19.05.2010

Evolutionäre Logistik

Physiker untersuchen, wie sich die ersten Moleküle gefunden haben könnten.


Physiker untersuchen, wie sich die ersten Moleküle gefunden haben könnten.

Vor mehr als drei Milliarden Jahren entstand erstes Leben auf der Erde. Damals bildeten sich vermutlich in den Ozeanen erstmals komplexere chemische Verbindungen, aus denen sich dann die ersten Einzeller zusammensetzten. Dazu aber mussten sich die nur gering konzentrierten und vermutlich im Meerwasser gelösten Strukturen erst einmal finden. Sicher ist, dass bereits hier eine Form der Selektion beginnt, die laut Darwin die Grundlage der Evolution bildet.

Denn nur wo optimale Bedingungen herrschen, können sich neue Strukturen bis hin zu ersten Lebewesen bilden. Die LMU-Physiker Christof Mast und Dieter Braun, die auch dem Exzellenzcluster „Nanosystems Initiative Munich“ (NIM) angehören, haben nun das grundlegende Prinzip dieses Prozesses im Labor nachgebildet. Dabei konnten die Wissenschaftler in ihrem Versuch in Lösung befindliches Erbgut allein durch einen einfachen Temperaturunterschied aufkonzentrieren und zudem vervielfältigen. „Das ist relevant, weil in Steinporen in der Nähe warmer Unterwasserquellen der Urmeere vermutlich ähnliche thermische Verhältnisse herrschten – und dort ja die ersten Lebewesen entstanden sein könnten“, sagt Braun. „Diese Untersuchung ist für uns aber nur ein erster Schritt. Als Physiker interessiert uns, dass und wie ein Gleichgewicht gestört werden muss – hier etwa die gleichförmige Verteilung der Moleküle – um Leben entstehen zu lassen.“

Das Leben auf der Erde nahm seinen Anfang vor mehr als drei Milliarden Jahren. Welche Umstände und Prozesse im Einzelnen dazu geführt haben, ist noch unklar. Sehr wahrscheinlich sind die ersten biologisch aktiven Einheiten im Wasser der Urmeere entstanden, möglicherweise in der Nähe heißer Unterwasserquellen. Fraglich ist bei diesem Szenario unter anderem, wie sich die gering konzentrierten Moleküle finden konnten. Mast und Braun stellten diese frühen Bedingungen mithilfe eines Temperaturgradienten nach: sie befüllten eine hauchdünne Glaskapillare mit Puffer und DNA-Molekülen. Ein Infrarot-Laserstrahl war auf den Mittelpunkt der Kapillare fokussiert, so dass sich in der Flüssigkeit ein Temperaturgradient bildete. Durch die schnelle Bewegung des Lasers entlang der Kapillaren entstand gleichzeitig eine Konvektionsbewegung, die die DNA in den kalten und warmen Bereich der Kapillare transportierte.

Das Prinzip der „Molekül-Falle“ basiert darauf, dass die doppelsträngigen DNA-Moleküle problemlos vom warmen in den kühleren Bereich wandern. Die Diffusion zurück in den wärmeren Abschnitt gelingt ihnen jedoch deutlich langsamer. Einige Moleküle bleiben auch ganz zurück und sammeln sich punktuell in der kühleren Region. Hauptverantwortlich dafür ist das Prinzip der Thermophorese, der Bewegung von z.B. Biomolekülen entlang eines Temperaturgefälles. Wie sehr sich diese Wandergeschwindigkeit von Molekülen durch Temperaturgradienten verändert, ist bei jeder Verbindung unterschiedlich und deren typisches Merkmal. So strömen beispielsweise das Lösungsmittel und auch die einzelsträngigen DNA-Moleküle leichter wieder zurück in den durch Laserstrahlung erwärmten Bereich.

Der Temperaturgradient ermöglicht neben der Konzentration doppelsträngiger DNA auch deren Replikation. Um sich verdoppeln zu können, müssen sich die Moleküle zunächst in ihre beiden Stränge teilen. Dies geschieht durch Aufschmelzen bei rund 90°C in der wärmeren Zone der Versuchskapillare. Die Replikation der beiden Hälften zu zwei neuen doppelsträngigen DNA- Molekülen kann jedoch erst stattfinden, sobald sie durch den Konvektionsstrom in den kühleren Bereich transportiert werden. Zudem muss dem Versuchsansatz das Enzym Polymerase zugegeben werden, das für die Replikation der Erbmoleküle essentiell ist. Sowohl das Aufschmelzen der DNA als auch die Verdopplung konnten die Münchner Physiker in ihrem Modell der „Molekül-Falle“ nachweisen. Wobei durch die Zugabe des Enzyms Polymerase die ersten Schritte auf dem Weg zum Leben nicht ganz realistisch nachgestellt sind. Für die Bildung des Enzyms müssten damals nämlich bereits lange DNA-Moleküle und ein Translationsmechanismus hin zum Protein vorhanden gewesen sein.

„Durchaus denkbar ist jedoch die Entstehung und Replikation von RNA“, so Mast. Diese Verbindung ist der Erbsubstanz DNA chemisch sehr ähnlich und benötigt zur Vervielfältigung nicht zwingend die Hilfe eines Enzyms.

Den Wissenschaftlern zufolge lassen sich über das Prinzip der Molekül-Falle auch aus einer Mischung verschiedener Moleküle heraus sehr effizient nur einzelne Molekültypen gezielt vervielfältigen. Denn jede Verbindung wandert in einem Temperaturgradienten unterschiedlich und über verschiedene Versuchsparameter haben die Wissenschaftler Einfluss darauf, welche aufkonzentriert werden.

Die Forscher haben den ersten Schritt hin zu einem minimalen Darwin'schen Prozess gezeigt: während sich die DNA repliziert, fängt die Molekülfalle die neuen doppelsträngigen Moleküle ein und schützt sie vor der Diffusion in die umliegende Umgebung. Damit wurde gezeigt, dass die Falle in ein und derselben Kammer Replikation und Selektion beherbergen kann. „Die Nichtgleichgewichtsbedingungen sind zentral in unserem Experiment“, erklärt Dieter Braun, „weil wegen des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik nur so Struktur und damit Lebewesen aufgebaut werden können.“ Und die bisherigen Versuche sind laut Dieter Braun erst der Anfang: „Evolution ist eine universale Antwortmaschine, an die man allerlei Fragen stellen kann. Diese Dynamik wollen wir langfristig im Labor nachbauen.“

Ludwig-Maximilians-Universität München

 

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