30.09.2010

Exotische Paarung im künstlichen Kristall

Die Suche nach dem magnetischen und supraleitenden FFLO-Zustand wird spannender.

Die Suche nach dem magnetischen und supraleitenden FFLO-Zustand wird spannender.

Magnetismus und Supraleitung sind antagonistische Erscheinungen. Ein herkömmlicher Supraleiter versucht, Magnetfelder aus seinem Innern herauszudrängen oder sie zumindest abzuschirmen. Gelingt dies nicht, bricht die Supraleitung zusammen. In unkonventionellen Supraleitern kann es zu einem komplizierten Wechselspiel zwischen Supraleitung und Magnetismus kommen. Bei den Schwerere-Fermionen-Supraleitern etwa hilft der Magnetismus, die Elektronen zu Cooper-Paaren zu verbinden. Einen räumlich modulierten supraleitenden Grundzustand, der mit einem Magnetfeld koexistierten kann, hatten Fulde und Ferrell sowie Larkin und Ovchinnikov vor fast 50 Jahren konstruiert. Der experimentelle Nachweis dieses FFLO-Zustands steht noch immer aus, doch jetzt ist man ihm mit fermionischen Atomen in Lichtgittern schon sehr nahe gekommen.

Abb.: Im Zentrum der Lichtröhren befindet sich ein teilweise polarisiertes Kondensat aus Cooper-Paaren und ungepaarten Spins. Ist das der gesuchte FFLO-Zustand? (Bild: Nature)

Forscher um Yean-an Liao und Ann Sophie Rittner von der Rice University in Houston haben mit ultrakalten fermionischen Lithium-6-Atomen in einem Lichtgitter einen unkonventionellen Supraleiter simuliert. Die Atome, die sich in den beiden niedrigsten Hyperfeinniveaus des atomaren Grundzustands befanden, spielten dabei die Rolle der Elektronen mit ihren beiden Spineinstellungen. Das Lichtgitter, das durch Überlagerung zweier zueinander senkrechter stehender Lichtwellen von 1064 nm entstand, hielt die Atome in „Lichtröhren“ fest. Da die ultrakalten Atome sich nur entlang der Röhren in einer Raumdimension bewegen konnten, verhielten sie sich wie die Elektronen in einem eindimensionalen Supraleiter.

Der künstliche Supraleiter bot eine Reihe von Vorteilen. Zum einen konnte das Zahlenverhältnis der Atome in den beiden Zuständen variiert werden. Es ließ sich also festlegen, wie viele Spins nach oben oder nach unten zeigten. Dabei trat keine Spinrelaxation auf, wie das in realen Kristallen der Fall ist. Außerdem konnte die Wechselwirkung der Atome mit Hilfe eines Magnetfeldes über eine sogenannte Feshbach-Resonanz verändert werden. Die Forscher stellten eine starke Anziehung zwischen den Atomen ein, die zu einer Paarung von entgegengesetzt gerichteten Spins führte wie bei den Cooper-Paaren in einem realen Supraleiter. Für zukünftige Experimente besteht zudem die Möglichkeit, die räumliche Dimension auf zwei oder drei zu erhöhen.

Nachdem die Forscher die Atome in die Lichtröhren geladen hatten, wobei Spins einer Richtung in der Überzahl waren, beobachteten sie mit Hilfe von abgestimmten Laserpulsen, wie sich die Spins entlang der Röhren verteilten. Da das Potential, das die Atome in einer solchen Röhre hielt, zu den Röhrenenden zunahm, waren die beiden Spineinstellungen ungleich längs der Röhrenachse verteilt. Es kam zu einer Phasentrennung. Während nahe den Röhrenenden beide Spinrichtungen im Gleichgewicht waren, stellte sich im Mittelteil einer jeden Röhre ein komplizierterer Zustand ein, der mehr oder weniger spinpolarisiert war.

Durch Veränderung der gesamten Spinpolarisation der Atome und Variation des einschließenden Potentials konnten die Forscher unterschiedliche Spinanordnungen in den Röhrenmittelteilen erzeugen und auf diese Weise ein Phasendiagramm aufnehmen. War das Potential stark und die Spinpolarisation groß, so zeigten im Mittelteil der Röhren alle Spins in Richtung der Polarisation. War die Polarisation hingegen klein, so herrschte auch im Mittelabschnitt der Röhren ein Gleichgewicht zwischen entgegengesetzt gerichteten Spins, die sich paarten. Interessant wurde es, wenn die Polarisation merklich war und das einschließende Potential langsam verringert wurde. Dann entstand ein partiell spinpolarisierter Zustand, wie es dem FFLO-Zustand entsprach.

Der Theorie zufolge befinden sich im FFLO-Zustand Cooper-Paare und überschüssige, ungepaarte Spins in direkter Nachbarschaft. Der Ordnungsparameter des Zustands und damit die Dichte des supraleitenden Kondensats sind räumlich moduliert. Dort wo die Kondensatdichte verschwindet, nisten sich die ungepaarten Spins ein. Die räumliche Modulation des Kondensats kommt dadurch zustande, dass der Gesamtimpuls der Cooper-Paare nicht Null ist wie in einem herkömmlichen Supraleiter, sondern sich der Schwerpunkt eines jeden Paares bewegt. Dadurch entstehen Interferenzen, die die Kondensatdichte modulieren.

Die drei Phasen (unpolarisiert, polarisiert und partiell polarisiert), die die Forscher von der Rice University beobachtet haben, stimmen hervorragend mit den Vorhersagen der Theorie überein. Doch noch ist offen, ob der partiell polarisierte Zustand tatsächlich der gesuchte FFLO-Zustand mit nichtverschwindenden Cooper-Paarimpulsen ist. Um den Nachweis zu erbringen, wollen die Forscher messen, wie die Impulse der gepaarten Spins verteilt sind. Darüber hinaus könnte man auch versuchen, den FFLO-Zustand in einem dreidimensionalen polarisierten Spinkondensat aus fermionischen Atomen nachzuweisen. In drei Dimensionen wird der FFLO-Zustand wesentlich instabiler und schwerer aufzufinden sein. Doch mit ultrakalten Atomen in Lichtgittern scheint nun alles möglich!

RAINER SCHARF

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