Exotische ferromagnetische Ordnung in zwei Dimensionen
Monoatomare Chromchlorid-Schicht zeigt für easy-plane-Magnetismus charakteristischen Phasenübergang.
Zweidimensionale Materialien wie Graphen öffnen das Tor für Anwendungen in der Informationstechnik, als Displays oder als hochempfindliche Sensoren. Besonderes Interesse wecken van-der-Waals-Einzelschichten: Kombinationen von zwei oder mehr atomar dünnen Materialien, die durch schwache elektrostatische van-der-Waals-Kräfte zusammengehalten werden. Durch die Auswahl der Materialschichten und ihre Anordnung zueinander lassen sich elektrische, magnetische oder optische Merkmale einstellen und variieren. Allerdings: Die großflächige, homogene Abscheidung von van-der-Waals-Einzelschichten mit ferromagnetischer Eigenschaft war bislang nicht möglich. Dabei ist gerade diese Art von Magnetismus auf großer Skala für einige potenzielle Anwendungen besonders wichtig – zum Beispiel für neuartige dauerhafte Datenspeicher. Einem Team des MPI für Mikrostrukturphysik in Halle, der Synchrotron-Lichtquelle ALBA in Barcelona und des Helmholtz-Zentrums Berlin für Energie und Materialien ist es jetzt gelungen, ein gleichförmiges zweidimensionales Material zu erzeugen – und ein exotisches ferromagnetisches Verhalten darin nachzuweisen, den „easy-plane“-Magnetismus.
Als Werkstoff verwendeten die Forscher Chromchlorid, das der entsprechenden Verbindung aus Chrom und Iod in seiner Struktur ähnelt, aber deutlich robuster sein kann. Eine großflächige monoatomare Schicht dieses Materials brachte das Team per Molekularstrahl-Epitaxie auf ein Substrat aus Siliziumkarbid auf. Dazwischen legten die Forscher eine Schicht aus Graphen. „Sie hatte den Zweck, die Wechselwirkung zwischen Chromchlorid und Siliziumkarbid zu dämpfen und so zu verhindern, dass das Substrat die Eigenschaften der monoatomaren Chromchlorid-Schicht beeinflusst. Das war der Schlüssel, um an die schwer fassbare magnetische ‘leichte Ebene‘ heranzukommen“, erklärt Amilcar Bedoya-Pinto vom MPI Halle. „Im Prinzip erhielten wir so eine fast freischwebende ultradünne Schicht, die nur durch schwache van-der-Waals-Kräfte mit der Graphen-Zwischenlage verbunden war.“
Ziel war es, die Frage zu klären, wie sich die magnetische Ordnung in Chromchlorid zeigt, wenn dieses nur noch aus einer monoatomaren Schicht besteht. In ihrer normalen, dreidimensionalen Form ist die Substanz antiferromagnetisch. Dabei sind die atomaren magnetischen Momente Schicht für Schicht in jeweils entgegengesetzter Richtung orientiert – wodurch das Material als Ganzes nicht magnetisch erscheint. Theoretische Überlegungen deuteten bislang darauf hin, dass die magnetische Ordnung verlorengeht oder eine schwache konventionelle Magnetisierung zeigt, wenn das Material auf eine einzige Atomschicht reduziert wird.
Doch der Gruppe gelang es nun, das zu widerlegen – durch einen detaillierten Blick auf die magnetischen Eigenschaften des 2D-Materials. Dazu nutzten sie die einzigartigen Möglichkeiten der an der Synchrotron-Strahlungsquelle BESSY II des HZB installierten Vektormagnetanlage VEKMAG. „Die Einrichtung ermöglicht Materialuntersuchungen mit weicher Röntgenstrahlung in einem starken Magnetfeld – und das bei Temperaturen bis nahe dem absoluten Nullpunkt“, sagt Florin Radu, der Leiter des für die VEKMAG-Anlage verantwortlichen Teams am HZB. „Das macht die Anlage weltweit einzigartig.“ An dieser Anlage konnte das Team die Orientierung einzelner magnetischer Momente bestimmen und dabei exakt zwischen Chrom- und Chlor-Atomen unterscheiden.
Die Messungen zeigten, wie sich unterhalb der Curie-Temperatur eine ferromagnetische Ordnung in dem zweidimensionalen Werkstoff bildete. „In der monoatomaren Chromchlorid-Schicht fand ein Phasenübergang statt, der für easy-plane-Magneten charakteristisch ist, aber an einem solchen 2D-Material zuvor noch nie beobachtet worden war“, berichtet Bedoya-Pinto.
Die Entdeckung bietet nicht nur neue Einsichten in das magnetische Verhalten zweidimensionaler Materialien. „Wir haben damit nun auch eine exzellente Plattform, um eine Vielzahl physikalischer Phänomene zu erforschen, die es nur in zweidimensionalen magnetischen Materialien gibt“, erklärt Bedoya-Pinto, beispielsweise den widerstandslosen Transport von Spins. Sie sind die Grundlage einer neuen Form der Datenverarbeitung, die – anders als die herkömmliche Elektronik – nicht elektrische Ladungen, sondern magnetische Momente nutzt. Diese Spintronik könnte künftig unter anderem eine deutlich schnellere und energiesparende Speicherung von Daten ermöglichen.
HZB / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
A. Bedoya-Pinto et al.: Intrinsic 2D-XY ferromagnetism in a van der Waals monolayer, Science 374, 616 (2021); DOI: 10.1126/science.abd5146 - Nano Systems from Ions, Spins and Electrons, Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik, Halle
- VEKMAG – Vector Superconducting Magnet, BESSY II, Helmholtz-Zentrums Berlin für Energie und Materialien, Berlin
Weitere Beiträge
- Dotierte 2D-Materialien (pro-physik.de Nachrichten, 24. Juni 2021)
- Ch. Stampfer, B. Beschoten und S. Staacks, Vielfalt in zwei Dimensionen, Physik Journal, Oktober 2019, S. 29 PDF