Im vergangenen Jahr wurde in Deutschland erstmals mehr Strom aus erneuerbaren Kraftwerken gewonnen als aus konventionellen. Mit 46 Prozent steuerten Wind, Wasser, Sonne und Biomasse den größten Anteil zur Nettostromerzeugung bei. Allein die Windkraftanlagen – onshore und offshore - setzten sich mit 127 Terawattstunden (24,6 Prozent) an die Spitze der Stromerzeuger und verwiesen die Braunkohlenkraftwerke mit nur noch 102 Terawattstunden (19,7 Prozent) erstmals auf Platz 2. Solaranlagen produzierten 46,54 Terawattstunden (9 Prozent) und damit etwa gleich viel wie Steinkohlenkraftwerke (48,7 TWh; 9,4 Prozent). Der Schwerpunkt der Forschungsarbeiten lag auf dem Gebiet der Speichertechnologien. Viele Fortschritte im Detail könnten zu Batterien mit höheren Ladekapazitäten führen, die zudem langlebiger und günstiger wären. Parallel zeigte sich eine große Dynamik für eine bessere und flexiblere Regelung von Verbrauchern und der Stromnetze, um den steigenden Anteil der Erneuerbaren auch in den kommenden Jahren zuverlässig händeln zu können.
Batterien auf der Basis von Lithium-Ionen nehmen weiterhin eine dominierende Rolle bei den Stromspeichern ein. Völlig zurecht erhielten in diesem Jahr John B. Goodenough, M. Stanley Whittingham und Akira Yoshino den Chemie-Nobelpreis für die Entwicklung von Lithium-Ionen-Batterien. Sogar eine Steigerung der Batteriekapazitäten um das Doppelte halten Forscher der TU Wien für möglich. Analysen und Optimierung ultradünner, elastischer Grenzschichten rund um die Elektroden sollen diesen Weg ebnen. Am Karlsruher Institut für Technologie wird der Ansatz verfolgt, über ein besseres Verständnis der Degradationsmechanismen die Ladekapazitäten zu erhöhen. Eine längere Haltbarkeit versprechen Mikroelektroden aus Silizium wie sie an der Universität Oldenburg untersucht werden. Vorteile für die Batterie-Produktion verspricht ein intelligentes Beschichtungsverfahren, mit dem sich Produktionsrate und Qualität der Elektroden von Lithium-Ionen-Batterien deutlich erhöhen lassen. An der Hochschule Landshut nehmen Forscher dagegen gesponnende Nanofaser für die Elektroden ins Visier, um mit einem neuartigen Spinning-Konzept die Produktion von Lithium-Ionen-Zellen zu optimieren.
Großes Potenzial für eine effizientere Stromspeicherung steckt auch in bisher nicht industriell genutzten Materialkombinationen. Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung in Stuttgart entwickelt bereits einen Produktionsprozess für Lithium-Schwefel-Batterien, die in der Luftfahrt eingesetzt werden könnten. Neue Elektrolyte auf der Basis organischer Salze sollen Kalzium-Batterien näher an die Anwendung bringen. Stromspeicher mit festen Elektrolyten, die eine höhere Sicherheit versprechen, liegen im Fokus von Forschern der TU Graz. Und der Einsatz der künstlichen Intelligenz soll zu völlig neuen Materialkombinationen führen. Parallel mangelt es nicht an neuen Forschungsverbünden für die Batterie-Entwicklung. So bündelt das Infrastrukturprojekt NextGenBat das Know-How von sechs Instituten. Und weitere Nachfolger der Lithium-Ionen-Akkus werden seit 2019 auf der Forschungsplattform CELEST rund um das Batterie-Exzellenzcluster in Ulm ins Auge gefasst, um den Standort Deutschland eine internationale Spitzenstellung auf diesem Gebiet zu sichern.
