbeitern gegründet wurde, war Werner Siemens noch beim Militär. Doch schon ein Jahr später beanspruchte der Auftrag, die erste große deutsche Telegrafenleitung von Berlin nach Frankfurt zu bauen, so viel Zeit, dass der Leutnant 1849 seinen Abschied einreichte.

Siemens hatte den Auftrag nicht zuletzt deswegen erhalten, weil er das gesamte Telegrafensystem verbesserte. Mit Halske entwickelte er Blitzschutzsicherungen, Porzellan-Isolatoren für Freileitungen und Relaisstationen. Aus seiner Theorie der Signalleitung in Telegrafenlinien leitete Siemens eine neue Messtechnik ab, um Fehler in den Leitungen zu lokalisieren. Zu diesem Zweck führte er das erste technische Widerstandsnormal ein. Außerdem verbesserte er ein Verfahren zur Isolation von Drähten mit Guttapercha, dem Saft des malaiischen Gummibaums.

Erst diese Entwicklungen machten die Verlegung langer Telegrafenlinien und deren personalarme Wartung möglich. So erhielt „Siemens & Halske“ 1853 den Auftrag zum Bau der russischen Staatstelegrafenlinie von St. Petersburg nach Sewastopol. Ermutigt durch diese Erfolge, wagte sich Siemens 1860 an die Verlegung von Seekabeln. Erst zwei Jahre zuvor war die ungeheuer kostspielige Verlegung des ersten transatlantischen Kabels in einem Desaster geendet: Schon nach wenigen Tagen war die Verbindung abgerissen.

„Siemens & Halske“ gelang es, die 5500 Kilometer lange Strecke von Suez über Aden und Maskat bis an den Indus durch ein Seekabel zu verbinden. Doch vier Jahre später missglückte die Verlegung durch das Mittelmeer von Cartagena nach Algerien. Die hohen Verluste waren der Beginn von Meinungsverschiedenheiten mit Johann Halske, die Ende 1867 zu dessen Ausscheiden führten.20 Jahre nach der Gründung zählte das Unternehmen 700 Mitarbeiter.

Werner Siemens brauchte sich um seinen geschäftlichen Erfolg nicht zu sorgen. Erst ein Jahr zuvor hatte der die „dynamo-elektrische Maschine“ erfunden, die „electrische Ströme von unbegrenzter Stärke auf billige und bequeme Weise überall da zu erzeugen [vermag] , wo Arbeitskraft disponibel ist“, so das Protokoll der Berliner Akademie der Wissenschaften. Diese Erfindung war der Beginn der Starkstromtechnik. Sie führte zur Konstruktion von Elektromotoren und mehr als 10 Jahre später zur elektrischen Straßenbeleuchtung und der ersten elektrischen Straßenbahn (1881).

1867 begann „Siemens & Halske“ ihren bisher größten Auftrag, den Bau der Indo-Linie von London nach Kalkutta (Eröffnung 1870). Wie sehr die Zeitgenossen die ungeheure Beschleunigung der Kommunikation über weite Strecken faszinierte, zeigt sich in Jules Vernes 1873 publizierten Roman „Reise um die Erde in 80 Tagen“. Darin wird per telegrafischer Beschreibung die internationale Verfolgung des (vermeintlichen) Verbrechers Phileas Fogg aufgenommen.

1874 gelang Werner Siemens und seinem Bruder Wilhelm schließlich die Verlegung des ersten, über eine lange Zeit funktionsfähigen großen transatlantischer Kabels mit dem von ihnen entworfenen Kabellegeschiff „Faraday“. Der Erfolg war nicht zuletzt einer Kabeltheorie Werner von Siemens zu verdanken, die es erlaubte, das Kabel so auszurollen, dass es sich spannungsfrei auf den Meeresgrund legte.

Gleichzeitig war Siemens gesellschaftspolitisch aktiv. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Deutschen Fortschrittspartei und ab 1862 saß er für vier Jahre als deren Abgeordneter im Preußischen Landtag. 1863 gründete er einen Patentschutzverein mit dem Ziel, ein Patentschutzgesetz zu schaffen. Seine Bemühungen gipfelten 1877 in der Gründung des Kaiserlichen Patentamts.

Auf seine Anregung und Dank seiner beträchtlichen finanziellen Unterstützung wurde 1887 die Physikalisch-Technische Reichsanstalt gegründet. Bereits 1881 hatte man sich auf der ersten Weltausstellung der Elektrotechnik in Paris darauf geeinigt, die von Siemens entwickelte Quecksilber-Einheit für den elektrischen Widerstand als Einheit für das „Ohm“ festzulegen (die reziproke Größe, der Leitwert, wird heute in Siemens angegeben).

Zu seinen zahlreichen Ehrungen zählen die Aufnahme in die Preußische Akademie der Wissenschaften (1873), die Ernennung zum Ritter des Ordens „Pour le Mérite“ (1886) und die Erhebung in den erblichen Adelsstand (1888).

Sein Lebenswerk hat Werner von Siemens, der naturwissenschaftlich arbeitende Ingenieur, so zusammengefasst: „Meine Liebe gehörte stets der Wissenschaft als solcher, während meine Arbeiten und Leistungen meist auf dem Gebiet der Technik liegen.“

Anne Hardy

 

 

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