Europas stärkstes Raketentriebwerk
Das Triebwerk Vulcain 2.1 soll mit der zukünftigen europäischen Trägerrakete Ariane 6 zum Einsatz kommen.
Höhere Effizienz bei geringeren Kosten - das ist die Aufgabe des neuen Raketentriebwerks Vulcain 2.1, das im Jahr 2020 die neue europäische Trägerrakete Ariane 6 ins All befördern soll. Doch bevor solch ein Start erfolgreich durchgeführt werden kann, müssen zunächst Entwicklungstriebwerke unter Beweis stellen, dass es seiner enormen Schubkraft von 130 Tonnen, rund 3000 Grad Celsius in seiner Brennkammer, hohen Drehzahlen seiner Turbopumpen und Drücken in seinen Treibstoffleitungen gewachsen ist. Im Januar stellten die Ingenieure des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt DLR das von der ArianeGroup entwickelte Triebwerk im Prüfstand P 5 in Lampoldshausen erstmals erfolgreich auf die Probe. „Nur mit kontinuierlichen Tests, bei denen wir uns Schritt für Schritt dem realen Einsatz im All nähern, kann das Triebwerk für die Hauptstufe auf seine Funktionsfähigkeit hin untersucht werden“, erläutert Stefan Schlechtriem, Direktor des DLR-Instituts für Raumfahrtantriebe. Insgesamt zwölf Versuche sind für die erste Testkampagne beim DLR geplant.
Abb.: Aufnahme des Vulcain 2 Raketentriebwerks aus dem Innern des Prüfstands. (Bild: ArianeGroup / DLR)
Das Vorgängermodell, das Hauptstufentriebwerk Vulcain 2, ist mit der derzeitigen Trägerrakete Ariane 5 im Einsatz und hat bisher 70 erfolgreiche Flüge in Folge absolviert. Für die nächste kostengünstigere und noch effizientere Generation wurde aus Vulcain 2 das neue Vulcain 2.1-Triebwerk - mit einem im 3D-Druck gefertigten Gasgenerator, einer neu konstruierten, vereinfachten Düse und der Zündung der Brennkammer mit einem Bodensystem. Vulcain 2.1 trägt entscheidend dazu bei, die Ariane 6 zukünftig in den ersten zehn Flugminuten auf eine Höhe von 150 Kilometern zu befördern. Der Test mit dem Hauptstufentriebwerk Vulcain 2.1 dauerte elf Minuten, rund ein Drittel länger als das Triebwerk benötigt, um gemeinsam mit den beiden Boostern die Trägerrakete Ariane 6 in die Höhe zu befördern.
Die Entscheidung für die Entwicklung eines neuen Trägersystems fiel im Dezember 2014: Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Weltraumorganisation ESA beschlossen, die bestehende Generation der Ariane weiterzuentwickeln, um sich der wachsenden Konkurrenz und den gestiegenen Ansprüchen auf dem Weltmarkt anzupassen. Dabei sollte auf bereits bestehende Bausteine der Ariane 5 zurückgegriffen werden. Je nach Konfiguration soll die Ariane 6 bis zu elf Tonnen Nutzlast in den Weltraum transportieren und dabei die Kosten für den Start im Vergleich zur Ariane 5 halbieren. Seit 2016 wird das neue wiederzündbare Vinci-Triebwerk für die Oberstufe der Ariane 6 daher unter anderem in Lampoldshausen getestet, nun sind die Testläufe für das neue Hauptstufentriebwerk Vulcain 2.1 hinzugekommen.
Ziel der insgesamt sieben Monate dauernden Testkampagne ist die genaue Kenntnis über alle relevanten Triebwerkskenndaten, die das neue Hauptstufentriebwerk der Ariane-6-Trägerrakete auszeichnen. „Nur wer diese Kennzahlen genau kennt, kann in das sensible Gefüge aus mechanischen und elektronischen Komponenten eingreifen, und so das Triebwerk bis zu seiner technischen Reife hin qualifizieren“, betont Schlechtriem. Der erste Versuch orientierte sich dabei noch an dem bereits etablierten Vulcain-2-Triebwerk der derzeitigen Ariane. So wurden in diesem Test beispielsweise alle pyrotechnischen Zünder beibehalten, um das neue Triebwerk mit dem alten Triebwerk vergleichen zu können. Beim nächsten Versuchslauf wird die Zündung der Brennkammer mittels Propangas vom Prüfstand aus erfolgen. Zum Ende der Testkampagne wird das Triebwerk dann in seiner endgültigen Flugkonfiguration im DLR-Prüfstand erfolgreich seine Generalprobe für den Flug ins All absolvieren müssen.
„Bei den Tests geht es uns aber nicht nur darum, diese Technologien unter regulären Betriebsbedingungen zu erproben. Wir müssen ihr Verhalten auch jenseits der im Flug üblichen Belastungen verstehen können. Das heißt zum Beispiel bei höheren Temperaturen, bei höheren und niedrigeren Brennkammerdrücken und Treibstoffmischungsverhältnissen“, sagt Anja Frank, Leiterin der Abteilung Versuchsanlagen beim DLR Lampoldshausen. „So können wir am Entwicklungstriebwerk testen, wo die Grenzen des Vulcain-2.1-Triebwerks liegen.“
Das Ergebnis der Tests ist dabei nicht nur der Nachweis der Funktionstüchtigkeit, sondern vor allem eine große Menge Daten: Der Einsatz eines hochgenauen Mess- und Analysesystems ermöglicht es, exakte Ergebnisse zu liefern und erlaubt so dem Triebwerksentwickler detaillierte Rückschlüsse auf technische Fragestellungen. Für das finale Design des Hauptstufentriebwerks ist die genaue Kenntnis der Drücke, der Temperaturen in den Treibstoffleitungen, der Drehzahlen der Turbopumpen, der Drücke im Gasgenerator und in der Brennkammer sowie der entstehenden Vibrationen, denen das Triebwerk während eines Heißlaufs ausgesetzt ist, ausschlaggebend.
DLR / JOL