23.05.2016

Ermöglichten Sonnenstürme das Leben auf der Erde?

Partikelströme sollen Bildung von Lachgas und Blausäure in der frühen Erdatmosphäre unterstützt haben – mögliches Modell für Exoplaneten.

Vor vier Milliarden Jahren könnte die Erde jeden Tag von mindestens einem Sonnensturm heimgesucht worden sein. Hätte eine solche Aktivität heute katastrophale Auswirkungen, sollen sie damals die Grundlagen für irdisches Leben gelegt haben. Diese These stellte nun eine Gruppe amerikanischer Astro­physiker auf, die die Auswirkungen von gewaltigen Sonnenstürme auf die Erd­atmosphäre simuliert haben.

Abb.: Sonnenstürme könnten das Erdmagnetfeld geschwächt (links) und einen hochenergetischen Partikelstrom in die Erdatmosphäre verursacht haben. (Bild: V. Airapetian et al., Nasa GSFC)

„Mindestens eine magnetische Wolke von der Sonne kollidierte vor vier Milliarden Jahren mit der Magneto­sphäre der Erde jeden Tag“, sagt Vladimir Airapetian vom Nasa Goddard Space Flight Center in Greenbelt. Zusammen mit seinen Kollegen simulierte er die Auswirkungen von starken Sonnen­stürmen auf die frühe Erd­atmosphäre, die vor allem aus Stick­stoff (80 Prozent), Kohlen­dioxid (20 Prozent) und Methan (0,03 Prozent) bestand. Die Grundlage dazu lieferten Aktivitäts­daten junger Sterne, die mit dem Kepler Space Telescope gewonnen wurden. Airapetian wählte für seine Simulationen die Daten aus, die wahrscheinlich der Aktivität der jungen Sonne vergleichbar waren.

So halten es die Forscher für wahrscheinlich, dass auf der Oberfläche der jungen Sonne bis zu dreifach gewaltigere Stürme tobten als der stärkste registrierte Sonnen­sturm im Jahr 1859 (Carrington event). Diese Sonnen­stürme mit einer Energie von einer Billiarde Atom­bomben sollen eine so große magnetische Aktivität entfacht haben, um das Erdmagnet­feld an den Polen massiv zu schwächen. Dadurch konnten neben Röntgen- und UV-Strahlung auch Protonen mit einer Energie von bis zu drei Giga­elektronen­volt nach dem Modell sogar täglich in die Erd­atmosphäre eingedrungen sein.

Die mit diesen Sonnenstürmen möglichen chemischen Reaktionen simulierten die Astro­physiker mit ihrem „Aeroplanets“-Modell, das bis zu 117 Einzel­reaktionen berücksichtigte. Die Protonenschauer konnten in einer Ketten­reaktion Lawinen von Elektronen erzeugen. Die in der Atmosphäre vorhandenen Moleküle wurden dabei ionisiert und gespalten. Von besonderer Bedeutung waren die Reaktionen der eigentlich reaktionsträgen Stickstoff­moleküle. Ionisiert und dissoziiert konnten sich über die Zwischenstufen NO und NH neue Verbindungen wie Lach­gas oder Cyan­wasserstoff bilden. Diese Reaktionen ereigneten sich in der Simulation in Höhen von etwa dreißig Kilometern Höhe, die Reaktions­produkte konnten aber danach in tiefere Atmosphären­schichten gelangen.

Abb.: Sonnenstürme könnten wichtige chemische Reaktionen auf der frühen Erde vor etwa vier Milliarden Jahren in Gang gesetzt haben. (künstler. Illustration; Bild: V. Airapetian et al., Nasa GSFC)

Vor allem diese Stickstoffverbindungen spielten gemäß der Simulation eine signifikante Rolle. Denn Cyan­wasserstoff gilt als ein Basismolekül für chemische Reaktionen zu komplexeren, stickstoff­haltigen Amino­säuren, die sich auch zu Proteinen zusammensetzen können. Diese Verbindung könnte folglich eine Grundlage für irdisches Leben bilden. Lachgas, Distickstoff­monoxid, wiederum ist ein sehr wirksames Treib­hausgas, das vor vier Milliarden Jahren wesentlich zur Erwärmung beigetragen haben könnte, um auf der Erd­oberfläche überhaupt gemäßigte Temperaturen über dem Gefrier­punkt zu ermöglichen. Bisherige Modelle, die den Treibhaus­effekt allein aufgrund von CO2, CH4 und H2 berücksichtigten, hätten damit ausgedient.

Airapetian und Kollegen lieferten mit ihren Simulationen eine schlüssige Erklärung für die zur Entwicklung von Leben notwendigen Rand­bedingungen. Damit schlagen sie auch eine neue Lösung für das „Faint Young Sun Paradox“ vor, um den Widerspruch einer schwächeren Sonne – etwa siebzig Prozent der Strahlungs­leistung im Vergleich zu heute – und einer dennoch gemäßigten mittleren Temperatur auf der Erdoberfläche. Zudem vermuteten Forscher bisher, dass die für die Aufspaltung von Stickstoff­molekülen nötige Energie aus Blitzen, ultra­violetter Strahlung oder Einschlägen von Meteoriden resultierte. „Nun könnten auch solare Super­stürme eine signifikante Rolle für die Erwärmung der Erd­oberfläche und für die Entstehung von Leben vor vier Milliarden Jahren gespielt haben“, schreibt Ramses Ramirez vom Carl Sagan Institute in Ithaka, der an der aktuellen Studie nicht beteiligt war, in einem begleitenden Kommentar.

Aber nicht nur für die Erde könnten die gewaltigen Stürme der jungen Sonne eine entscheidende Rolle gespielt haben. So ist es nur plausibel, dass auch der Nachbar­planet Mars von den hoch energetischen Partikel­strömen beeinflusst wurde. Details dazu wollen Airapetian und Kollegen in Kürze in einer weiteren Studie präsentieren.

„Unser Modell beschreibt die kosmischen Zutaten, die für eine Entwicklung von Molekülen für biologisches Leben nötig sind“, fasst Airapetian zusammen. Er ist davon überzeugt, dass seine Ergebnisse nicht nur einen neuen Blick auf die Entwicklung des irdischen Lebens werfen wird. Auch für die Bewertung der Lebenschancen auf Exoplaneten, die sonnen­ähnliche Sterne umkreisen, erwartet er neue Impulse.

Jan Oliver Löfken

DE

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