Keine Energiewende ohne Wasserstoff
Nicht nur Batterien, auch Wasserstoff wird für eine erfolgreiche Energiewende als Speichermedium von Strom aus erneuerbaren Kraftwerken unverzichtbar sein. Zur Gewinnung konzipierte ein internationales Team um Forscher der ETH Zürich schwimmende Inseln, auf denen Solarkraftwerke sowohl große Mengen Wasserstoff als auch – durch Nutzung von CO2 – Methanol erzeugt werden könnten. Für die Wasserstoff-Erzeugung arbeitet das Helmholtz-Zentrum Berlin an neuen Katalysatoren auf der Basis von amorphen Molybdänsulfid, um die Effizienz der Elektrolyse zu erhöhen. Elektrolyse-Prozesse lassen sich schon bald auch wirtschaftlich gestalten, wie Ökonomen der TU München und der Universität Mannheim auf der Basis flexibler Power-to-Gas-Anlagen zeigten. Parallel blieb 2019 die Dynamik bei der Entwicklung von Brennstoffzellen hoch, um aus Wasserstoff wieder effizient Strom zu gewinnen. Am Forschungszentrum Jülich wird dazu auf eine reversible Hochtemperatur-Brennstoffzelle gesetzt. Am gleichen Ort erreichte eine Hochtemperatur-Brennstoffzelle eine bisher unerreichte Lebensdauer von mehr als elf Jahren. Und an der TU München belegten Forscher, dass sich dank einer optimalen Größe von Platin-Partikeln die Leistung von Katalysatoren in Brennstoffzellen verdoppeln ließ.
Wasserstoff bildet ebenfalls die Grundlage für synthetische Kraftstoffe, die mit ihrer hohen Energiedichte fossile Treibstoffe nach und nach ersetzen sollen. So erzeugte in einem ausgeklügelten Verfahren eine Pilotanlage des Kopernikus-Projekts P2X in Karlsruhe die ersten Liter Kraftstoff aus Kohlendioxid, Wasser und Ökostrom. Im europäischen Projekt „Sun-to-Liquid“ wurde erstmals der Flugzeugtreibstoff Kerosin aus Wasser und Kohlendioxid durch konzentriertes Sonnenlicht hergestellt. Um neben Wasserstoff ausreichend Kohlendioxid für die Treibstoffsynthese zur Verfügung zu haben, entwickelte das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg ein Verfahren entwickelt, das mit Abwärme CO2 effizienter und günstiger als bisher aus der Luft gewinnt. Seit April 2019 testet eine Demonstrationsanlage in Stuttgart das neue Verfahren. Am KIT-Institut für Mikroverfahrenstechnik setzen die Forscher für die Spritproduktion dagegen auf in Klimanlagen integrierte Filtersysteme, um CO2 aus der Umgebungsluft zu gewinnen.
Silizium, CIGS und Perowskite für Tandemsolarzellen
Unaufhaltsam schreitet auch die Installation von Solarkraftwerken weltweit voran. Die Global Alliance for Solar Energy Research Institutes GA-SERI sagt für die Photovoltaik einen Multi-Terawatt-Markt voraus, um alle Energiesektoren maßgeblich durch Solarstrom zu versorgen. Silizium wird dabei weiterhin das wichtigste Halbleitermaterial bleiben, dessen Potenzial sich sogar durch kleine Silizium-Cluster steigern ließe. Die größte Dynamik lag 2019 abermals bei der Optimierung von Perowskit-Solarzellen, die dank neuer Fertigungsverfahren stabiler und dank höherer Leerlaufspannung auch effizienter werden könnten. Eine hocheffiziente Lochleiterschicht aus Nickeloxid hat das Potenzial, die Massenfertigung von Perowskit-Solarztellen zu ermöglichen. Doch wahrscheinlich liegt die industrielle Zukunft von Perowskiten in Tandemzellen mit Silizium oder Dünnschichtmodulen, die etwa im Projekt Capitano am KIT oder in Kombination mit Kupfer-Indium-Gallium-Selenid (CIGSe) am Helmholtz-Zentrum Berlin entwickelt werden. Organische Solarzellen dagegen bleibt wegen deutlich geringerer Wirkungsgrade eine Zukunft in Nischen vorbehalten. Immerhin erzielte eine Gruppe an der Universität Erlangen-Nürnberg einen respektablen neuen Rekord von 12,6 Prozent.
