Exotische Quark-Resonanz
LHCb-Kollaboration weist Zustand aus mindestens vier Quarks jenseits der üblichen Modelle nach.
Die hadronischen Grundbausteine der Materie sind gesellig: Quarks liegen nie einzeln vor, sondern nur in Zweier- oder Dreierpaaren. Da sich nach der Quantenchromodynamik ihre Farbladung aufheben muss, können Hadronen nur in zwei Arten von gebundenen Zuständen existieren: entweder als Mesonen aus Quark und Antiquark, bei denen Farbe und Antifarbe sich gegenseitig auslöschen – oder als Baryonen, bei denen die Farben von je drei Quarks oder Antiquarks sich ebenfalls zur Farblosigkeit addieren. Im Prinzip lässt die Quantenchromodynamik zwar auch komplexere Quarkzustände zu, solange diese frei von Farbladung sind. Bislang gab es jedoch kaum Kandidaten für solche exotischen Teilchenresonanzen.
Abb.: Seitliche Ansicht des LHCb-Detektors (Bild: D. Eidemüller)
Im Jahr 2008 stießen Forscher am Belle-Experiment des KEKB-Elektron-Positron-Kollider in Japan auf eine eigenartige Resonanz bei etwas über vier Gigaelektronenvolt, also bei rund der vierfachen Protonmasse. Das Z(4430) getaufte und einfach negativ geladene Teilchen zeigte ungewöhnliche Eigenschaften. Aber obwohl die Belle-Kollaboration eine Signifikanz von über fünf Sigma für den Nachweis des Teilchens erreichte, konnten die Forscher nicht alle Eigenschaften dieses ultra-kurzlebigen Quarkzustandes mit vergleichbarer Genauigkeit vermessen. KEKB ist heute nicht mehr in Betrieb, da an seiner Stelle der Nachfolger-Beschleuniger Super-KEKB mit vierzigfach höherer Luminosität entstehen soll.
Auch Forscher der BaBar-Kollaboration am Stanford Linear Accelerator Center sahen sich die Resonanz genauer an. Ihre Messungen ließen zwar den Schluss zu, dass die Resonanz sich möglicherweise nur der experimentellen Analyse schuldete; sie widersprachen den Belle-Ergebnissen jedoch nicht.
Deshalb überprüfte nun die LHCb-Kollaboration am CERN die ungewöhnliche Resonanz mit einer deutlich höheren Datenmenge. Hierzu analysierten die Forscher alle in Frage kommenden Kollisionen aus den Jahren 2011 und 2012, bei Schwerpunktenergien von sieben bis acht Teraelektronenvolt. Bei rund 180 Billionen Proton-Proton-Kollisionen entstanden in diesem Zeitraum gut 25.000 B-Mesonen, deren Zerfälle interessante Einsichten versprachen. Etwa 4000 exotische Hadronen konnte die Kollaboration nachweisen. Damit stand den CERN-Wissenschaftlern eine mehr als zehnfach höhere Statistik zur Verfügung als der Belle- und der BaBar-Kollaboration zusammen.
Abb.: Quadratische Massenverteilung von über 25.000 B-Meson-Zerfällen: Die schwarzen Punkte zeigen Messdaten, die blauen den Beitrag von Z(4430). (Bild: LHCb collaboration)
Der LHCb-Kollaboration gelang es nun, die Resonanz mit beeindruckenden 13,9 Sigma zu bestätigen. Ein wichtiges Ergebnis war vor allem die Messung der sogenannten Spinparität mit einem eindeutigen Wert von 1+, was auf einen neuartigen Quarkzustand hinweist. Bei dieser Messung erreichte die Belle-Kollaboration nur 3,4 Sigma, während sie nun bei 9,7 Sigma liegt. Zu diesem Ergebnis kamen die LHCb-Wissenschaftlern mit Hilfe einer Amplituden-Analyse. Hierbei mussten die Forscher sämtliche Beiträge zur Massenverteilung mit berücksichtigen. Wie sich herausstellte, ließen sich die Daten nur mit Hilfe der neuen Resonanz erklären. „Wie unsere Analyse zeigt, handelt es sich bei der beobachteten Struktur wirklich um ein Teilchen, und nicht um irgendeine Eigentümlichkeit in den Daten“, sagt LHCb-Sprecher Pierluigi Campana.
Die genaue Bestimmung der verschiedenen Quanteneigenschaften von Z(4430) ist deshalb so bedeutend, weil sich in der Nähe dieser Resonanz viele neutrale Charmonium-Zustände aus Charm- und Anticharm-Quarks befinden. Da Z(4430) aber eine negative Ladung besitzt, lässt es sich von diesen Mesonen unterscheiden. Die Interpretation dieser Ergebnisse ist jedoch nicht einfach und wird die beteiligten Wissenschaftler vor neue Rätsel stellen. Doch zumindest dies scheint klar: Der minimale Quarkzustand dieser Resonanz besteht aus je einem Charm-, Anticharm-, Down- und Antiup-Quark. Dies schließen die Forscher aus den Zerfallsprodukten, in denen diese vier Quarks enthalten sind.
Eine Möglichkeit für die Zusammensetzung der Resonanz wäre ein Tetraquark, ein gebundener Zustand von vier Quarks. Es wäre aber ebenso denkbar, dass es sich bei dieser Resonanz um eine Verbindung zweier Quark-Paare handelt. Wie genau ein solcher Vierfach-Quarkzustand zustande kommt oder ob er eventuell sogar noch komplexer ist, als die bisherigen Daten vermuten lassen, ist derzeit noch nicht zu sagen. Dies werden erst zukünftige Messungen zeigen können. Aber auch wenn die Quantenchromodynamik dafür berüchtigt ist, nur mit größten Schwierigkeiten genaue Vorhersagen liefern zu können: Nach diesen Ergebnissen könnten auch noch viele andere Mehrfach-Quarkzustände existieren. Der Teilchenzoo des Standardmodells wäre dann um spannende neue Gattungen reicher.
Dirk Eidemüller
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PH