Große Entwicklungssprünge waren im vergangenen Jahr dagegen für die weitgehend ausgereiften Windkraftanlagen weniger zu erwarten. Allerdings belegten Fraunhofer-Forscher, dass sich mit einer Haifischhaut-Struktur auf den Rotorblättern der Stromertrag wegen einer Verringerung des Reibungswiderstands weiter steigern lässt (). Vorteilhaft wirken sich auch genauere Messungen von Windströmungen mit Lidar-Systeme aus wie das Kasseler Fraunhofer-Institut IWES zeigen konnte. Gerade in Offshore-Windparks bieten die Analysen der Strömungsverhältnisse noch einiges an Optimierungspotenzial. Forscher der TU Braunschweig kartierten Windfelder und Turbulenzen, um Windparks auf offener See in Zukunft besser planen zu können. Erfolgreich wurde auch der Prototyp eines Drei-Megawatt-Windrads mit einem Supraleiter-Generator im Rahmen des EU-Projekts ExoSwing abgeschlossen. Doch auch ganz andere Konzepte zur Gewinnung von Windstrom stehen weiterhin auf der Agenda. So erreichte der Prototyp eines Winddrachens vom Start-Up TwingTec in der Schweiz auf seinen geschwungenen Flugbahnen eine Leistung von zehn Kilowatt.
Der stetig wachsende Anteil an fluktuierenden Stromerzeugern stellt das Stromnetz vor große Herausforderungen. Ein Megawatt-Teststand des Fraunhofer-Instituts IEE in Kassel im Testzentrum SysTec soll die dezentrale Stromerzeugung sicherer machen. Viele Einspeisequellen meistert auch eine neue Software vom Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB in Ilmenau, die für kleine Gemeinden eine nachhaltige und sichere Energieversorgung gewährleisten soll. Das Zusammenspiel von Strom, Wärme und Gas steht seit 2019 am Karlsruher Institut für Technologie im Mittelpunkt einer neuen Infrastruktur zur Optimierung der Sektorenkopplung. Auch Methoden der künstlichen Intelligenz ermöglichen neue Verfahren für eine automatisierte Anomalie- und Fehlererkennung im Netzbetrieb. Im Rahmen des Forschungsprojekts „DC-Industrie2“ testet ein Verbund um Forscher der Universität Stuttgart gar die Umstellung von Wechsel- auf Gleichstrom in der Industrie. Dieser fast schon revolutionäre Wandel soll ebenfalls eine sichere Energieversorgung mit dezentralen, erneuerbaren Kraftwerken erleichtern.
Große Hoffnung Kernfusion
2019 konnten auch die Fusionsforscher weitere Fortschritte verzeichnen. Auf dem langen Weg zur Kernfusion startete Wendelstein 7-X, die weltweit größte Fusionsanlage vom Typ Stellarator, seinen Plasmabetrieb, passend zum 25. Geburtstag des IPP-Teilinstitutes in Greifswald. Am Tokamak-Reaktor ITER in Südfrankreich wurden etwa siebzig Prozent der Baumaßnahmen abgeschlossen. Der aktuelle Zeit- und Kostenplan steht weiterhin und lässt für 2025 einen ersten Plasmaeinschluss erwarten. Wichtige Hinweise für die Fusionsforschung könnte auch der Freie-Elektronen-Laser XFEL in Hamburg liefern. So sind die theoretische Plasmaforscher vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf HZDR in Dresden überzeugt, dass der Einsatz von Röntgenlicht Tunnelprozesse für eine kontrollierte Fusion ermöglichen könnte.
Jan Oliver Löfken
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